Donnerstag, 3. November 2016

...weil ich nicht schlafen kann

Ich bin nicht so der Stöckchen-Freund. Sagt die, die dann und wann dennoch schon mal eins aufgesammelt hat, zuletzt gestern. Aber ich kann nicht schlafen, und das liegt nicht allein an der Tatsache, dass ich in L bin, dass ich die Wohnung hier zuletzt vor 4 Wochen gesehen hatte - und beinah in Verzweiflungstränen ausgebrochen war. Und dabei hatte ich erst vor kurzem noch gesagt, dass die Jungs endlich ihren Rhythmus gefunden hätte. Tja nun, vermutlich den Rhythmus "Muttern kommt, wir müssten dann mal zwei Stunden vorher..." Angesichts der Dauer meiner aktuellen Abwesenheit hat sich dieser Modus wohl leicht verschoben ;)
Und nun grummelt noch die Waschmaschine (ich finde ja, dass kaum etwas mehr Reinlichkeit verströmt wie das Grummeln einer Waschmaschine), läuft nebenbei eine Sitcom und sitze ich hier an meinem Laptop (ist ja fast wie in alten Zeiten, bevor Herr Blau und ich zusammenzogen ;)), lese bei Goldi von einem Stöckchen und auch bei ihren Fragen gehen mir die allermöglichsten Gedanken durch den Kopf. Warum diese also nicht auch aufschreiben?

1. Du bekommst 15 Millionen Euro steuerfrei, was machst Du als erstes?
Bei dieser Frage dachte ich an den Jackpot-Knacker aus Baden-Württemberg, von dem ich noch im Indien-Urlaub las, dass der mit 90 Millionen Euro beschenkt worden war. Da hatten wir schon einige Tage in Indien erlebt - und was ich nach wie vor nicht aus dem Kopf bekomme, sind die Kinder dort. Die Kleinsten und Kleinen, die Babies, die schlafend in den Armen von Frauen (nicht zwingend ihren Müttern, wie ich später erfuhr) lagen, während diese an jeder Kreuzung einer Stadt auf die Touristen warten, um dann mit den Fingerkuppen nachdrücklich an die Scheiben zu klopfen und um Geld zu bitten. Ein Geräusch übrigens, das mich noch immer verfolgt. "You should not give money to the women. They only would get this to buy Opium in the next shop." "Oh... Really... But they have children. All these sleeping babies..." - "Well, you need to know, the babies sleeps, because the women give them water added with Opium." Und ich starre auf die winzigen Füßchen, die abgemagerten Körper, die verfilzten Haare der Kleinkinder, und alles krampft sich in mir zusammen.
"Wenn ich diese 90 Millionen gewonnen hätte", sagte ich am Abend zum Mann, "dann würde ich als erstes in Indien eine Müllverbrennungsanlage bauen. Es gibt so unfassbar viel Müll, das ist Irrsinn. Und dann würde ich Einrichtungen für Kinder bauen. Einrichtungen, wo wir die Kinder baden, ihre Haare und ihre Sachen waschen könnten, wo sie spielen können, zu essen und zu trinken haben."
"Du kannst die Inder nicht ändern", wendet Herr Blau ein, "und du kannst nicht alle Kinder retten. Dann müsstest du sie den Eltern wegnehmen, wenn du willst, dass was aus ihnen wird."
"Aber ich will sie ihren Eltern nicht wegnehmen", war ich ganz erstaunt, "ich will nur, dass diese Kleinen es tagsüber gut haben. Und abends kommen die Eltern und holen sie wieder nach Hause."
"Wenn du Glück hast, holen sie sie wieder ab. Wahrscheinlicher ist, dass sie sie bei dir abladen und nie wiederkommen. Dann hast du irgendwann ein Waisenhaus, das aus allen Nähten platzt."
"Aber die Kinder", antworte ich, während ich gedankenvoll aus dem Fenster starre, "alles beginnt doch damit, wie wir aufwachsen."
"Wenn du 90 Millionen gewinnst und etwas Gutes tun willst, dann sorge erst mal dafür, dass du mit dem Geld arbeitest, so dass es für dich arbeitet. Sonst bist du all die 90 Millionen schneller los als du etwas Gutes tun konntest."

2. Wen vermisst Du in Deinem Leben bzw. mit wem würdest Du gerne jetzt zusammen sitzen und reden?

Meine Großmutter, die im September 1989 starb.
Sie hat mir das Malen beigebracht und mir ihre Leidenschaft dafür vererbt.
Ich hätte ihr so wahnsinnig gern gezeigt, was bis heute aus mir geworden ist. Ich hätte so wahnsinnig gern mit ihr über das Leben und die Liebe philosophiert.
Ich hätte so wahnsinnig gern erfahren, wie das war damals, mit dem echten Vater meines Vaters. Mit dem Franzosen, der nach Kriegsende wiedergekommen war - wovon sie vermutlich selber nie erfuhr.
Zeit ihres Lebens hat sie uns stattdessen erklärt, dass er im Krieg gefallen sei.
Ich hätte so wahnsinnig gern mit ihr nach ihm gesucht. Solange die Möglichkeit bestand, dass er noch lebt. Mein Papa wird 73 in diesem Jahr. Die Möglichkeit ist mittlerweile... sehr sehr gering.
Ich vermisse ihre bedingungslose Liebe zu mir. Bis heute. Bis heute fühle ich die inzwischen ungeweinten Tränen, wenn ich an ihrem Grab steh.

3. Welchen Ort auf der Welt möchtest Du unbedingt erkunden?
Eigentlich keinen bestimmten. Eigentlich möchte ich nur am Meer sein, egal wo. Muscheln sammeln, Steine sammeln, dem Murmeln der Wellen zuhören, meine nackten Füße im Sand vergraben und spüren, wie die Seele zur Ruhe findet.

4. Wenn Du einen Wunsch erfüllt bekommst, denk dran die 15 Mio hast Du schon, was würdest Du Dir wünschen?
In der Timeline meiner Freundin bei FB sah ich vor einiger Zeit mal das Foto eines Zettels, auf den ein Kind geschrieben hatte "Ich wünsche mir für die ganze Welt Frieden."
Das klingt so pathetisch, ich weiß. Aber angesichts der täglichen Nachrichten, von den Berichten über sterbende Kinder, ihren Eltern, ihren Freunden, angesichts der täglichen Nachrichten über mögliche Entwicklungen, die mir Angst machen, wünsche ich mir... einfach nur für die ganze Welt Frieden. Wirklich von Herzen.

5. Welche Farbe haben die Wände in Deinem Schlafzimmer?
Leider weiß. Das wird sich aber ändern, wenn wir umgezogen sind. Herr Blau weiß das, weil er mich kennt. (Ob es möglicherweise auch deshalb immer noch nicht mit einer neuen Wohnung geklappt hat? ;)) Ich mag helles Grau oder helles Beige bzw. sehr helles Braun in Kombination mit Weiß.

6. Auf welches Luxusgut könntest Du in Deinem Leben verzichten?
Auf die Fake-Fell-Winterstiefel, zu denen Herr Blau mich einst überredete :)

7. Kannst Du auf den Fingern pfeifen?
Ich kann überhaupt nicht pfeifen. Nur auf das eine oder andere ;)

8. Dir geht es so richtig schlecht, Du weißt aber  nicht warum, wen rufst Du an?
Früher den Menschen, an dem mein Herz hing. Später die Freundin, die mir am nächsten war. Inzwischen niemanden mehr. Tatsächlich nicht. Ich ziehe mich mehr oder weniger komplett zurück, vergrabe mich in der Musik und versuche, mir selber auf die Schliche zu kommen.
Manchmal frage ich mich, wann ich mich verändert habe und warum. Und dann denke ich, dass es in den Jahren begründet liegt, die ich allein war. In denen ich versucht habe zu begreifen, warum Herzensmenschen kamen und gingen, wortlos, ohne dass sie mit mir sprachen, ohne dass sie mir die Möglichkeit gaben, sie und die Situation zu verstehen. Dass ich ihnen keine Fragen stellen konnte, dass ich versuchen musste, die Antworten selbst zu finden - ohne je zu erfahren, ob es die richtigen waren. Dass ich damit mitunter einem Schmerz ausgesetzt wurde, mit dem ich nur sehr schwer zurechtgekommen bin.
Diese Form des Kommen-und-Gehens gleich aus welchem Grund, gleich in welchem Zusammenhang triggert mich bis heute.

9. Was steht rechts neben Dir?
Ich bin in L. Lümmle auf dem Bett meines Jüngsten, weil der erst am Freitag nach Hause kommt. Rechts hier neben seinem Bett steht ein alter Bauernstuhl, den ich vor Jahren auf dem Antikflohmarkt gekauft habe. Und auf diesem Stuhl liegt eine einzelne verlorene Socke. Es ist ein Phänomen, dass immer, tatsächlich IMMER mindestens eine Socke nach dem Waschen übrigbleibt.

10. Hund oder Katze?
Solange ich in einer Mietwohnung lebe und vollzeit berufstätig bin, keins von beiden.
Wenn eines Tages der Traum vom Leben am Meer doch wieder wahr wird, dann wünsche ich mir einen Hund und eine Katze. Einen großen Hund, weil ich mit den kleinen Wadenbeißern nix anfangen kann.

11. Wann vergisst Du Deine gute Erziehung?
Definitiv bei Gaffern und bei Sonntagsfahrern. Da fahre ich aus der Haut und entwickle spontan echte Hassgefühle, für die ich mich auch nicht entschuldige ;)
Und wenn es ungerecht wird. Normalerweise bin ich ja der entspannte Mensch. Aber wird es ungerecht, reagiere ich auch sehr impulsiv. Dafür kann ich mich dann aber entschuldigen.
Ich weiß auch, dass ich es dann und wann schon mal erwähnte: Hasskommentare auf z. B. FB oder im Kommentarbaum einer Onlinezeitschrift machen mich krank. Zwar wähle ich nach meiner letzten monatelangen Abstinenz noch immer bewusst die Beiträge aus, die ich einschließlich ihrer Kommentare lesen will oder eben auch nicht. Aber diese Entwicklung dahin, dass eine Meinung kein Anlass mehr ist, kontruktiv miteinander zu diskutieren, Gedanken und Ansichten auszutauschen, sondern lediglich als Möglichkeit angenommen wird, verbal um sich zu schlagen, je doller desto besser - die widert mich an. Im Grunde halte ich das Web nicht für einen Ort, für den es sich um Anstand und Respekt zu kämpfen lohnt. Nur zu gerne würde auch ich manchmal dann meine gute Erziehung vergessen. Aber dann erinnere ich mich an den Kommentar von Inch - und ich glaube, sie hat recht. Jeder von uns hat es in der Hand, wie er den anderen begegnet - und was er dafür zurückbekommt. Auch im Web.


Ich gebe zu, dieses Stöckchen ist wesentlich ernsthafter als das gestrige. Bewusst auch habe ich hier auf ein paar passende Bildchen verzichtet. Jemand hat mal vor längerer Zeit zu mir gesagt, dass diese Art eines Blogposts sehr viel über einen selbst aussagt, man sehr viel vom anderen erfahren kann.
Ich glaube nicht, dass man hiermit mehr über mich erfährt als man nicht sowieso schon weiß. Aber irgendwie... hatte ich das Gefühl, dass ich dieses Stöckchen einfach mitnehmen musste.
Jetzt ist es 1:37 Uhr und ich bin immer noch nicht müde. Ich schau mal nach der Wäsche.

3 Kommentare:

Goldi hat gesagt…

Du Liebe,
vielen Dank für Deine Antworten :-*. Ich hatte Dich übrigens nur nicht nominiert, weil Du den Award ja schon hast und ich weiß, dass Du nicht so die Stöckchenfreundin bist.

Anonym hat gesagt…

Früher den Menschen, an dem mein Herz hing. Später die Freundin, die mir am nächsten war. "Inzwischen niemanden mehr. Tatsächlich nicht. Ich ziehe mich mehr oder weniger komplett zurück, vergrabe mich in der Musik und versuche, mir selber auf die Schliche zu kommen.
Manchmal frage ich mich, wann ich mich verändert habe und warum. Und dann denke ich, dass es in den Jahren begründet liegt, die ich allein war. In denen ich versucht habe zu begreifen, warum Herzensmenschen kamen und gingen, wortlos, ohne dass sie mit mir sprachen, ohne dass sie mir die Möglichkeit gaben, sie und die Situation zu verstehen. Dass ich ihnen keine Fragen stellen konnte, dass ich versuchen musste, die Antworten selbst zu finden - ohne je zu erfahren, ob es die richtigen waren. Dass ich damit mitunter einem Schmerz ausgesetzt wurde, mit dem ich nur sehr schwer zurechtgekommen bin.
Diese Form des Kommen-und-Gehens gleich aus welchem Grund, gleich in welchem Zusammenhang triggert mich bis heute."

Danke dafür. Für diese Worte, die das auf den Punkt bringen, was mich umtreibt. Das erste Mal, dass ich das lese, wofür mir die Worte fehlen - und mir sofort die Tränen in die Augen treibt. Immer noch.
Es fühlt sich nicht so an, als würde es jemals vorbei gehen. Und ich habe deshalb immer das Gefühl, dass das falsch ist. Dass ich falsch bin.
Aber das bin ich nicht, oder?

Alles Gute für dich.

Gwen

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, ach keine Sorge - ich dachte mir das schon :) Aber ich konnte letzte Nacht tatsächlich ewig nicht einschlafen, darüber zu bloggen wäre auch zu müßig - und bei Deinen Fragen ging mir - wie man ja sieht - zuviel durch den Kopf. Da hab ichs dann doch mitgenommen ;)

Liebe Gwen - NEIN, Du bist nicht falsch! Und ich bin es auch nicht! Es hat mich in den Jahren unendlich viel Kopf- und Seelenarbeit gekostet und heute weiß ich: Warum sich jemand verhält wie er sich verhält, liegt in dessen eigenem Wesen begründet - nicht in unserem. Wir können es auch nicht verhindern. Aber wir können uns davor schützen. Und genau das tu ich heute. Nicht immer gleich gut. Aber es geht mir heute besser damit. Auch wenn es Wunden gibt, die einfach nicht heilen und von denen auch ich nicht glaube, dass dieser Schmerz jemals vorbeigeht. Es ist aber wie mit so vielem: Man lernt, eines Tages damit zu leben. Ich lerne es.
Vor kurzem las ich ein Posting bei FB

"Frage: Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?

Antwort: Es gibt einen Weg hier raus?"