Donnerstag, 23. April 2009

Eine Fünf Für Mami

Heute habe ich zum allerersten Mal erlebt, dass mein Sohn weder lächelnd noch mit Kussmund vor der Wohnungstür stand. Kaum hatte ich ihm die Tür geöffnet, flogen die Turnschuhe in die eine Ecke, der Ranzen mit einem Fußtritt in die andere Ecke, dann warf das Kind sich auf sein Bett und brach in Tränen aus. 
Bisher habe ich erst ein einziges Mal erlebt, dass er seiner Verzweiflung so offen Luft gemacht hat - aber heimgekommen ist er so noch nicht. Noch bevor ich die Tür schloss, wirbelten mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf: Er ist gehänselt worden. Er ist von einer Gang angepöbelt worden. Vielleicht ist er sogar geschlagen worden??? Ehrlich, ich war ganz schön erschrocken, hab mich zu ihm gekuschelt und vorsichtig gefragt, was passiert sei. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er antwortete - und in dieser Ewigkeit checkte ich mit einem Blick den Körper ab, aber Verletzungen oder Risse in den Klamotten waren nicht zu sehen. Erste Erleichterung. Dann...
"...Ich hab ne Fünf in Deutsch! Ich hasse sie! Diese blöde Kuh! Ich kann machen, was ich will - es ist einfach immer falsch!" Im ersten Moment war ich erleichtert... Also keine Prügel bekommen.
Aber... Moment... 
"Mutti, ich bin jetzt in Deutsch kurz vor der Fünf! Wenn ich meine Note Zwei in Kunst nicht halten kann, bleib ich sitzen! Dann wander ich aus! Ich geh woanders hin! Wo mich niemand kennt! Lass uns umziehen - bitte! So schnell wie möglich! Noch in diesem Schuljahr, damit ich das auch schaffe!"
Ich habe ihn gestreichelt und tief durchgeatmet, bevor ich fragte: "Wofür hast du denn die Fünf bekommen?"
"Für die Bildbeschreibung!" quetschte er zusammen mit neuen Tränen heraus.
Und ich erinnerte mich. Erinnerte mich an den Abend auf meiner Kuschelwiese, als wir gemeinschaftlich über das Bild diskutierten, berieten und schlussendlich im Internet nachschlugen. Nicht nur er - auch ich hatte danach ein richtig gutes Gefühl. Eine gelungene Hausaufgabe. Und wo bitte steht geschrieben, dass die Mama bei den Aufgaben nicht unterstützend eingreifen darf? OK, zuviel Hilfe sollte es sicherlich nicht werden, aber... Mein Gott, es war ein Sonntagabend, das Kind war bereits satt und müde und beinah bettfertig und ich als Mama werde immer gleich nervös, wenns Kind zu lange trödelt. Es braucht auch mit 13 Jahren noch seinen Schlaf. Insofern... ist die Fünf eigentlich eher für mich denn für ihn. Nur - was hatten wir denn falsch gemacht? 
"Was hat sie denn gesagt?" fragte ich ihn.
"Dass es sehr ordentlich geschrieben ist. Und dann diesen Satz, der mir schon zu den Ohren rauskommt: Dass ne Vier  bedeutet, man hätte die Hälfte richtig, aber ich hätte nicht mal die Hälfte."
Und genau das konnte ich mir so nicht vorstellen. Sicherlich, die Anforderungen sind gestiegen und wenn ich damals in meiner Schulzeit immer eine Eins in Deutsch hatte, so hätte ich vielleicht heute bloß ne Zwei oder so. Aber eine Fünf?? 
"Zeig mir doch mal bitte die Arbeit."
Und ich konnte mir selbst nach Sichtung der Beurteilung nicht erklären, warum er... ähm... warum ich diese Fünf bekommen hatte. Ich weiß echt nicht wofür! Sicherlich sind ein - zwei Sachen etwas ungenau beschrieben - aber eine Fünf??
"Ich muss mal mit deiner Lehrerin sprechen", sagte ich schließlich. Was dem ohnehin schon verzweifelten Kind neue Tränen entlockte: "Nein, mach das nicht! Dann wird alles noch schlimmer. Das war bei den anderen auch so! Das halt ich nicht mehr aus!"
Ob man hier schon von Mobbing sprechen kann? Immerhin geht es schon seit zwei Jahren so, dass er sich nicht wohl fühlt - und erst jetzt zeigt er es...
"Spatzl... Wir müssen noch zum Impfen heute."
"Ohhhhh neeeeeiiiinnnn!" Und mit dem Ausruf "Die ganze Welt ist heute gegen mich!" warf er sich erneut in die Kissen und brach in Tränen aus.

Inzwischen ist es 20:08 Uhr geworden, der Kleine hat seine Impfung locker überstanden, einen Döner zur Belohnung bekommen, für die morgige Klassenarbeit in Deutsch hat er gelernt - und ausgeglichen ist er auch wieder. 
Und ich... Ich bin ehrlich gesagt extrem froh, dass das alles gerade jetzt passiert. Jetzt, wo ich nur vier Stunden pro Tag arbeiten muss und damit die Zeit für ihn hab, die er auch braucht. Ihn auffangen kann, wenn er es braucht. 
Und trotz der Fünf... Werde ich ihm auch in Zukunft bei Hausaufgaben helfen. Pah. Das wäre doch gelacht. Jetzt erst recht, damit sies weiß.
Eure kampflustige Helma

Keine Kommentare: