Mittwoch, 4. März 2015

Endspurt und Neustart

Juniors erste Prüfung steht bevor: die praktische Prüfung, von der er sich selbst aussuchen konnte, in welcher Kategorie er diese ablegen möchte. Betreuung = Kindergarten, Pflege = Pflegeheim.
Er entschied sich für Letzteres, auch wenn er mit Kindern deutlich besser "kann" und auch wenn es ihm dort mehr Spaß macht.
Und er entschied sich für genau das Pflegeheim, das ihm den Start in das Praktikum vor über einem Jahr recht schwer gemacht hatte.
Fast könnte man jetzt meinen, er stelle sich den Dämonen, aber seine Begründung war viel einfacher und tiefenpsychologisch flach wie ein Schneidebrett: "Die Prüftante für die Betreuung kannste voll vergessen, bei der hat sogar unser Streber ne Vier in der Hausarbeit bekommen. Was glaubste wohl, was ich dann kriegen würde?"
Ich bin ja schon heilfroh, dass er sein Ansinnen von Januar, die Ausbildung hinzuschmeißen: "Ich will doch eh kein Erzieher mehr werden, dann brauch ich mir den Stress jetzt auch nicht zu machen und geh lieber arbeiten" wieder verworfen hat.
Denn da habe ich mich - offen gestanden, ihn auch  - schon gefragt, auf welcher Wolke er eigentlich schwebt?
"Was meinst du wohl, wie sich eine abgebrochene Ausbildung in deinem Civil macht? Was meinst du denn, wer jemanden einstellen soll, der kaum praktische Erfahrungen vorweisen kann, egal auf welchem Gebiet, und der keinen Biss, kein Durchhaltevermögen zeigt? Der hinschmeißt, weil er keinen Bock mehr hat - so kurz vor dem Ziel? Das wäre echt das Dümmste, was du je machen kannst!"
Ich habe ihm erzählt von Bewerbungen, die bei uns immer wieder mal eingehen und die ich mir dann anschauen darf. Die ich bewerten darf - und auch vorentscheiden darf, wer in die engere Auswahl kommt und wer nicht: "Es gibt Leute, die haben ihre Ausbildung, die haben Weiterbildungen, die sind privat aktiv - bei denen stört mich nicht, wenn die Lücken in ihrem Lebenslauf haben. Woran ich mich störe, sind Leute, die nichts abgeschlossen haben, ständig Neues anfangen, in verschiedenen Jobs waren und nach nicht mal einem Jahr wieder raus sind. Ob freiwillig oder nicht, nach großem Engagement und Durchhaltevermögen klingt das für mich nicht."
Da gab es mal so einen jungen Mann, kaum über Zwanzig: drei begonnene Ausbildungen, jede davon nach nicht mal einem Jahr wieder abgebrochen. Was ich meinem Sohn nicht sagte: Diesen Bewerber hätte ich mir schon mal eingeladen zu einem persönlichen Gespräch. Um zu sehen, wer dieser Mensch ist, was ihn bewegte, was ihn antrieb - und ob ihn überhaupt irgendetwas antrieb oder er sich nur beworben hatte, um mit dem Nachweis dessen weiterhin vom Amt sein Geld zu bekommen.
Ich bin nicht sicher, ob wir ihm eine Chance gegeben hätten: Zuverlässigkeit ist das A und O.
Andererseits muss ich gestehen, habe ich eine Schwäche für Menschen, die auf den ersten Blick ziellos, planlos scheinen und die Wahrheit aber doch eine ganz andere sein kann. Dieser Blick hinter die Fassade, so gut das möglich ist in ein, zwei Stunden.
Wir haben ihn nicht eingeladen, weil uns zum damaligen Zeitpunkt die Zeit buchstäblich weglief - und weil ich dringend eine Assistenz brauchte, um all die ganze Arbeit überhaupt noch bewältigen zu können - und uns darum für jemanden entschieden, die bereits Anfang 20 war, schon eine sehr ähnliche Ausbildung abgeschlossen hatte und nun eine Ausbildung mit IHK-Zertifikat anhängen wollte. Aber ich frage mich noch heute gelegentlich, was aus diesem jungen Mann wohl geworden sein mochte - und ob ich ihm mit der ersten Einschätzung unrecht getan hatte? Vielleicht gibt es keine zweite Chance für einen ersten Eindruck - aber viel zu oft wird der erste Eindruck durch den zweiten revidiert, und zwar in positiver Hinsicht. Ein zweiter Blick lohnt immer, so sehe ich das. Genauso wie jeder eine zweite Chance verdient hat. OK, fast jeder.
Und Junior? Im Januar ist er durch die Polizeiprüfung gerauscht. Ausgerechnet in dem Teil, der ihm so liegt: dem Sportteil. Jede Prüfung für sich genommen - kein Problem für ihn. Was er jedoch gründlich unterschätzte: Es ist eine andere Belastung, wenn alle diese Crash-Tests an nur einem Tag stattfinden. Irgendwann ist die Puste raus, die Kondition weg - das wars. Knapp daneben ist auch vorbei; nun wiederholt er im Oktober und würde, wenn es klappt, im Herbst 2016 die Ausbildung beginnen.
Für ihn steht fest, dass nur das in Frage kommt und sonst nichts.
"Und wenn es doch nicht klappt? Wenn es an anderen Dingen scheitert? Denn die ärztliche Prüfung steht noch aus, und da sind sie streng."
"Dann geh ich zum Bund", meinte er und ich sehe dieses Thema inzwischen entspannt und relativ locker, denn wichtig war für mich an dieser Stelle, dass er nun doch die Ausbildung fortsetzt und sich wenigstens den Abschluss holen wird.

"Wie war denn heut dein erster Tag?" fragte ich ihn heut Abend und dann wollte ich noch wissen, ob er im selben Bereich eingesetzt wurde, wo er damals den zweiten Anlauf startete.
"Ja zum Glück", sagte er.
"Und wie lange geht das jetzt?"
"Bis zum 10. April, glaub ich. Und am 15. ist dann Prüfungshospitation."
"Ach das schaffst du schon, du weißt ja, was dich erwartet."
"Na ja nee, eigentlich nicht! Ich muss dann vor so ner Prüfungskommission jemanden waschen, anziehen, das ganze Programm halt. Das ist total blöd, vor fremden Leuten jemandem am Schniedel oder an der Pflaume rumzuspielen."
Er gackerte ein bisschen herum, ich fiel mit ein, doch gab ich einmal mehr zu bedenken: "Stell dir vor, du wärst dieser alte Mann, der vor anderen gewaschen wird, für den ist das echt blöd, nicht für dich. Irgendwie entwürdigend, finde ich, auch wenn man sicherlich gucken muss, ob du die Grundsätze der Pflege eines alten Menschen beherrscht. Trotzdem fände ich das auch nicht toll, wenn da paar Leute um mich rumstehen und alle mich nackt sehen."
"Du kommst eh nicht ins Heim, dafür sorge ich", versprach er erneut und ich musste kichern: "Hoffentlich weißt du das noch, wenns dann soweit ist."

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dann drücke ich dem Junior die Daumen. Und die Begründung finde ich absolut logisch und vernünftig. *g* Die hätte von mir sein können. ;D

Aber die Prüfung so "vor Zeugen", am "lebenden Objekt"... ich meine, klar, wie willst du das sonst machen? Aber komisch ist die Vorstellung schon. Da geht mir das durch den Kopf, was mir eine ältere Dame neulich sagte: "Ich möchte nicht noch mal ins Krankenhaus, wenn du alt bist, geben sie sich keine Mühe mehr mit dir." Und schlimm ist, dass ich genau das - aber vor ihren Worten - bei einem Besuch im KH selbst gedacht habe. Kranke Gesellschaft, in der man sich am liebsten in guten Zeiten umeinander "kümmert" und die die Alten nur für interessant hält, wenn sie fit sind, möglichst jung aussehen und Kohle haben. YOLO. Und nach mir die Sintflut.

Anonym hat gesagt…

Nachtrag: Muss ich YOLO erklären? Habe ich vorgestern (?) in einem Artikel über die "Generation Z" gelesen und es bedeutet "You only life once". *g* [Bin sehr stolz, dass ich jetzt ganz lässig ein so zeitgemäßes Wort in meine Altweibersprache einfließen lassen kann.]

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Danke Anna :)
Diese YOLO-Kacke - sorry - geht mir langsam auf den Sack. Echt. Genauso wie dieser Carpe Diem Scheiß. Ich interpretiere das nicht mehr als Lebensfreude, sondern verbinde das nur noch mit Oberflächlichkeit. Ich habs vielleicht auch nur einmal zu oft an der falschen Stelle gehört.
Ganz ehrlich? Ich möchte nicht das lebende Objekt sein müssen. Ich war schon mal eins, als mir vor paar Jahren Nervenwasser aus dem Rücken gezogen wurde: Eine Horde kichernder und schwatzender Studenten in meinem Rücken, während ich froh war, dass die nur meinen Rücken zu sehen kriegten und der Doc auch nur einmal stechen musste. Aber völlig nackt zu sein... Ich fragte mich schon, ob man für solche Prüfungssachen nicht auch Dummies entwickeln könnte.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

*kreisch!!!* Nein, musst Du nicht erklären ;) Der Spruch geht ja noch weiter "...but if you live right, once is enough".
Wie gesagt, die prinzipielle Aussage mag ja stimmen - aber ich kanns nicht mehr hören.

Anonym hat gesagt…

Danke. Ich bin froh, dass ich mit meiner Yolo-Abneigung nicht alleine dastehe. ;)

Und nein, ich möchte auch keinesfalls dieses "lebende Objekt" sein. Entwürdigend. Genau wie das, was du beschreibst. Wir hatten das damals mit dem Junior im KH auch. Ich verstehe ja, dass die Studenten lernen müssen. Aber auf der Intensivstation, wenn noch keiner weiß, was wirklich Sache ist und du völlig am Rad drehst? Oder eben so eine Untersuchung wie du über dich ergehen lassen musst. Nein. Meine Distanzzone kann gar nicht groß genug sein und meine Privatsphäre ist mir heilig. Da reagiere ich unentspannt.

Geben die "Prüfungsobjekte" denn ihre Einwilligung oder werden die nicht mal gefragt?

Moya hat gesagt…

"du kommst eh nicht ins heim, dafuer sorge ich"

aaaaaawh ...
momente, in denen man weiss, dass man irgendwas richtig gemacht hat :)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Anna, das ist eine gute Frage: Ich weiß nicht, ob die älteren Herrschaften gefragt werden? Selbst wenn sie die dementen Herrschaften wählen, müssten ja die Angehörigen gefragt werden? Muss ich mal bei Junior nachhaken, das interessiert mich auch.
Distanzzone... Erinnert mich an gestern in der U-Bahn: Sitzplätze alle belegt, ich stand an der Tür, mir gegenüber in der anderen Ecke ein junger Mann mit seiner Mutter und dann stellte sich zwischen uns so n massiger Typ, breitbeinig und die Arme ausgebreitet, die Hände an die Türen gelehnt (fast wie in Krimis, wo es heißt: An die Wand! AN! DIE! WAND!) Damit war er schätzungsweise 10 cm von mir weg, ich konnte quasi seinen Körperdunst atmen - und von sowas wird mir speiübel. Er hat zwar nicht gestunken, aber er war mir eindeutig zu nah. Sozusagen in meinen Sicherheitsabstand eingedrungen. Baaahhh, das HASSE ich!!

Liebe Moya - jaaaa!! Ich freue mich da auch jedesmal, wenn er sowas sagt, und hoffe, er überlegt sich das nicht irgendwann noch ;)

Anonym hat gesagt…

In dem jungen Mann, der alles begonnen hat aber nichts zu Ende führt, erkenne ich mich leider wieder. Und die Gedanken, die du hast sind echt nachvollziehbar. Und auch wenn es immer Gründe gab, frage ich mich oft, ob ich nicht stärker haette sein müssen. Ich drücke deinem Sohn die Daumen für die Prüfung!
Summer

Anonym hat gesagt…

Ganz fest die Daumen drücke!!!!!

Anonym hat gesagt…

Ähm... Die Suse war's 😉

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Summer, und genau deshalb, weil hinter jedem Menschen auch seine eigene Geschichte steckt - will ich immer hinter die Fassade schauen können. Mir selbst ein Bild machen.
Ich bedauer heute noch, dass ich damals nicht die Zeit dazu hatte. Bzw. mir sie nicht genommen habe.