Sonntag, 28. Februar 2010

Ich Sehe Was, Das Du Nicht Siehst

Also das Wichtigste gleich mal zuerst: Ich bin vollständig rehabilitiert.
Heißt: Ab dem morgigen Tag hat die Welt mich wieder, vor allem die Arbeitswelt - von früh bis spät. Ob sie das erträgt, weiß ich nicht. Ob ich das ertrage, weiß ich erst recht nicht ;-)
Ich weiß nur, dass das vergangene Jahr mich extrem viel Kraft gekostet hat, in so ziemlich jeder Hinsicht. Und ich bin froh, dass ich 2009 hinter mir lassen konnte. Dass ich irrsinnig viel Lebensfreude in jedem Zentimeter von mir von dem Moment an verspürte, kaum dass die ersten Sonnenstrahlen einen Hauch von Frühling mit sich brachten. Nein, ich bin keiner, der mit der Masse meckert und sagt: "Schluss mit Winter, genug davon." Dennoch genieße ich es sehr, morgens in mein Wägelchen zu steigen und nichts freikratzen zu müssen, nicht in die eiskalten Hände hauchen zu müssen, keine Angst haben zu müssen, von der vereisten Straße zu rutschen. Ja, gehört auch alles zum Winter, trotzdem bin ich froh. So wie ich auch froh war, als ich nach einigen Stunden Fahrt heut Abend in mein kleines süßen Zuhause kehrte und sah, dass die Tulpen noch längst nicht verblüht waren.




Und so öffnete ich Türen und Fenster, ließ milde Abendluft in mein Heim, drehte die Musik auf, entpackte Taschen und Tüten, sang und tanzte durch die Räume und lebte eine Freude, die mir in den letzten Wochen und Monaten ziemlich abgegangen war.




Also bitte versteht mich nicht falsch: Auch aus gegebenem Anlass muss ich hier unbedingt anmerken, dass es mich zuletzt oftmals in die Knie gezwungen haben mochte, jedoch niemals, wirklich niemals habe ich mit dem Gedanken gespielt aufzugeben. Mich selbst aufzugeben. Für den einen oder anderen mochte ich so geklungen haben. Für den einen oder anderen mochte ich auch nicht mehr die Helma gewesen sein, die sie im Grunde kannten. Und vielleicht bin ich es auch gar nicht mehr. Vielleicht bin ich heut ein anderer Mensch. Ich stelle mir hier gar nicht die Frage, ob besser oder schlechter - nur anders. Früher zum Beispiel war ich wesentlich impulsiver, ich hab einfach drauflos gelebt, gelacht, geredet, wie es mir gerade in den Sinn gekommen war - und ohne darüber nachzudenken, wie ich auf die Menschen gewirkt haben mochte. Klar, dass hat nicht nur Missverständnisse mit sich gebracht. Ebenso musste ich die Erfahrung machen, dass es zuweilen auch Verletzungen mit sich bringen kann, auch wenn es niemals meine Absicht gewesen war.
Wie ist es heute? Heute neige ich dazu, meine Empfindungen und Gedanken in mir selbst und mit mir selbst zu verarbeiten. Ich erlebe die Menschen und die Welt um mich herum, lasse sie oft auf mich wirken, oft ohne zu fragen oder etwas zu sagen. Zumindest brauche ich heute mitunter eine ganze Weile, ehe ich meine Gedanken zum Ausdruck bringen kann. Ich nehme es an, als ein Geschenk oder nicht, doch was mich immer berührt, ist das Dazwischen...
Das, was zwischen den Zeilen steht.
Das, was in den Gesten steckt.
Das, was unausgesprochen im Raum hängenbleibt.
Das, was ich sehe und Du nicht.
Mit all diesen Eindrücken, Gedanken und Empfindungen vergrabe ich mich in meiner Musik, schwinge mich auf meine Rollschuhe, male, schreibe - oder dekoriere meine Wohnung neu. Und wenn ich gar nicht mehr weiter weiß, dann laufe ich zu einem Menschen, dem ich alles sagen kann, wo ich meinen Kopf auf seine Beine legen und weinen kann, ohne mich auch nur für irgendetwas schämen zu müssen, ganz gleich, ob es recht oder unrecht war, das ich tat.
Inzwischen habe ich gelernt, dass es nicht immer etwas zu sagen, nicht immer etwas zu tun gibt. Ich habe gelernt, dass manches die Zeit mit sich bringt - oder auch nicht. Und dass es entscheidend ist, dass man immer jemanden bei sich, mit sich, um sich weiß, zu dem man eben gehen kann. Das ist mit nichts zu bezahlen. Ich weiß noch, in früheren Zeiten... Da hatte ich ein Einkommen, ein Auskommen, eine - wie man so sagt - gut situierte Familie (zumindest nach außen). Oder - wie man auch sagt - ein goldener Käfig. Als ich diesem Käfig entflohen war, fand ich mich beinah ganz allein wieder. Mein erster Geburtstag in "Freiheit", auf den ich mit mir selber anstieß. Mein erstes Weihnachten in "Freiheit", auf das ich mit soviel Rotwein anstieß, bis es nicht mehr schmerzte.
Dennoch... Wie heißt es doch so schön: "Der Schmerz ist es, der dich lehrt, wer du wirklich bist."
Heut bin ich ein Mensch, der gern allein ist, der aber nicht allein leben, sein Leben nicht allein verbringen möchte.
Heut bin ich ein Mensch, der mitunter allein, aber nicht einsam ist - weil es Menschen gibt, die an den guten Dingen in mir graben wie die Schatzjäger - und die sich nicht nur mit mir freuen, wenn es mir gut geht, sondern auch mit mir weinen, wenn es mir nicht gut geht.
Heut bin ich ein Mensch, der sich mehr und mehr von Vergangenem löst und auf das Neue freut.
Heut bin ich ein Mensch, der noch immer gern Dinge vor sich her schiebt, bis es beinah pressiert; der - wenn überhaupt - erst beim dritten Mal Klingeln ans Telefon geht; der Gewohnheiten gern mal zu ungeschriebenen Gesetzen umfunktioniert, wenn es ihm passt; der beinah täglich seine Überzeugungen ändern kann, nicht aber die Dinge, an die er wirklich ehrlich glaubt; der auch zum tausendsten Mal seine Schere sucht, weil er nicht weiß, wo er sie zuletzt hingetan hatte; der so gut mit Improvisationen leben kann, bis es ihm erscheint, als sei es niemals anders gewesen - und der aber noch immer tolerant genug ist, Euch allen genau das auch zuzugestehen und so ziemlich jede Lebensform zu akzeptieren und zu tolerieren - solange es niemanden verletzt.
Ob das nun gut ist oder schlecht, genauso wie früher oder doch anders... Wie gesagt, ich finde entscheidend, dass man immer jemanden mit sich weiß, auf den man sich verlassen kann.
Ich pack mir jetzt erst mal ein paar Gelee-Bonbons aus. Das ist die so ziemlich einzige Konstante, die ich mir aus dem früheren Leben bewahrt habe ;-)


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