Sonntag, 19. Juni 2011

Verpasste Abfahrtszeiten

Wer es bis heute noch nicht weiß: Zu meinem Haushalt zählen zwei Söhne, die mit ihren 15 und 21 Jahren durchaus in der Lage sind, neben dem gut gefüllten Kühlschrank zu verhungern, weil sie
A: nicht in der Lage sind, diesen zu öffnen und sich auch mal etwas zuzubereiten bzw.
B: dazu eigentlich schon in der Lage, aber mit einem ausgesprochenen Faulheits-Gen gesegnet sind.
Nun könnt Ihr sagen: Selber schuld, alles eine Frage der Erziehung.
Und das Schlimmste ist, Ihr hättet damit auch vollkommen recht.
Also beklage ich mich nicht, ich rede nur ab und an gerne darüber.
Ich meine, ich bin im zarten Alter von 21 Jahren zum ersten Mal Mama geworden - und ich kann gut & gern von mir sagen: Nein, eine Glucke war ich nie! Keine, die jemals oder gar jetzt noch das Taschentuch zückt, anleckt und möglichst auf offener Straße dem Kind den Marmeladenrest aus dem Mundwinkel wischt. Keine, die morgens die Sachen zurechtlegt oder die Brötchen geschmiert und belegt auf deren Frühstücksteller serviert. Zum Beispiel. Gerade auch in meinen jungen Mama-Jahren war ich eher die Art von Mutti, die nicht indianertanzlike und mit Fangnetzen in der Hand um den Baum tanzte, auf den die Kinder kletterten, sondern die währenddessen entspannt beim Käffchen in einem Buch las und nach dem Absturz des Kindes ehrlich erstaunt fragte: "Ach, war der Baum doch so hoch?"
Ich fand mich immer ganz liberal, ich fand mich immer ganz entspannt und relaxt (wenn nicht gerade meine Sicherungen durchbrannten), während sich der Vater meiner Söhne regelmäßig in den Wahnsinn getrieben fand: "Kannst du denn nicht wenigstens e-i-n-m-a-l in deinem Leben vorausschauend denken?!!!"
Vorausschauend... Ich weiß nicht, diesen Zug habe ich regelmäßig verpasst.
Verpasst den Moment, wo die Kinder sich laut dem "Kleinen Ein-mal-eins der pädagogisch wertvollen Kindererziehung" die Schuhe selbst zubinden, sich allein anziehen, allein ihr Zimmer aufräumen und allein das Abtrocknen des Geschirrs bewältigen konnten. Zum Beispiel!
Nun muss ich zu meiner Verteidigung sagen: Vieles habe ich einfach aus Zeitmangel selber erledigt. Wenn 6 Uhr morgens die Kita öffnete und du selber 6.30 Uhr im Nachbarort deinen Dienst antreten solltest, deine Kinder aber auch nicht mit mir um 3.30 Uhr den Tag beginnen sollten (schließlich bildet sich in Kindertagen nächtens das Gehirn, hab ich mal gelesen, und immerhin musste damit der Schlaf Mamas schwaches Mathe-Gen und Papas schwaches... - ok, reden wir nicht darüber - kompensiert werden), dann konntest du einfach nicht geduldig abwarten, bis die Kinder ihre Schuhe selber an- und wieder ausgeknispelt hatten. Nur mal so... als Beispiel.
Der Mensch an sich ist ja ein Gewohnheitstier und ich muss sagen, neben meinen Söhnen gewöhnte auch ich mich an dieser Art Abläufe. Hauptsache, ich konnte meine Mucke bis zum get-no aufdrehen, die Hüften rhythmisch zum Feudel schwingen - dann flutschte alles nur so von Mamas Hand und bereitete es mir auch keine Bauchschmerzen, dass meine Jungs eventuell unzureichend auf ihr späteres Leben vorbereitet würden.
Dass man Kinder am Haushalt beteiligen kann, ohne deshalb wegen moderner Sklaverei an den Pranger gestellt zu werden, entdeckte ich erst mit den Jahren der Alleinherrschaft über Topf & Deckel. Besser spät als nie, oder? Was ich nur leider auch feststelle ist, dass ich mir zwar immer noch kein gluckenhaftes Mutti-Verhalten angewöhnt habe, jedoch mit fortschreitendem Alter dazu neige, bei jedem freien Schritt, den die Kinder tun wollen, eine Art Fangnetz bereitzuhalten. Ja, loslassen ist wirklich schwierig!

Am heutigen frühen Sonntagmorgen, die Uhr zeigte etwa 11:34 Uhr, wagte ich jedenfalls den 1. Schritt in das... ähm... (Kinderzimmer darf man ja nicht mehr sagen)... in die "forbidden zone" (ja, das gefällt ihnen, das mögen sie), nur um zu gucken, wer von denen denn das heutige Frühstück zubereiten würde. Nun, was soll ich sagen. Keiner natürlich. Der eine war vermutlich erst drei Stunden zuvor von der nächtlichen Sause heimgekehrt und lag noch entsprechend im Koma, der andere schlief aus mir noch unerfindlichen Gründen ebenso noch tief und fest und nach dem bestandenen "ja-ich-atme-noch"-Test war ich mir relativ sicher, dass die "feste Essenszeiten"-Regel für meine mehr oder minder erwachsenen Söhne lange vorbei sein durfte, sie weder an Unterernährung sterben und mich auch nicht beim Jugendamt der Nichtfürsorge bezichtigen könnten und so ließ ich sie einfach weiterschlafen und ihr Frühstück ganz salopp ausfallen.
Noch vor wenigen Jahren hätte mir als pflicht- und verantwortungsbewusste Nicht-Glucke genau das Bauchschmerzen bereitet, aber heute... schreite ich lächelnd und wissend und kommentarlos und vor allem gewissenlos aus ihrem Zimmer, während sie sich lautstark beschweren, dass sie sich heute zum Beispiel nicht an einen von Muttis Hand gedeckten Tisch setzen konnten, dafür aber mein Wägelchen reinigen und endlich mal meine Sommerreifen draufziehen dürfen.
Tja.
"Wer nicht kommt zur rechten Zeit..." hieß es schon in meinen Kindertagen. Wenigstens diesen Zug habe ich nicht ganz verpasst.

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