Montag, 28. September 2009

Wenn Ein Schwan Singt

An diesen Song von Karat musste ich heute Morgen denken.
Nach dem ersten Schock.





Stell Dir vor, Du setzt Dich morgens in Dein Auto, legst Musik ein und begibst Dich auf den Weg in die Arbeit.
Du fährst der Sonne entgegen, es ist kalt (weil der Wärmetauscher noch immer defekt ist und Du noch immer keine Alternative ergründet hast) - aber Du fühlst Dich wohl nach einem entspannten, wunderbaren Wochenende. Eins, von dem Du denkst: So könnte es immer sein.
Aber natürlich sicherlich auch gut, dass es eben nicht immer so ist, Ihr wisst ja, wer immer auf dem Gipfel steht, verliert das Bewusstsein für eben jenes Glücksgefühl des Erreichten...
Jedenfalls, Du fährst mit einer Dir eigenen Leichtigkeit, Du bist im Reinen mit Dir und der Welt, auch wenn der Schmerz, der Dich am Wochenende beinah völlig losgelassen hat, wieder zurückgekehrt ist.
Auf den letzten Metern zu Deinem Büro siehst Du ein Auto - unsanft gelandet am Schild einer Verkehrsinsel. Und Du denkst: Oh Mist, das arme Schwein, sowas zum Montagmorgen...
Und dann stehst Du an der Ampel, vielleicht fünf Meter vor dem Verunfallten, und dann siehst Du sie, seine Füße, seine Beine und Du denkst... Moment... der liegt ja daneben?
Deine Augen sehen, was Dein Kopf gar nicht so schnell verarbeiten kann.. Die beiden Polizisten, die teilnahmslos danebenstehen - fehlte nur noch, sie steckten die Hände in die Taschen. Die beiden Passanten, die verzweifelt Herz-Druck-Massage ausüben und einer dann aufsteht und die Schultern hochzieht...
Du hast noch nie so sehr auf die Grün-Phase gehofft... Und musst so lange zusehen, was Dir an die Nieren geht... Helfen kannst Du nicht - es sind ja schon Helfer da. Und gaffen - wie sehr ich das Gaffen hasse! Aber Du kannst ja nicht weg... Und der Mensch liegt da, reglos, und Du fragst Dich: Hat er eine Frau, hat er eine Familie? Haben sie heut Morgen noch gemeinsam gefrühstückt, bevor jeder in die Arbeit fuhr und nur einer kehrt wieder heim? Großer Gott, wie muss die Frau sich fühlen, wenn sie denkt, alles ist wie immer - und dann kommt die Polizei: "Wir müssen Ihnen etwas mitteilen".. ??? Ein Tag wie immer, dachtest Du, und innerhalb von Sekunden ist alles ganz anders? Wie oft hören wir das jeden Tag in den Medien, aber wie sehr anders fühlt es sich an, wenn es fünf Meter vor Deinen Augen passiert??
Ein paar Minuten später, Du bist im Büro, hörst Du den Alarm des Krankenwagens und eine halbe Stunde später kommt der Chef in das Büro: "Da draußen liegt einer, den haben sie schon zugedeckt"...
Fassungslos waren wir alle - irgendwie... Was Du eben immer nur aus Entfernung in den Medien hörtest, spielt sich direkt vor Deinen Augen ab - und das macht Dich so hilflos... Und erinnert Dich daran, worum es im Leben wirklich geht... Und Du hoffst, dass, wenn er Frau und Familie hat, sie sich nicht im Streit trennten. Das ist sicherlich kein Trost, aber... es machte es doch alles sonst noch viel schwieriger, oder nicht?
Irgendwie... war ich den ganzen Rest des Tages neben mir... und wünschte, ich wäre längst daheim - bei den Menschen, die ich liebe; bei meinen Kindern, bei meiner Familie.
Und die Erinnerung ist wieder da... Auf den Tag genau vor zwei Jahren... Der Unfall meines Lieblings-Kollegen. Bis heute kann ich nicht glauben, dass er wirklich nicht mehr wiederkommt. In meinem Kopf noch die Erinnerung an unseren letzten gemeinsamen Tag, abends im Büro, wir balgten uns um das letzte Stück Kuchen... Und nur ein paar Stunden später der Anruf des Chefs "...er ist tödlich verunglückt..."
Bis heute sehe ich ihn mit uns in der Runde sitzen, wenn wir unsere Besprechungen führen. Ich sehe ihn sitzen, wo er immer saß, mir schräg gegenüber, ich sehe sein leicht ironisches Grinsen und sein verschwörerisches Augenzwinkern, das er mir zuwirft. Und bis heute habe ich das Gefühl, er ist immer noch da. Bis heute kann ich sein Foto nicht in unserem Büro aufhängen.

Der Termin heut in der Neurologie, der Termin bei der Krankenkasse, der Einkauf, der Kostenvoranschlag aus der Werkstatt... Alles ist irgendwie neben mir abgelaufen. So als hätte ich das Gefühl, mich hier nur mit Nichtigkeiten aufzuhalten, anstatt dort zu sein, wo ich wirklich sein wollte...
Oh Mann.
Wie sehr habe ich meinen Jungen geherzt und geküsst für die drei Dreier, die er in schriftlichen Arbeiten heut heimbrachte. Er war schon etwas erstaunt: "...aber es waren doch nur Dreien..."
Egal. Er war da, er war gesund, es ging ihm gut und... außerdem... Mit einem Dreier kann er nicht sitzen bleiben ;-)
Jetzt muss ich nur noch meinen Großen interviewen, ob die erste Fahrt so ganz allein gestern Abend auch wirklich gut gegangen ist. Dann... ist für den Moment auch meine Welt wieder in Ordnung. Im Großen und Ganzen...

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