Donnerstag, 12. April 2012

Alles, was wir wollen, Baby, ist ALLES

Letzte Nacht habe ich nur zwei Stunden geschlafen und mich ansonsten ruhlos hin und her gewühlt, die Kissen aufgeschüttelt, immer wieder neu, sie schlussendlich aus dem Bett geschubst und dennoch nicht die richtige Ruheposition finden können.
"Das macht der viele Sport, ich kenn das, war bei mir am Anfang auch so", wurde mir bescheinigt.
Vielleicht ist das so.
Also liegt es an den freigesetzten Energien, die einen Wirbel in meinem Kopf veranstalten und mein Ich hungrig, gierig machen...



Irgendwie hab ich schon vor längerer Zeit aufgehört, alles und jedes zu hinterfragen oder gar auch verstehen zu wollen.
Der Kommentator meines letzten Posts bescheinigt mir eine Aggressivität bei einer Thematik, die mich überhaupt nicht aufregt, aber meinen Geist anregt - gleichwohl jedoch ein Hinweis, der mir so nicht neu und somit nicht unbekannt ist - allein weiß ich nur noch nicht, woher es rührt.
Zumindest das beschäftigt mich, die Ursache der Aggressivität. Ja, doch, die Wirkung auch. Immerhin - niemand, der mich kennt, kennt mich aggressiv. Würde ich jetzt mal behaupten.
Gleichwohl bin ich weder frustriert oder enttäuscht oder wütend. Ganz im Gegenteil. Keine Attribute, die Aggressionen schüren oder wenigstens erklärten.
Vielleicht ist es einfach nur... eine Häutung? Etwas von mir abstreifen und zurücklassen, damit etwas Neues, Kraftvolles entstehen kann?? Mein wirkliches Ich?



Es ist beinah zehn Jahre her, da bescheinigte mir ein Mensch, der mich im Grunde überhaupt nicht kannte: "Du bist eigentlich gar nicht du selbst. Du bist jemand, der eine zweite Haut übergezogen hat und der sie sich so zu eigen machte, dass er glaubt, diese Haut sei seine Haut"....
Er kannte mich nicht. Aber er ERkannte mich. Augenscheinlich.
In den fünfzehn Jahren meiner damaligen Ehe habe ich nichts von dem getan, das ICH bin. Ich habe keinen Pinselstrich gemalt. Ich habe kein einziges Wort geschrieben. Ich habe nicht getanzt und nicht gesungen. Dafür habe ich allen Erwartungen entsprochen, in der Familie, in der Firma, als Hausfrau, Geliebte und Mutter. Na ja, den meisten wenigstens.  Oder sagen wir: Ich hatte es versucht. Ernsthaft versucht. Immerhin. In dem Glauben: Ich beweis es euch allen, ich schaff das.
Eines Tages habe ich meine Sachen gepackt und bin gegangen. Scheiße, was hatte ich für eine Angst vor diesem Schritt - und wie gottverdammt lange habe ich gezögert, diesen zu gehen. Aus Angst, die in mir geschürt wurde. Aus Angst, die mir eingeredet wurde. Aus Angst vor mir selber.

Die Freiheit
ist eine Treppe mit tausend Stufen,
kein Fahrstuhl.
(Hans Kasper)


Du denkst, du triffst eine Entscheidung und fortan ist alles gut.
Du denkst, du zerreißt die Fessel und fortan bist du frei von allem.
Du befreist dich und glaubst allen Ernstes, dass es dir ab morgen schon gut geht.

Die Wahrheit ist:
Du leidest wie ein Hund und während du nicht aufhören kannst zu weinen, zu reden, werden die Menschen um dich herum ungeduldig und müde und putzen sich die Fingernägel, während du voller Verzweiflung in den Teppich beißt. Du fällst tief und immer tiefer und du glaubst, dir wird ganz schwindlig von diesem freien Fall und du glaubst, nichts hält diesen Fall auf und so wirst du irgendwann hart aufkommen und an diesem Aufschlag zerbrechen.
Die Haare fallen dir aus und die Fingernägel brechen dir weg, das Blut läuft dir weg wie Wasser - weil du weder essen noch schlafen kannst und während du tagsüber liebevoll für deine Kinder sorgst, zerbeißt du nachts die Kissen, weil du nicht willst, dass sie dein Weinen hören. Du weißt, dass du mehr als nur die Verantwortung für sie trägst, und trotzdem stehst du am Fenster, dein Körper verletzt von Menschen, deren Überlegenheit die reine körperliche Kraft gewesen war, deine Seele fast zerstört  - und du lehnst die Stirn an das kühle Glas und schließt die Augen: "Lass dich einfach nur fallen... Dann ist alles vorbei und niemand mehr kann dir auch nur irgendetwas anhaben."
Aber ernsthaft vor hast du das nicht, weil neben deiner Liebe zu deinen Kindern tief in dir auch die Hoffnung und die Zuversicht leben, dass jedes Leben, jedes einzelne Leben für eben jeden etwas ganz Wundervolles bereithält. Auch für dich.
Du glaubst nicht, dass du noch einmal lieben kannst.
Du glaubst, dass das, was du bereits gelebt und gefühlt hast, das Großartigste war - bis du irgendwann begreifst, dass Träume, die auf Sandburgen gebaut wurden, allerhöchstens Seifenblasen gewesen sind, schillernd und unsagbar schön - aber die bei ihrer Berührung zerplatzen.




Die Wahrheit ist:
Diese Zeit des Wartens, des Erkennens, des sich Lösens von Träumen und Wünschen ist für dich eine emotionale Hölle, ein ständiges Aufstehen und wieder Stürzen, und deine Knie sind so blutig und vernarben so wie du glaubst, dass deine Seele vernarbt. Und du zu nichts Reinem, Ernsthaftem, Aufrichtigem mehr in der Lage sein kannst. Und du fragst dich: Wenn so viele Menschen nur mit ihrem Freund, ihrem Mann zusammen sind und bleiben, weil sie etwas anderes nicht bekommen konnten - warum sollst du dann das Glück haben, jemals (noch einmal) tief und unverwechselbar lieben zu können?

Die Wahrheit ist aber eben auch:
Jeder Mensch, der aufrichtig liebt und gibt, der aufrichtig wünscht und sehnt - der wird eines Tages wissen, dass jedes Stolpern, jeder Sturz, jedes blutige Knie, jede durchweinte Nacht unbedingt notwendig war, wenn du mehr über dich wissen willst als das, was dir jeden Morgen im Spiegelbild begegnet. Und dass du unbedingt all dieses Wissen brauchst, wenn du eines Tages mit dem Menschen neben dir das Wort Glück in den Himmel schreiben willst und weder du noch der andere neben dir nach der ersten Euphorie zu einem Möbelstück geraten sollen. OK, das ist meine ganz persönliche Erfahrung. Und somit meine ganz persönliche Meinung. Teile sie oder nimm dir etwas daraus mit. Das, was du willst. Oder auch nichts. Finde deine eigene Wahrheit.

Vor gut zehn Jahren erreichte mich eine Postkarte mit den Worten:
"So ernsthaft, wie du die Liebe suchst, wird sie dich auch finden."
Und genauso ist es gekommen. Irgendwann. Eines Tages.
Es ist nicht so, dass du nichts dafür tun musst. Es ist auch nicht so, dass sie an deine Tür klopft und sagt: "Komm, hör auf zu weinen, jetzt bin ich da."
Es ist wohl eher so... dass du immer noch sehnst und träumst und fühlst und auch suchst... Und während du  gerade über deiner Steuererklärung brütest, macht es Pling - egal ob du es gerade erwartet, erhofft oder erbeten hast. Es ist da.

Ich habe niemals bereut, (los)gegangen zu sein.
Ich habe immer nur gedacht: Wieso habe ich das nicht eher getan? Wieso habe ich mir so wenig zugetraut? Wieso habe ich mich nicht getraut?

Zehn Jahre also hat es gedauert, mir diese zweite Haut abzustreifen und zu mir selbst zurückzufinden. Bin ich also derzeit gar nicht wirklich aggressiv, sondern ist in Wahrheit dieser Akt der Häutung die Summe all der ungelebten Emotionen, die ich mich nie wagte zu sagen, zu zeigen, weil ich mich damit zu wenig liebenswert hätte fühlen können? Bin ich gerade also zu unduldsam, zu ungeduldig, zu direkt, zu ehrlich, zu unsanft und auch ungerecht, weil ich erst noch herausfinden muss, was von diesem Prozess danach noch Meins ist und was nicht?
Ich kann das alles noch nicht recht beantworten oder gar einschätzen. Entscheidend ist doch eigentlich nur... am Ende des Tages bei mir selber anzukommen.

Als ich damals auszog, habe ich nichts erwartet oder erhofft. Nur eine vage Vorstellung im Kopf gehabt und ein Bewusstsein dessen, was ich NICHT wollte. Ich würde also sagen: Der Strudel der Ereignisse riss mich einst mit sich. Und als ich wieder auftauchte, ist mir das Beste passiert, das mir je passieren konnte:
Das Leben.
und kein bisschen weniger

Keine Kommentare: