Samstag, 22. September 2012

Einmal sollte man

Es gibt nur sehr, sehr wenige Gedichte, die ich mag, die mich ansprechen. Ein Lyriker... bin ich ja nicht wirklich. Aber was ich heute nun - wieder mal im Internet (watt haben wir vorher bloß ohne gemacht?) fand, ging mir spontan und ohne viel Federlesen unter die Haut...

Einmal sollte man seine Siebensachen
fortrollen aus diesen glatten Geleisen.
Man müßte sich aus dem Staube machen
und früh am Morgen unbekannt verreisen.

Man sollte nicht mehr pünktlich wie bisher
um acht Uhr zehn den Omnibus besteigen.
Man müßte sich zu Baum und Gräsern neigen,
als ob das immer so gewesen wär.

Man sollte sich nie mehr mit Konferenzen,
Prozenten oder Aktenstaub befassen.
Man müßte Konfession und Stand verlassen
und eines schönen Tags das Leben schwänzen.

Es gibt beinahe überall Natur,
- man darf sich nur nicht sehr um sie bemühen -
und soviel Wiesen, die trotz Sonntagstour
auch werktags unbekümmert weiterblühen.

Man trabt so traurig mit in diesem Trott.
Die anderen aber finden, dass man müsste...
Es ist fast so, als stünd man beim lieben Gott
allein auf der schwarzen Liste.

Man zog einst ein Lebenslos "zweiter Wahl".
Die Weckeruhr rasselt. Der Plan wird verschoben.
Behutsam verpackt man sein kleines Ideal.
- Einmal aber sollte man...
 
Mascha Kaléko

Schön, oder? Früher nannte man die Menschen, die das einfach machten, Lebenskünstler. Ich weiß nur gar nicht, ob es inzwischen überhaupt noch welche gibt. Ich finde ja, es gehört eine ganze Menge Mut dazu. Und mindestens ein Sponsor ;)

Quelle Foto: weheartit.com-entry-35519119.jpg

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