Montag, 15. April 2024

B wie Berta

 Und da ist sie nun - die B-Reihe. Hatte dieser Tage überlegt, ob ich die noch aufschiebe, weil mir irgendwie nicht wirklich ein paar passende B-Worte einfallen wollten, zu denen ich mich auch auslassen könnte - aber ich versuchs trotzdem mal.

B wie Berta oder 

B wie berührt

Ich habe mich in all den Jahren, die ich mich kenne und die ich mich am Bruttosozialprodukt des Landes beteiligen darf, immer als einen Menschen in zweiter Reihe empfunden. Die, die im Hintergrund wirken (und würgen). Die, die zuarbeiten. Serviceorientiert, aber immer im Hintergrund eben. Insofern hat mich das wirklich sehr überrascht, als vor nunmehr genau einundzwanzig Jahren jemand, der es gar nicht wissen konnte, weil er MICH doch gar nicht kannte, über mich sagte: "Um die musst du dich nicht sorgen, die ist ein Macher. Die ist stark, die schafft das." Und das in einer Lebensphase, in der ich mich selbst als sehr zerbrechlich empfand - und auch ziemlich in Scherben am Boden lag. 
Man hat ja dann nur zwei Möglichkeiten: Entweder man bleibt liegen - oder man steht auf und geht los.
Ich hatte mich für das Losgehen entschieden. Auch wenn das anfänglich eher einem Humpeln glich - mit xfach verpflasterten Knien. Aber wenigstens ging ich los. Beruflich und privat. Letztlich gab es ja auch gar keine Alternative. Da saßen zu Hause zwei Minderjährige, die darauf vertrauten, dass immer zu essen, zu trinken und anzuziehen war. Und was zum Spielen. Und Schokolade.
Eine scheiß Zeit. Einfach war das nicht. 

Als es vor gut drei Jahren hieß, man habe diese und jene Pläne mit dem Unternehmen und welche Rolle ich selbst dabei einnehmen sollte, hielt ich das entsprechend schlichtweg für einen Witz. Das habe ich wirklich nicht ernst genommen. Doch dann war die Zeit des Umbruchs heran - und mir wurde tatsächlich diese Rolle zugeteilt. Ein Moment, in dem ich vor mir selber Angst bekam. Sollte ich das machen? Konnte ich das überhaupt? Glich das nicht einem Harakiri - oder wenigstens einer Idiotie?
Jetzt könnte man sich denken: Okay, man läuft ein paar Monate oder eben die vereinbarte Zeit von 1,5 Jahren mit, guckt sich was ab und dann schauen wir mal.
Die Realität war und ist aber eine ganz andere.
Stichwort Controlling: Controlling gestaltete sich bisher so, man nahm eine Rechnungskopie, heftete diese in Monat X ab und kontrollierte im Folgemonat, ob das Geld eingegangen war. Was es auch zu 99,9 % war. Ob Projekte im Plus oder Minus abgeschlossen wurden - who cares? Solange für den Inhaber des Ladens am Monats- und auch am Jahresende genug Geld über war, genügte das. Was das bedeutete, anfangs für 8, dann für 10, streckenweise für 35 und aktuell für ca. 25 Mitarbeiter zu sorgen bzw. dafür zu sorgen, dass am Monatsende immer Geld da war, um nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch alle entsprechenden Rechnungen zu bezahlen - das ist eine Verantwortung, von der ich immer dachte: DAS könnte ich nicht.
Und jetzt muss ich es. Ich muss ein Controlling aufbauen; dazu muss ich aber wissen, was ich brauche, wo ich hin will. Basics? Haha. Begleitung? Hahaha. Einarbeitung? *Kreisch!!*
Mir sind Begriffe um die Ohren geflogen, von denen ich noch niemals etwas gehört hatte.
Ich weiß gar nicht, wie viele Nächte ich schlaflos lag. Dieser Druck im Nacken, gemeinsam mit dem neuen jüngeren Geschäftsführer alles zu wuppen, für alles zu sorgen, für alles einen Plan - und ein offenes Ohr für die Mitarbeiter zu haben. Die Contenance zu wahren auch in Momenten, wo es Dir nicht so leicht gemacht wird. 

Und dann dieser eine Moment, wo der Mitarbeiter sich bedankt für die Zuwendung zum x-ten Firmenjubiläum. Der sich Dir und dem neuen GF zuwendet und sagt: "Ich möchte das mal zum Anlass nehmen, Euch zu danken. Dafür, dass ihr das hier übernommen habt, dass ihr das macht. Und ich kann nur für mich sprechen, aber ich finde, ihr macht das beide richtig gut."

Das war dann dieser Moment, wo all der aufgestaute Druck, die schlaflosen Nächte, das Hin und Her mit den Wirtschaftsprüfern, denen Du manches dreimal erklären und belegen musst, die Enttäuschung und der Frust der letzten Wochen und Monate, genau genommen der letzten drei Jahre ihren Tribut forderten. Ich habe ihn angelächelt und dann bin ich gegangen. Es hat mich - ich kann es gar nicht sagen - wirklich sehr berührt. Dieses einfache Danke.
Ich bin in mein Büro gegangen, Tür zu - und dann hab ich geweint. Richtig geweint, so diese Rotz und Wasser-Geschichte. Als der jüngere GF dann zu mir kam, hatte ich mich schon wieder in der Fassung, aber er sah es mir wohl an. 
"Man muss ja auch mal einen schwachen Moment haben dürfen, oder?" 
"Darfst du", antwortete er und lächelte ebenfalls.

B wie Brüder

An dieses Thema habe ich mich sehr lange nicht herangewagt. So schwer es mir im Magen lag, so sehr hats auch weh getan.
Der Mann sagt ja heute immer noch öfter, dass wir wieder zurück nach M gehen sollten.
Ich antworte jedesmal gleich: dass ich froh bin, dass meine Jungen wieder miteinander sprechen inzwischen. Dass ich sehr froh und sehr dankbar bin, dass sie mittlerweile überhaupt wieder an einem Tisch sitzen, auch wenn das nur an unserem Tisch geht.
Was genau der Auslöser dafür war, kann ich nicht mal sagen. Aber dass ich darauf Einfluss hatte, ist wohl unbestritten. Und das macht sich aus der Nähe einfach besser als Hunderte Kilometer weit weg. 
Im ganzen letzten Jahr habe ich ja öfter Gespräche mit dem Älteren geführt. Sichtweisen angehört und aufgefordert, auch mal den Blickwinkel zu wechseln. Und wie oft ich gesagt hatte "Geht nicht in so einem Streit auseinander, man weiß nie, ob man sich wiedersieht." 

Vermutlich aber war es die eigene Erkrankung, die dazu führte, eine andere Haltung einzunehmen. Er hat Symptome an sich festgestellt gehabt, die nach und nach zunahmen und dann immer deutlicher wurden. Dass es so gut und dass es überhaupt behandelbar ist, wussten wir zu dem Zeitpunkt nicht - und das war eine wirklich schwierige Zeit für uns alle. Aber es war eben auch eine Zeit, die die beiden Jungen wieder näher zusammenbrachte. Es ist nicht "alles wieder gut" - aber heute ist es so, dass sie wieder miteinander sprechen, zum Geburtstag oder einem Grillabend an einem Tisch sitzen, dass sie über Game-Chats kommunizieren und der Ältere Geburtstagspräsente heute auspackt, anstatt sie ungesehen im Mülleimer entsorgen zu wollen. 

Die Jungen sind der Hauptgrund, warum wir wieder in L wohnen. Meine Jungen und seine Mama. Vielleicht ist nicht alles so (geworden), wie wir uns das vorgestellt haben. Aber ich bin immer noch sehr froh und sehr dankbar, dass wir das gemacht haben - und wir heute hier sind. 

B wie Bombardement

Vor kurzem habe ich auf Instagram einen Artikel geteilt. Es ging um die 7 Helfer aus allen möglichen Ländern, die im Gaza-Streifen durch Israels Luftangriff getötet wurden. Jemand auf Instagram hatte all diesen 7 Helfern "ihr Gesicht gegeben", hatte jeden einzelnen gezeigt sinngemäß mit den Worten "Vergesst nicht, dass im Krieg alle sterben, vor allem die Unschuldigen; egal woher sie kommen".
Ich habe diesen Beitrag geteilt, weil ich auch heute noch der Meinung bin, dass Israels Antwort auf das Massaker der Hamas mit nichts rechtzufertigen ist. Wie viele Tausende Kinder und Frauen vor allem dort durch das Bombardement Israels sterben. Es ist grausam, was dort geschieht - und ich frage mich: Darf ein Land wie unseres ein anderes so mit Kriegsmitteln unterstützen, wenn das so ein unfassbares, so ein unvorstellbares Leiden hervorruft? Wie lange soll das dort noch so gehen - und wer hilft den Menschen, die dort leben?

Gestern Abend haben wir die Nachricht gesehen von den etwa dreihundert Bombenangriffen des Irans auf Israel. Man kam an keiner Nachrichtensendung vorbei, die das nicht thematisierte. Ich schaute den Mann an und fragte: "Wenn Israel vor zwei Wochen Syrien bombardiert hat - warum haben wir davon nichts in den Nachrichten gesehen? Und wieso ist Israel berechtigt, ein anderes Land zu bombardieren? Und Scholz stellt sich hin und sagt, Deutschland steht bedingungslos zu Israel?"

Bei Instagram hat mir auf das Posting ein Follower postwendend die "virtuelle Freundschaft" gekündigt. Das ist auch so etwas, das ich in der heutigen Zeit nicht verstehe: Es gibt nur eine einzige richtige Meinung?
Es erinnert mich an eine Talkshow zwischen Maischberger und Nuhr, in der er - einst überzeugter Grüner - sagte, dass die Grünenkultur eine Verbotskultur geworden sei. Man habe eben nicht mehr eine andere Meinung, sondern man läge falsch.
So ähnlich hab ich es schon zu Corona-Zeiten empfunden. Wer Dinge und Entscheidungen kritisch (weil nicht logisch) hinterfragte, wurde automatisch zum Aluhutträger, zum Coronaleugner und was weiß ich nicht noch. Meine Furcht und meine Bedenken im Zusammenhang mit der Impfung habe ich heute noch. Und das aus guten Gründen - was MICH betrifft. Ich spreche bei solchen Dingen immer nur für mich, weil alles andere Anmaßung wäre.
Das hat mich eine Freundschaft gekostet. Vermisse ich sie? Nein. Wer so leicht auf mich scheißen kann, dem war ich eh nicht wichtig. 

Ich frag mich trotzdem immer öfter, was in dieser Welt los ist, was mit den Menschen los ist. 

B wie Börse

Es ist schon ein paar Jahre her, da hat der Mann mich überredet, Geld in ETF-Fonds anzulegen. Wird ja oft genug gesagt, dass wir immer weiter fleißig in die Rente einzahlen dürfen, aber immer weniger herausbekommen, weil nicht genügend Jugend da ist, die den Rententopf befüllt - oder eben die Jugend Work-Life-Balance praktizieren möchte und auf Instagram in die Kamera heult, weil ihr niemand gesagt hat, wie wenig Geld man verdient und wie wenig Zeit einem nach der Arbeit noch bleibt. 

Ich kann verstehen, was gemeint ist. Andererseits.. Von ner gut bezahlten Dreißigstundenwoche kam der heutige allgemeine Wohlstand sicherlich auch nicht her.

Aber egal, nicht mein Thema heute. Was mich persönlich wirklich aufregte und ich da nen Hass kriege, ist, dass mir zu Beginn des Jahres vorsorglich erstmal Geld abgeknöpft wurde, weil ich auf mein Depot ja soundsoviel Gewinne erzielen könnte, wenn ich denn verkaufen würde.
Bisschen viel Konjunktiv dafür, dass der Staat sich erstmal Geld einstreicht?
Sicherlich - das soll ja alles wieder erstattet werden, wenn man Verluste statt Gewinne realisiert. Aber ehrlich: Wer soll DAS noch nachvollziehen können? Der Mann hat immer gepredigt: Rühr das Geld nicht an, lass es liegen, irgendwann arbeitet es von allein. Angenommen, ich lasse es jetzt 20 Jahre liegen - und bezahle brav jedes Jahr unter dem Decknamen Vorabpauschale eine Steuer, die ich unter Umständen gar nicht zahlen müsste, weil Gewinne gar nicht realisiert - wer rechnet dann die 20 Jahre zurück und wer soll das noch nachvollziehen können? 
Wenn ich jetzt schon erlebe, dass der Wirtschaftsprüfer mit einem Jahresabschluss überfordert ist und ich ihm eine einzige Position in drei Anläufen erklären muss? Ey, da krieg ich den Hass, wirklich.
Das System sagt: "Sorge selber vor, wir ham irgendwann nix mehr für dich." Und dann sorgt man vor - mit seinem eigenen ersparten, bereits versteuerten Geld - und dann wird weiter und weiter die klebrige Hand aufgehalten, weil man keine Ahnung vom Sparen hat, das Geld millionenfach straffrei verschenkt (googelt mal Scholz und Warburg-Bank) oder auch versenkt (eine Sendung Extra Drei reicht schon für nen ordentlichen Grünstich im Gesicht; aber eigentlich hat man so ein Drama täglich in der eigenen Stadt vor Augen - so wie wir hier: Innerhalb von nur 1 Jahr ganze dreimal !! dieselbe Straße geöffnet, saniert und wieder geschlossen - und das für jeweils x lange Wochen. Da wirste wirklich blöde). 

Mir vergeht da immer öfter die Lust - und am liebsten würde ich mich auf irgendeine Insel verziehen, wo mich alle mal an die Füße fassen könnten. Aber ohne meine Kinder? In einer immer bekloppteren Welt wie dieser?

B wie Bäume

Endlich ist es soweit und vor und hinter unserem Haus stehen die Bäume wieder in ihrer vollen grünen Pracht! Wie ich DAS liebe! Aber am geilsten finde ich, dass jetzt niemand mehr gucken kann, wie ich  nackt und ratlos vor dem Kleiderschrank stehen und grübeln kann :)

Den ganzen Winter über haben wir auch "Spaß" gehabt mit den Raben in all den Bäumen vor und hinterm Haus. Man kann sich das gar nicht vorstellen! Wenn wir mal nachts heimkamen und der Mann mal ordentlich in die Hände klatschte, dann flogen da um die 20 - 30 Raben aus den Bäumen. Obwohl wir so nah an einem Park wohnen, dass man denkt, da hamse doch genug Platz? Aber womöglich ist es denen da zu luftig und entsprechend zu kalt, so dass sie die Wärme zwischen den Häusern bevorzugen. Aber fragt mal nicht, was die für einen Krach machen! Morgens gegen fünf spätestens geht das los - in einer Lautstärke... vom Feinsten.
Kaum ist der Frühling da, sind sie tatsächlich alle weg. Dafür sitzen da jetzt Amseln und so und singen uns was :)

B wie bunt

Es gab eine lange Zeit, da hab ich bevorzugt schwarze Klamotten getragen. Getreu dem Motto von Jennifer Rush "Schwarz macht schlank und sieht geil aus."
Das stimmt zwar - aber es liegt nicht nur am Frühling, dass meine Kleidung immer farbenfroher wird. Vermutlich liegt es doch am Gemüt. Wie ich mich kleide, so fühl ich mich. Meistens jedenfalls. Oder so. Die Grundtendenz dürfte also passen. 

B wie Bauchgefühl

Ich war nie ein Fan von den Ärzten. Das ist einfach nicht meine Musik - bis auf ein, zwei Ausnahmen. Seit neuestem machen die sich ja nun auch stark für die Demokratie. Was ich grundsätzlich immer begrüße.
Aber bei den Ärzten habe ich da ein ganz mieses Bauchgefühl. Weil ich immer an das Konzert denken muss, das damals in Chemnitz gegeben wurde, nachdem ein Chemnitzer dort niedergestochen und tödlich verletzt worden war. Es hieß, es habe einen rassistischen Hintergrund gehabt, weil jener Chemnitzer die "falsche" Hautfarbe gehabt hätte. Spätere Berichte besagten eigentlich etwas anderes - aber ich war nicht dabei, ich weiß es nicht.
Was mich nur echt aufbrachte, war, dass zu einem Konzert, das extra gegeben wurde, um eben genau gegen Hass und Gewalt ein Statement abzugeben - da treten die mit ihrem Song "Bullenschwein" auf. 
Und da hats bei mir aufgehört. 

Also ich muss Euch sagen - B ist irgendwie ein schwieriger Buchstabe ;) Mir fällt da grad nicht wirklich viel dazu ein - aber zumindest hab ich die Themen untergebracht, die mir aktuell bisschen schwer im Magen liegen. Und die Erfahrung sagt ja: Isses raus (ausm Bauch), isses weg. 
Dann freu ich mich doch schon mal auf das C - bei dem ich aktuell noch weniger Ideen habe als beim B :)

Ach doch - ein was fällt mir noch ein:

B wie Bilder

Der Mann liebt ja die Bilder, die ich male. Ihm gefallen sie viel besser als mir. Über Frauengesichter  zu den Bären und zu Hasen und anschließend wieder zu Frauen-/Kindergesichter angekommen, denke ich ja immer öfter: Jeder Mensch hat was, das er gut kann. Der eine singt, der andere tanzt, der eine schreibt, der andere fotografiert... Oder malt. Und irgendwie.. Meine Überzeugung ist, dass man bei allem, das man tut, irgendwie immer ein Stück von sich selbst herzeigt..

Und da es bei mir aktuell eher Kindergesichter/ Kinderfiguren sind... Unlängst las ich dazu mal, dass Menschen immer jemanden suchen, mit dem sie alt werden können - aber eigentlich sollten sie sich
jemanden suchen, mit dem sie Kind bleiben können.

Wenn Ihr mich fragt, finde ich diese Intention weitaus schöner. Lebensfroher. Und vermutlich male ich sie aktuell deshalb so gern. Vor allem, wenn sie lachen. 



Mittwoch, 3. April 2024

A wie Anton

 Oh my Goodness... Schon wieder ist ein ganzer Monat rum, in dem ich nix geschrieben hab, keine einzige Zeile. Und dabei schreibe ich ständig - in Gedanken. Ist fast so wie wenn wir abends auf dem Sofa lümmeln, einen Film schauen und meine Füße in einem Takt wackeln und der Mann missmutig anmerkt: "Da spielt doch gar keine Musik" und ich sage dann: "Doch! In meinem Kopf."

So ähnlich gehts mir mit dem Bloggen. Eigentlich habe ich - gefühlt - jeden Tag Gedanken, die ich noch während des Denkens in das geschriebene Wort "umbaue". Nur tue ich das nicht, weil mir in der Realität entweder die Zeit oder die Muße fehlen. Oder beides. 

So ähnlich geht es mir aktuell auch mit dem Malen. Gerade wenn ich dolle beschäftigt bin, habe ich oft Ideen, von denen ich denke: "Festhalten! Und dann aufmalen, wenn du Zeit hast!" Die Realität ist dann aber, dass ich entweder wie ein toter Frosch am Sofa klebe - ermüdet und ermattet - oder ich besuche jemanden oder ich muss mit dem Mann Gassi gehen, weil der vor lauter Home Officerei rammeldösig wird. Der braucht Auslauf! Aktuell sind wir grad so ein bisschen wie dieses Wetterpärchen: Sie geht rein ins Haus, er geht raus. Bei meinem aktuellen Pensum bin ich echt froh und dankbar, wenn ich mal nüscht machen muss. Einfach nur heimkommen, Schuhe aus, Beine hoch - fertsch. Manchmal brauche ich sogar nicht mal Musik. Einfach nur da sitzen oder da liegen, die Arme ausbreiten, nix denken, nix reden - Stille. Himmlische Stille! Aber nur, solange der Mann noch im Arbeitszimmer vorm PC hockt und Meetings abhält. Kaum sind die zu Ende, geht die Tür auf und dann werde ich gnadenlos zugetextet. Musste heute echt ein bisschen in mich hineinlachen, weil ich so die Vorstellung hatte: Der Mann is wie so n gefüllter Wasserballon - einmal angepiekst, kommen tausende Wörter raus. Nur... Ey... Ich wollte eigentlich ein bisschen Ruhe. Ein BISSCHEN. 

"Bist du grad woanders mit deinen Gedanken?"

"Äh.. ja!"

"Na dann mach erst mal zu Ende, dann reden wir."

Sagt er, geht die zwei Schritte hinüber in den Küchenbereich - und quasselt dann munter weiter. Hm. Öhm. Und wie war das grad noch mit "mach erstmal zu Ende"?

Manchmal denke ich ja, ich bin eigentlich gar keine Frau! Ich meine, ich hasse telefonieren, ich verabscheue Quasselstrippen. Ich bin gerne maulfaul. Aber gut. Mein Schuhschrank und die kleine bescheidene Sammlung meiner Strickjacken und Strohtaschen retten mich dann wiederum vor der Dreibeinigkeit.

Und manchmal, wenn ich Zeit UND Muße zum Schreiben hab, dann ist der Kopf wieder irgendwie total leer. Leergefegt wie die Klopapierregale zu Beginn der Corona-Ära. Heute auf dem Heimweg vom Büro, da dachte ich so bei mir... Geh doch einfach mal s Alphabet durch. Nimm dir immer einen Buchstaben - am besten immer der Reihe nach, sonst verlier ich mich wieder - und denk dir Worte dazu aus, wo du vielleicht was sagen könntest. Hab zwar keine Ahnung, ob und wie das so funktioniert - denn Schreiben auf Bestellung hat ja irgendwie auch noch nie wirklich bei mir geklappt. Aber hey, einen Versuch ist es wert - was kann schon passieren? Im worst case bleibt das Postingblatt halt leer und Ihr hab umsonst hier hergeguckt ;)

A wie Anton oder besser.... A wie:

Aufgegessen

Oh man, heute im Büro gabs Kuchen. Hat keiner bestellt, wollte keiner - gab ihn aber trotzdem. Früher dachte ich immer: Home Office - DAS is gefährlich! Den ganzen Tag lang guckt dir niemand zu, ob du oft in die Küche oder in den Fresskorb guckst. Keiner, der irgendwie mahnend die Augenbrauen hebt und sagt: "Wir müssen aufhören, soviel Süßes zu essen, wir werden zu dick!" und ich bin dann immer leicht konsterniert: "Wen meinste denn mit WIR?" 

Und weils also heute schon wieder unbestellten, aber dafür scheiße leckeren Kuchen gab (Office, Leute, Office is gefährlich! Nicht Home Office - näää, DA gibts Disziplin! Aber im Office, da gibt es immer jemanden, der unbestellt was anschleppt - und unhöflich willste ja auch nicht sein!), hab ich nicht nur meinen eigenen, sondern auch den von der Kollegin aufgegessen, die ihren nicht wollte. Also wird morgen schönes Wetter - und das wäre ja auch mal nicht das Verkehrteste. Ist es nicht herrlich, wie gerade überall um einen rum die Natur "aufplatzt"? Daran liegts, dass ich morgens und abends auf dem Weg ins Büro bzw. auf dem Heimweg meine Lieblings-Playlist abspiele und leidenschaftlich mitsinge. Fast so wie live on stage :)

Aufgehört

Kennt Ihr auch jemanden, den Ihr mal (sehr) bewundert habt? Für das, was jemand auf die Beine gestellt hat, was er bewegt hat, was er erreicht hat - aus eigener Kraft. Ein Mensch, dem der Enthusiasmus quasi aus den Augen sprang? Menschen verändern sich mit ihrem Partner - doch, is leider ganz oft so - und noch tragischer ist es, wenn Menschen sich dadurch nicht zu ihrem Vorteil verändern. Versteht mich da nicht falsch: Man muss nicht immer der Macher sein. Nicht immer der, der weiterweiß. Der den Takt vorgibt. Aber wenn du demjenigen in seine Augen schaust, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr - und du erkennst: Das Licht, das da mal war, ist erloschen, da ist es nur noch düster und jammerig, dann.. ist das echt wirklich  traurig. Drei Jahre lang hab ich geredet, gekämpft, beschworen, auf die Beine gezogen. Es war letztes Jahr im Sommer, als ich damit aufgehört hab. Komplett. Ich wollte nicht mehr. Kein "Ich kann nicht mehr" - nein, ich wollte nicht mehr. Für Konsequenz bin ich ja nicht unbedingt bekannt - aber hier ziehe ich das seither durch. 

Auch hab ich aufgehört, täglich Nachrichten zu konsumieren. Es macht mir Angst, es wühlt mich auf - und es macht mich rasend wütend. Es verändert mich - aber so will ich nicht sein. 

Angehört

Im Auto meine Lieblingsplaylist. 

Beim Malen meine "Zum Malen"-Playlist.

Mit dem Mann die "Lovely with you"-Playlist. Oder die 80er-Playlist - und dann tanzen wir wie die Bekloppten oder wir singen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. 

Die Lebensgeschichten anderer Menschen. Manche davon machten mich sehr betroffen - vor allem die Reaktionen aus deren Umfeld. Manche Menschen haben Abgründe, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Oder will sich das nicht vorstellen.

Aufgemacht + Aufgehangen

Vor etwa zwei Wochen war ich bei meinem Ältesten zu Gast. Wenn nichts anderes dazwischen kommt, bin ich jede Woche mindestens einen ganzen Nachmittag dort. Dann schnattern wir über alles Mögliche, schauen wir, ob es was zu erledigen gibt - abgesehen von Geschirr spülen, Wäsche waschen und ein bisschen Ordnung machen, damit die vielflügligen Freunde gar nicht erst wieder auf die Idee kommen, sich bei ihm einzunisten. War DAS ein Kampf letztes Jahr! Inklusive Schlupfwespen für satte hundert Euro - und was hats gebracht? Nüscht. Der Zauber war erst vorbei, als wir das Nest gefunden und ausgehoben hatten: die Keksdose vom letzten Weihnachten von der Oma. Die mit den selbstgebackenen Plätzchen. Dose aufgemacht und umgefallen. Das ist nicht nur super eklig, das stinkt auch wie Hubbatz. Hätte am liebsten die Keksdose mit entsorgt - aber das brachte der Große mit dem noch größeren Herzen nicht über eben dieses. Haben also den Inhalt im Hof in den Container entsorgt, die Blechdose geschrubbt und dann nochmal in den Spüler gestellt. Jetzt sind da die Feuerzeuge drin, die er nicht mehr braucht, weil er - HEUREKA - seit dem 5. September 2022 nicht mehr raucht. Dafür nutze ich die jetzt, wenn ich mal wieder ne Duftkerze aufstelle. Ab und zu muss das sein in dieser reinen Männerbutze. 

Jedenfalls hatte ich vor zwei Wochen seine Lieblings-Sweatshirts gewaschen und ob des schönen Wetters auf den Trockner gehangen. Und leider vergessen, dem Sohnemann Bescheid zu geben, die Wäsche nach spätestens zwei Tagen wieder reinzuholen. War ja wundervoll mildes Wetter. Aber eben.. Ich hatte es vergessen - und natürlich hingen die da immer noch, als ich jetzt am Montag bei ihm einkehrte. Und was soll ich sagen: Alle Sweatshirts waren versaut - außer die hellgrauen. Schön ausgeblichen von der Sonne. Schöne Scheiße. 

Aufgestockt

Als wir noch in M wohnten, hat der Mann beklagt: "Schon wieder ein neues Kleid? Du hast doch schon genug. Und außerdem brauchst du im Home Office doch keine Kleider." Als dann irgendwann mal ein Regalboden wegknickte, weil ich  mich etwas zu beherzt aufgestützt hatte, da durftsch mir vielleicht was anhören von wegen "viel zu viel" und so. Stimmt übrigens nicht, aber das verstehen jetzt vermutlich auch nur Frauen.

Hier in L hat er mir nach meinen Vorstellungen ja nun einen Maltisch gebaut. War ja so meine Idee: Arbeitsplatte aus Vollholz kaufen, Beine drunterschrauben - fertig is der Lack. Hat nicht nur den Vorteil, dass er schön lang ist und damit viel Platz für Malzeug bietet, sondern gleich noch ne Ecke mit abfällt für den Laptop und den extra Bildschirm für die Tage, wo ich auch hier im Home Office bin. Als ich mich unlängst wieder mit meiner Kollegin auf ein Date im Künstlerbedarf verabredete, verdrehte der Mann die Augen und mahnte: "Auch DER Platz ist begrenzt!" Öhm. Farben kann man ja irgendwie nie genug haben. Irgendwie braucht man sie alle - je nachdem, was man gerade so vorhat. Bin ja irgendwie ein Fan davon geworden, wie man Materialien so miteinander kombinieren kann - Ölkreiden mit Gouache-Farben, Kreide und Acryl. Zum Beispiel. 

Als ich dann aber so den Maltisch in seiner ganzen aufgestockten Herrlichkeit betrachtete, da dachte ich so bei mir: Nun ja... S wird schon einen Grund haben, dass ich mich auf Postkarten eingeschossen habe und mir größere Bildflächen nicht so liegen ;)

Aufhören

Mir fallen jetzt irgendwie keine Worte mit A mehr ein, woraus ich noch was basteln könnte. Deshalb hör ich jetzt an dieser Stelle auf und wünsche Euch einen schönen Restabend :)

Mittwoch, 21. Februar 2024

Zack - kaputt

Ist das nicht irre? 
Als ich gestern auf den Kalender schaute, um einen Termin gegenzuchecken, fiel mir auf, dass es nun schon wieder ein Jahr her ist, dass wir nach L gezogen sind.
Irre, oder?? Ein Jahr! Wo ist die Zeit nur geblieben?

Ich weiß noch, es war einer der Termine, als ich nach Unterzeichnung des Mietvertrags wieder in L war, die Räume genau ausmessen und so, damit wir schon mal konkrete Ideen aufstellen konnten, wie wo was werden sollte. Mein Jüngster kam mit dazu, weil er einfach mal gucken wollte, wie denn die Wohnung so ausschaut. Kann ich jetzt noch vor mir sehen, wie er durch die nackten Räume lief, die Hände in den Taschen, alles genau inspizierte, einen Blick aus dem Panoramafenster in der Küche warf und dann fragte: "Okay - wann kann ich mit einziehen?"
Hach.
Da ging mir das Herz auf und das Schuldbewusstsein von einst kam wieder hoch. Ich bin ja weggezogen, da war er noch nicht ganz 18. Klar, da sind andere schon dreimal im Ausland gewesen, seit Jahren von den Eltern getrennt, mega selbständig und so n Quark. Meiner nicht. Und meine Lebensphilosophie hatte irgendwie auch gar nicht vorgesehen, die Jungs so früh herzugeben. Mit 20, 21 vielleicht. Aber 17?

Wir sind ja dann auch eingezogen, richteten uns ein und dieses kleine Schmuckstück wächst nach und nach, entwickelt sich. Das Gefühl, in einer Ferienwohnung zu leben, hat sich noch nicht so ganz verzogen - aber es wird besser. Sinniere immer noch darüber nach, woran das liegt, woher dieses Gefühl kommt. Vielleicht, weil wir nicht gewohnt sind, so eine große Wohnung zu haben, die so weitläufig wirkt (jedenfalls im Vergleich zu dem, was wir bis dahin immer bewohnten), alles so offen und großzügig geschnitten? Der Junge hingegen ist ungebrochen begeistert, und er hat sich in den Kopf gesetzt: Sowas wollen wir auch. Wir meint seine Freundin und er. Und jetzt, wo sie mit ihrem Studium fertig ist und beide ein Einkommen haben, von dem der Mann und ich unser halbes Leben lang nur träumten, da könnten sie sich nun auch etwas gönnen. Am liebsten in unserem Viertel. Nicht nur, weil wir da wohnen. Sondern weil es wirklich zu den schönsten der Stadt zählt. Und er mag das ja - diesen Neubaustil. Modern. Klassisch. 
Wälzt die Angebote rauf und runter, vereinbart Besichtigungstermine. Mal ist es ihnen doch zu teuer, mal passt etwas anderes nicht. Ihre Traumwohnung - wenn auch Erdgeschoss - hätten sie in unmittelbarer Nähe zu mir beinah gefunden - fiele der Blick aus dem Schlafzimmer nicht direkt auf die Mülltonnensammlung der Wohnanlage - und der Blick aus dem Wohnzimmer direkt auf das Haus gegenüber. Höchstens zehn Meter entfernt. Der Funke hatte dann schon irgendwie gezündet - aber das Mülltonnengeschwader konnte man sich dann eben doch nicht schönreden. Wird sicherlich auch lustig im Sommer. Keine Ahnung, wer sich so einen Müll (harhar) einfallen lässt. Bei uns sind die Mülltonnen in einem abschließbaren Raum im Haus mit integriert. Finde ich persönlich prima. Haste keinen Ärger mit nix.

Jedenfalls, die Suche des Sprößlings geht weiter - und heute schrieb er mir, man habe sich jetzt noch eine angeschaut, aber die Mieten seien doch recht enorm. Sie seien ja jung und beide Beamte. Da könne man ja eventuell eigentlich auch kaufen. Nur - es gäbe halt keine Neubauten zu kaufen. "Nur eher so Altbau, wo wir eigentlich auch nicht drin wohnen wollen", schrieb er.
Altbau! 
Spontan jauchzte das Herz und der Kopf füllte sich ebenso spontan mit tausenden von Bildern meiner tief verborgenen Leidenschaft für Altbauwohnungen. 
Gekalkte Wände.
Ein Fußboden aus echten Dielen, die wundervoll knarren, wenn man in Stricksocken darüber läuft.
Hohe Wände.
Hohe schmale Fenster, auf deren Bank ich sitzen würde, eine Tasse Kaffee mit beiden Händen halten und hinunter auf die Menschen schauen würde; ihnen zusehen würde. Ein Buch lesen würde.
Hach!
Stuck an den Decken und herrliche weiße Kassettentüren. 
HACH!

"...und hässlichen Bädern und hässlichen Heizkörpern an der Wand!" vollendete der Junge.

Zack - kaputt war der Traum. So schnell kanns gehen :)

Donnerstag, 15. Februar 2024

Ein Mann - ein Wörterbuch

Ihr kennt doch auch all die lustigen Sprüche und Memes über Frauen, die soviel reden, und Männer, die so viel schweigen (würden), oder?
Also ich sags mal so: Heute Morgen hatte ich einen Mann am Telefon. Wir kennen uns nicht, telefonierten das zweite Mal in unserem Leben miteinander und mir war durchaus bewusst, dass er mir etwas verkaufen wollte. Ein Produkt, das ich bisher nur als Testversion besitze und von dem ich nur semi-begeistert bin.
Man sagt mir ja schon seit Jahren nach, ich würde so ein Gefühl vermitteln, mit mir könne man über alles reden, mir alles erzählen.

Es hat heute Morgen jedenfalls schätzungsweise maximal zehn Minuten gedauert - dann wusste ich, dass:

- er verheiratet ist
- zwei Söhne hat - einer 14, einer 18
- der 14jährige leidenschaftlich Basketball spielt und es liebt, wenn Papa den Spielen beiwohnt
- der 14jährig immer noch gerne schmust
- der 18jährige seit 2 Monaten eine Freundin hat, die sich zum Valentinstag eine Rose von 
  Lego gewünscht hat
- Papa diese Rose am Montag in seiner Mittagspause besorgen musste, weil Amazon zu spät liefern würde
- beide Söhne alles bis auf die letzte Minute prokrastinieren
- Papa eine Arbeitszeit von 10 bis 17 Uhr hat 
- Papa den Kuss von der Freundin des Sohnes wollte, weil ja er die Rose besorgt hatte
- Papa den Sohn natürlich nicht verraten hat - und die Ehefrau sowieso interveniert hätte
- Papa heute Morgen eine Abkürzung fahren musste, weil die Söhne wie immer zu spät dran waren -
  und die Abkürzung sich dann als Reinfall entpuppte - weil Stau.

Innerlich habe ich mich köstlich amüsiert und mir vorgestellt, wie der Typ sich anschließend gefragt hat, was um Gottes Willen er da eigentlich alles einer völlig Fremden erzählt hat? Seine halbe Lebensgeschichte - und die so abgespult, dass ich mich irgendwann fragte: "Isser aufgeregt oder isser auf Speed? Oder is der immer so?"

Am Dienstag haben wir nun ein Meeting. Online, versteht sich. Ich glaub, ich besorg mir schon mal Popcorn ;)

Dienstag, 13. Februar 2024

Nett könnte ich auch.

Der Teufel steckt im Detail. Genauer gesagt: im Konjunktiv. Ich könnte nett. Ich kann höflich, auch dann, wenn ich nett könnte.
Heute aber war mal so ein Tag, da habe ich gedacht, entweder springe ich jetzt gleich und sofort quer im Quadrat durchs Telefon - oder ich fange an zu schreien. Letzteres ist nun wirklich untypisch für mich - auch wenn ich durchaus weiß, was leidenschaftlich zu streiten bedeutet. 
Und eigentlich bleibe ich ganz oft gelassen.
Aber heute hatten die mich.
Der Auftrag war im Grunde simpel. Leise und etwas schuldbewusst schob mir der Chef ein Blatt Papier über den Tisch und nuschelte was von "is privat" und "könnteste mir mal helfen."
(Ich übe übrigens immer noch vor dem Spiegel, wie das so funktioniert, dass nur eine Augenbraue hochgeht. Krieg ich nicht hin. Nie. Entweder beide oder keine, da sind sie sich einig, die beiden Gezupften.)
Jedenfalls, nachdem der Chef-Vater im vergangenen Sommer das Zeitliche gesegnet hatte, durften wir uns nicht nur um Bestatter, Schlüsseldienst (man kam nicht ins Haus) und emotionalen Beistand kümmern, sondern auch um alles, was mit Nachlassregelungen und so weiter zu tun hat. 
Und grundsätzlich haben wir ja auch alles geregelt bekommen.
Bis auf diesen Drecksverein von Vodafone.
Schon im letzten Jahr habe ich mir ein ganzes halbes Jahr lang die Nerven abgearbeitet, weil die das einfach nicht auf die Kette kriegten, eine schlichte Adressänderung vorzunehmen. Man kann sich das wirklich und wahrhaftig nicht vorstellen. Aber die Firma hieß eben nicht mehr A, sondern B und neuerdings auch noch mit so nem Kürzel hintendran. Und die saß jetzt auch nicht mehr in A, sondern in B. Eigentlich war alles wie immer. Nur dass A jetzt eben nicht mehr da war, sondern nur noch B.
Klingt verwirrend? Dann seid Ihr vermutlich auch Vodafoner. Sorry. 
Aber letztes Jahr, das gehörte zu unserem Business.
Das heute war Privat. 
Mir wurde ein Kontoauszug vorgelegt, der bewies, dass Vodafone bis zum Dezember einen Betrag abgebucht hatte, den niemand zuordnen konnte. Den Papa konnten wir ja nicht mehr fragen. Die Mama auch nicht. Die ist zwar noch da, aber an ihren guten Tagen erkennt sie allerhöchstens ihren Sohn. Ein Handy besitzt sie demnach seit einigen Jahren nicht mehr.
Da aber der Herr Papa handytechnisch bis zum Umbau der Firma mit im Sammelvertrag des Einzelunternehmens integriert war, konnte es auch nicht sein Handyvertrag sein. Für was nun die Abbuchung? Es gab nur einen Kontoauszug, mit dessen Angaben die Kollegin Ende letzten Jahres eine Kündigung geschrieben hatte. 
Vergangene Woche dann das Antwortschreiben, dass man die Kündigung keinem Vertrag zuordnen könne. Man solle die Kündigung neu einreichen - und dann Vertragsnummer, Kundennummer und Schlüppergröße mit übermitteln. Woher das alles nehmen, wenn man nix hat außer nen Kontoauszug mit Referenznummern von Vodafone, die Vodafone aber nicht erkannte?
Beherzt griff ich also erstmal zum Telefon. Und stand schon da nach schätzungsweise zwei Minuten auf dem Tisch. Mit Haaren, die sich bis zur Decke bauschten. 
Man kommt an dieser verfickten Aurasiricordanascheiße nicht vorbei, wenn Du nicht genau die Angaben eintippst, die Du ja eben nicht hast. Da kannst Du zehnmal MITARBEITER in den Hörer brüllen - wenn Aurasiricordanascheiße nicht will, dann will sie nicht. Und erklärt Dir kurzerhand: "Ich konnte Sie leider nicht verstehen. Wir wünschen Ihnen einen guten Tag und auf Wiedersehen."
Nach einem kurzen reinigenden Gewittersturm wählte ich erneut und gab kühn irgendwelche wilden Zahlenkombinationen vom Kontoauszug und anschließend die Handynummer vom Chef ein. Siehe da - Aurasiricordana verstand mich zwar immer noch nicht und informierte mich auch, dass sie mich nirgends zuordnen könne, aber sie würde mich nunmehr zum nächsten Mitarbeiter durchstellen. 
Nach etwa sieben Minuten unsäglichen Gedudels wurde ich dann erhört von einer wirklich freundlichen Mitarbeiterin, die mir erklärte, ich sei falsch bei ihr, es handele sich doch hier um eine Mobilfunkangelegenheit und sie sei nur für DSL zuständig.
"Interessant, das mit dem Mobilfunk wussten wir nämlich bis eben noch nicht", erklärte ich begeistert und erbat mir die dazugehörige Nummer.
"Die kann ich nicht lesen, weil ich zum Öffnen des Feldes nicht die Berechtigung hab. Ich bin DSL und das hier ist Mobilfunk."
Grandios. Und ich bin die Königin von Zamunda mit einem heute deutlich verkürzten Geduldsfaden.
"Vielleicht könnten Sie mich ja zum Mobilfunk durchstellen, dann kläre ich das mit denen."
Aber ach, ich vergaß. In Zeiten von mobilem Arbeiten kann Frau DSL ja auch aktuell auf den Malediven liegen, nebenbei einen Cocktail schlürfen und im Schatten des Bananenblattes irgendwelche missmutigen Kunden aus Deutschland abwimmeln - da is nix mit Durchstellen.
Wenigstens sagte sie: "Aber ich kann Ihnen die Nummer vom Mobilfunkdienst geben."
Wäre perfekt, hätte ich nicht genau die ja gewählt gehabt.
Egal. 
Wählte ich eben nochmal neu, gab die Vodafone-Kundennummer vom Kontoauszug an, die Vodafone nicht hatte erkennen wollen, nochmal die Chef-Mobilfunknummer - und dann hatte ich einen Herrn am Telefon, der erstmal das Kundenkennwort abforderte. Da denkt man ja: Chef-Mobilfunknummer, also Chef-Kundenkennwort.
"Tut mir leid, stimmt nicht." Chef und ich probierten dann noch ein paar Alternativen - alles nix. 
"Ohne Kundenkennwort kann ich Ihnen keine Auskunft geben."
"Sie haben aber schon verstanden, dass der Inhaber des Kontos, von dem Sie fleißig abgebucht haben, vor acht Monaten verstorben ist?"
"Ja, aber ohne Kundenkennwort darf ich nicht. Aber ich bin hier auch im Businessteam. Vielleicht dürfen die aus dem Privatkundenbereich was sagen, ich kann Sie ja mal durchstellen."
Ey. Der Bananenblattwedler von den Malediven stellte mich dann zur Privatabteilung weiter.
"Der Vertrag wurde doch im Dezember gekündigt."
"Wir wüssten gerne, welcher Vertrag denn das überhaupt ist?"
"Ich habe hier leider keinen Datensatz mehr. Weil, das ist ja alles gekündigt."
"Es hat bisher nur eine Mobilfunknummer des Vaters gegeben, und die gehörte zu einem Rahmenvertrag. Seine Rufnummer wurde zum 02.08.2023 gekündigt, die Bestätigung von Euch habe ich schriftlich."
"Ja, aber dann hatte der Vater eben noch einen Vertrag."
"Genau das bezweifeln wir."
"Das kann sein. Aber den Vertrag gab es und dazu wurden die Gebühren in Höhe von 27,92 auch abgebucht. Alles rechtens."
"Wenn das rechtens ist, dann geben Sie uns doch erstmal die Mobilfunknummer, damit wir selber nachforschen können."
"Ich habe hier keine Daten mehr im Computer, tut mir leid."
Das war dann der Moment, wo ich ganz tief Luft holte, der Dame einen schönen Tag und das Gespräch für beendet erklärte (das ist jetzt die frisierte Variante), dem Chef wutentbrannt sein Privatpapier in die Hand drückte mit den Worten: "Lass es zurückbuchen oder lass es bleiben, aber lass MICH JETZT HIER RAUS!" (das ist jetzt die nett umschriebene Variante) und meine Lieblingskollegin ebenfalls tief Luft holte, eine Milka-Schokoladenwaffel auspackte, mir vor die Nase legte und energisch sagte: "So und du isst jetzt DAS hier!" (das ist die authentische Variante).
Wusstet Ihr eigentlich, dass man Abbuchungen bis zu 13 Monate zurückbuchen lassen kann, wenn man  berechtigte Einwände gegen diese Abbuchung erhebt? Kann ich Euch sagen - hatte nämlich erst letztes Woche ein zweifelhaftes Vergnügen mit den Freunden der GEZ. Natürlich Privatauftrag vom Chef. Die zeigten sich ähnlich serviceorientiert wie Vodafone. 

Jedenfalls, nach der schokolierten Genusswaffel rief der Chef den zweiten Geschäftsführer und mich zu sich, um einige strategische Punkte zu besprechen.
"Denkt dran, es muss alles immer noch wirtschaftlich bleiben", meinte er abschließend.
Worauf ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
"Der, der vielleicht kommt, nimmt den Platz von dem, der jetzt geht. Das kompensiert sich also. Und wenn Du im Mai raus bist, können wir für das Geld noch drei andere einstellen."
Er hat verblüfft gelacht. 
"Du bist aber heute streng mit mir."
"Ne Chef. Nur ehrlich."

Zum Feierabend rief mich dann noch jemand an, mit dem wir beide gut zusammenarbeiten.
Er fragte mich, wie ich denn mit der Prokura zurechtkäme.
"Ich hab Angst vor mir selber", antwortete ich wahrheitsgemäß.
"Ist es jetzt leichter oder anstrengender?"
"Viel anstrengender. Viel mehr Arbeit."
Der andere lachte. Ich auch: "Aber die Arbeit hätte ich vermutlich auch, wenn ich die Prokura nicht bekommen hätte. Also bekomm ich wenigstens Schmerzensgeld. Ach ne, Chef sagt ja immer, es ist Schweigegeld."

Vielleicht wäre ich heute entspannter gewesen, hätte ich vergangene Nacht nicht nur vier Stunden Schlaf gehabt, die dazu auch noch recht unruhig gewesen waren. Trotz des vorangegangenen intensiven Sportprogramms und der anschließenden wunderbaren Entspannung im Körper und im Kopf. 
Diese wunderbare Entspannung in Körper und Kopf hat heute aber auch die kleine runde Schokoladenwaffel geschafft. Ist wirklich wahr. Mein Sportprogramm hab ich trotzdem heute am späteren Abend noch durchgezogen. Doch anstatt mich irgendwann danach in die Decke zu kuscheln und in den Schlaf hinüberzudämmern, liege ich hier im Bett und blogge. Während der Mann hunderte Kilometer weit weg vermutlich längst schnarcht nach dem ausgiebigen Tag auf den Skiern. 
Irgendwas mach ich offensichtlich falsch. 

Jetzt hab ich Appetit auf ein Käffchen. Und in knapp fünf Stunden klingelt der Wecker. 

Einen Bonbon muss ich Euch aber heute noch mitgeben. Wer bei Instagram unterwegs ist, der sucht mal nach PaulBokowski. Wenn Ihr den nicht sowieso schon kennt, ich bin ja eh immer so ein Spätzünder.
Aber über den hab ich heute mega gelacht! Die Story mit den gelben Pullovern, wirklich, ich dachte, ich brech ab. So geil. Oder die Windsor Castle Story. Herrlich!
Diese Art von Humor wirkt bei mir wie eine Kombination aus Sport und Schokoladenwaffel. Schokoliertes Synapsenyoga quasi.
Hättsch vielleicht gestern Abend entdecken sollen.
Paul hat jetzt jedenfalls zwei neue Follower. Meine Freundin und mich. 

Montag, 22. Januar 2024

Aura


Spoiler: Das ist ein Autofahrlied, das muss man richtig dolle laut hören - ist aber nix für Tinnitusgeplagte. Stellte jedenfalls der Mann irgendwann mal augenrollend fest. 

Jedenfalls, heut Morgen in aller Herrgottsfrüh hab ich mich auf den Weg ins Büro gemacht. Ich liebe sie, diese dunkle, noch halb verschlafen wirkende Stunde, in der sich gemächlich ein Auto an das andere reiht, die Menschen geduldig an der Ampel warten (das ist übrigens ein absoluter Unterschied von L zu M; in M wird man gnadenlos angehupt oder gleich die Vorfahrt genommen - eine hektische Stadt ist das) und dann bin ich schon eins-zwo-fix auf dem Highway, kann mich noch entspannter zurücklehnen, die Musik aufdrehen, dass der Sitz vibriert. Die Gedanken treiben lassen. Da denke ich noch nicht an den Büroalltag, meistens jedenfalls nicht. Da denke ich tausend Gedanken, eine kurze Reise in die Vergangenheit, eine kurze Tagträumerei ob der Vorstellung, dass ich gerade eben nicht ins Büro, sondern zum Beispiel vielleicht ans Meer fahren könnte, ein Verweilen in der Gegenwart - und das alles untermalt von diesem Track, der sich mit am beständigsten in meiner Playlist hält, die ständigen Anpassungen unterworfen ist.
Sagte ich schon mal, dass ich Spotify echt liebe? Musikgenuss war nie so einfach wie damit :)

Und dann.. irgendwann auf diesem Weg, da machte es irgendwie Knax in meinem Kopf - so als hätte sich in diesem Augenblick irgendein Knoten gelöst. Ich dachte darüber nach, dass ich ja eigentlich meinen Weihnachtsurlaub gerne noch mal um weitere drei Wochen verlängert hätte, wenn ich denn gekonnt hätte. Vielleicht auch noch länger als diese drei Wochen. Ich fühlte mich einfach so "durch", dass ich dachte, ich komm irgendwie überhaupt nicht mehr auf die Beine. 
Heute Morgen aber.. in dieser samtig dunklen Stunde und den überraschend milden Temperaturen.. da dachte ich mit einem Mal, dass es ganz gut so war und ist, den Urlaub eben nicht verlängert haben zu können. Dass es gut so war, dem Alltag wieder zu begegnen. Mich zu lösen aus dem Gedankenkreisel, aus der emotionalen Berg-und-Tal-Fahrt all der Dinge, die mir das Leben schwer machten. Heute morgen überkam mich irgendwie die Gewissheit, dass ich mich vermutlich noch mehr zurückgezogen, mich noch mehr eingeigelt und damit auch keinen einzigen Schritt weitergekommen wäre. 

Natürlich ist es hauptsächlich die Musik, die mich immer auf die Beine hebt. Aber es tut mir auch gut, morgens so heiß zu duschen, dass sich die Haut noch rot und warm anfühlt, wenn ich mich längst angezogen, die Haare zu einem Knoten gewunden, den Lidstrich gezogen und mit dem Laptop unter dem Arm das Haus verlassen hab. Mich gedanklich auf ganz andere Themen einzustellen. Mich mit anderen Menschen auszutauschen über Gott und die Welt. Mich gedanklich und emotional auf andere Menschen einzulassen. 
Die Sorgen laufen mir nicht weg.
Die Verpflichtungen laufen mir nicht weg.
Aber heut Morgen, so eingereiht, Rücklicht an Rücklicht, die Musik und ich, und dann die Freiheit auf dem erstaunlich leeren Highway, da wusste ich, das tut mir gut. Das ist gut für mich. 
Und ab diesem Moment fühlte ich mich auch wirklich endlich wieder besser.
So ein Gefühl, dass es wieder viel mehr ist als nur zu funktionieren. 
Ich glaub, ich bin wieder da. 



Samstag, 13. Januar 2024

almost one year around


Fühlt es sich nur so an oder verfliegt die Zeit so unfassbar schnell?
Ich ertappe mich dabei, wie ich auf Fragen antworten möchte, dass wir erst im letzten Jahr geheiratet haben. Dass wir erst seit wenigen Wochen von M nach L gezogen sind. 
Dabei werden es schon bald zwei Jahre her sein, als wir für das gemeinsame Ja unterschrieben haben - und noch eher wird es ein Jahr her sein, dass wir hier in L wohnen, uns hier eingerichtet haben.

Bevor die Weihnachtstage begannen, hatte ich mir vorgenommen, endlich meine Steuerunterlagen der letzten drei oder vier Jahre anzufertigen. Endlich die Fotowand kreieren, um der neuen Wohnung mehr von meinem Ich zu verleihen. Mehr Farbe, mehr Wärme, mehr Herzlichkeit. Zum Mut für Farbe an der Wand konnte ich den Mann noch nicht begeistern, aber zumindest stimmte er meinen alternativen Plänen hierfür zu.

Und nun.. Ist mit heute der letzte Tag von drei ganzen langen Wochen Urlaub geendet. Was hab ich von dem erledigt, das ich tun wollte? Nichts wirklich.. Lediglich der neue digitale Ordner blinkt, der mit den wenigen Fotos, die ich dem Mann für unsere Fotowand vorschlug und über die wir uns noch einigen müssen. Aber sonst... Sitze ich hier im Schneidersitz auf meinem Sofa, die Stöpsel in den Ohren, wie so oft in den letzten Tagen, und weil der Mann sich heut Abend schon schlafengelegt hat; ich hör Musik und.. überwinde mich zu schreiben.
Ja, es kostet mich momentan noch immer Überwindung. 
Zugleich fühlt es sich aber auch wieder gut an.

Und wie fühlen sie sich an, diese ersten zehn Monate in unserem neuen Zuhause?
Gib dir Zeit, hab ich mir oft gesagt, du warst acht Jahre fort.
Zurückgekehrt bin ich an den Ort, wo ich zuvor etwa fünfundzwanzig Jahre gelebt hab. Vieles hat sich verändert - und irgendwie doch nicht verändert. Dennoch fällt es mir irgendwie schwerer als angenommen, mich hier wieder einzugewöhnen. Mich auch in die neue Wohnung einzugewöhnen. Es liegt wohl wirklich hauptsächlich daran, dass ihr eben noch.. meine "Seele" fehlt. Es ist noch nicht "meins", ich bin einfach noch nicht fertig. Und ist es ja nicht auch gerade das Schöne daran, dass man so langsam hineinwächst, über die Zeit hin gestaltet, verändert? 
Dafür entdecke ich immer wieder etwas Neues, das mir gefällt, das schön ist. Diese vielen kleinen Dinge, die es für mich ausmachen. 
Im Gegenzug bittet der Mann immer öfter: "Lass uns zurückgehen."
Manchmal sagt er das so oft, dass ich mich beginne zu fragen, ob das alles richtig so war. Ob wir überhaupt alles richtig so gemacht haben. München war nie als Endlösung gedacht. Es war immer sicher, dass es nur eine Lösung auf Zeit sein würde. Auch wenn ich mich überraschend schnell eingewöhnt hab. Auch wenn es bis heute Dinge gibt, die ich vermisse. Auch wenn überhaupt nicht klar ist, ob sich der Traum vom Meer eines Tages erfüllen lässt. 
Aber was, wenn er hier nicht mehr glücklich werden kann? Was, wenn das Heimweh und seine Sehnsucht nach den Bergen zu groß werden?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen hab?
Was, wenn ich nicht wieder mit zurückgehen möchte, weil München nicht mein Lebensmittelpunkt ist für den Rest meines Lebens?
Manchmal kann ich spüren, wie mir die Flügel erlahmen, wenn er gereizt, genervt auf Dinge reagiert, über die wir normalerweise lachen. Wie hilflos ich mich fühle, wenn er sagt, dass wir nie von München hätten fortgehen sollen. Dann hab ich mich auch schon ertappt dabei zu sagen: "Dann machen wir es so. Du gehst zurück und ich suche mir hier eine kleine Wohnung."
Darauf ist der Mann nicht eingegangen, kein einziges Mal. 
Wieder ein Leben auf Distanz führen - wollten wir das überhaupt wirklich? 
Die Bedingungen haben sich verändert - wir können, wenn wir das wollen, öfter von zu Hause aus arbeiten. Wären nicht mehr so angestrengt und gestresst wie noch vor neun Jahren, als wir erst am Ende einer langen, arbeitsreichen Woche die Reise zueinander antreten konnten. 
Aber könnte uns das retten?
Oder würden wir uns viel mehr an dieses Leben auf Distanz gewöhnen - und uns voneinander entwöhnen? 

Gib ihm Zeit, sage ich mir im Gegenzug öfter. Er war sehr viel länger von hier fort als ich. Und im Gegensatz zu ihm bin ich ein Zugvogel.. Ich kann mich überall dort niederlassen, wo ich mich wohlfühle.. Und zumindest eine ganze Zeitlang dort verweilen. So lange, bis es mich wieder weiterzieht...
"Du hast viel mehr Leichtigkeit als ich", hat der Mann heut Abend zu mir gesagt. Und mich dann angeschaut, weil ich darauf nicht geantwortet hatte. 
Er hat schon recht. Auch wenn es sich momentan so anfühlt, als wären meine Flügel immer noch lahm irgendwie. Immer, wenn ich aufatme oder das Gefühl hab, dass alles schön so ist wie es ist, kommt jemand oder irgendwas, das mir ein neues Gewicht an die Flügel hängt. Eine komische Zeit ist das. 

Montag, 8. Januar 2024

Einatmen - Aufatmen


Ich hab mir immer einen schönen Holztisch gewünscht, um den ich mit der Familie, mit Freunden sitzen würde. Wir würden Gläser auf den Tisch stellen, etwas zu trinken, etwas zu essen. Wir würden reden, lachen, an Sommerabenden die große Tür zur Terrasse öffnen, um die letzte Wärme des Tages in das Haus zu lassen. Musik würde im Hintergrund durch den Raum perlen, ich würde mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht schieben und lächeln.. Dankbar sein für den Moment, für den Augenblick - und für die Menschen, die diesen mit mir teilen.

Solange ich denken kann, hatten meine Eltern einen großen Tisch in ihrer Küche. Daran wurde gefrühstückt, zu Abend gegessen, am Wochenende zu Mittag. Es wurde dabei über alles mögliche geredet. Über den Tag, über die Ereignisse, über Sorgen und Probleme - und über die Höhepunkte des Tages oder der Woche. Es wurden Pläne geschmiedet oder welche verworfen.
Später, als die Brüder schon ausgezogen waren, da kamen sie immer vorbei, kaum dass die Mama den Wasserkessel auf den Herd gestellt hatte, um Kaffee zu kochen.
"Als würden sie es riechen", hat sie immer gelacht.
Und dann wurde gemeinsam ein Käffchen getrunken, über dies und jenes geratscht - und dann ging jeder wieder seiner Wege. 
Ich hab mir immer einen solchen Familientisch gewünscht.

Heute, in der Mitte meines Lebens, da haben wir so einen Tisch. 
Noch immer denke ich an die Zeilen von Anonym aus dem Kommentar zu meinem letzten Post:
"Vielleicht hat sich das mit dem Umzug und der beruflichen Verantwortung und Mehrbelastung auch nicht das erfüllt, was Sie sich wünschten."
Ich habe diesen Satz mehrfach gelesen, ihn hin und her gewendet, von verschiedenen Seiten betrachtet. Und wenn ich so darüber nachdenke... 
Weniger im Home Office und mit mehr Präsenz im Büro - daran muss ich mich noch immer gewöhnen. Morgens sehr viel eher aufstehen, abends durch den Berufsverkehr nach Hause schlängeln, müde sein..
Dem Mann zuhören, der sich wiederum an die Stille des Home Office gewöhnen muss. 
Dem das Heimweh in der Seele brennt.
Und dann war da auch immer diese Idee, diese Vorstellung in meinem Kopf: "Wenn die Jungen erwachsen geworden sind, ihr eigenes Zuhause haben, dann wohne ich ganz in ihrer Nähe und dann kommen sie immer mal vorbei. Vielleicht nach der Arbeit, vielleicht vor der Arbeit, vielleicht mal auf einen Sprung am Wochenende."
Die Realität ist, dass der Jüngere viel zu oft keine Zeit hat. Wir wohnen seit zehn Monaten wieder in L - und ich habe ihn in all der Zeit wohl um die vier- oder fünfmal gesehen. Nein, ich dränge ihn nicht, mahne ihn nicht, bettle ihn nicht. Ich weiß, dass er gern öfter hier wäre - und ich weiß, dass er sich so schon zwischen den Welten zerreißt. Und dem Älteren.. dem fehlt die Energie.
Lange Zeit nahm ich an, es sei der Tribut dessen, einen Vollzeit- und einen Minijob zu haben. Lange Zeit dachte ich, er sei das lebende Beispiel dafür, was es mit einem Menschen macht, der zuviel allein ist. Lange Zeit vermutete ich, den einen quälen Depressionen, weil er zuviel allein ist; und der andere bekäme langsam Depressionen, weil er zu wenig allein sei.
Dabei zusehen zu müssen, hat mich innerlich fast zerrissen.
Und dann stellten sich beim Älteren Symptome ein, die ich anfangs nicht miteinander verband. Sie kamen schleichend, und dann wurden sie immer deutlicher. 
Wirklich Angst wurde mir, als die Sprache undeutlich wurde. Darauf reagierte ich sofort. 
Diese verschiedenen Verdachtsdiagnosen, von denen eine innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit ausnahmslos zum Tod führt, entzog mir von einem Moment auf den anderen den Boden. So viele Tränen in mein Nachtkissen, so viele stummen Gebete zu wem auch immer und mit diesem Wunsch: "Nicht er, bitte, nicht er. Dann lieber mich."
Ein so tiefer Fall, ein so tiefer Schock, dass ich - auch wenn ich längst weiß, dass sich keine dieser schlimmen Diagnosen bestätigt hat, sondern die Lösung sehr viel "einfacher", weil - wenn auch auf Lebenszeit - behandelbar ist - mich bis heute nicht wirklich davon erholt hab.

Die Zeit um Weihnachten, die Tage danach... Hab ich gelebt, hab ich geatmet, hab ich gegessen, getrunken, geschlafen? Ich weiß es nicht mehr. 
Mein Kopf war so leer, meine Seele war leer. Die einzige Energie, die ich aufbringen konnte, war die, meinen Jungen zu Terminen zu fahren oder zu begleiten, für ihn zu sorgen. 

Der eigentliche Plan hatte vorgesehen, die Zeit zwischen Weihnachten und dem 7. Januar mit Weihnachtsfilmen, heißer Schokolade oder heißem Kaffee in Flanellhosen und mit Stricksocken der Mama zu füllen, mich auf dem Sofa zu fläzen, endlos ausschlafen und dem süßen Nichtstun zu frönen. Freunde besuchen oder einladen. Puzzeln. Malen. Lesen. Sowas vielleicht - oder vielleicht auch gar nichts von all dem.
"Was willst du mit zwei Wochen Urlaub machen?" hatte der Mann gefragt und ich hatte die Augenbrauen gehoben: "Ich versteh die Frage nicht."
Wieso machen? Ich wollte genau NICHTS machen. Nicht gefordert werden. Nicht gefordert sein. Nur.. ich sein. Me-Time nennt man das wohl heute. 




Die Realität ist, dass ich nichts von meiner eigentlichen Vorstellung umgesetzt habe. 
Die Realität ist, dass ich kurzfristig an die geplanten zwei Wochen Urlaub eine dritte Woche angehangen habe.
Und langsam, so ganz langsam spür ich meine Energie wieder. Meinen Tatendrang. 
Es ist, als hätte ich vor einigen Wochen die Luft angehalten... und könnte so langsam wieder aufatmen. Frei atmen. 

Mit 2023 habe ich inzwischen meinen inneren Frieden machen können. Nichts ist so schlimm gekommen wie es klang. Und das Wichtigste: Die Jungen sprechen wieder miteinander. Sitzen wieder gemeinsam am Tisch. An unserem Familientisch.
Für 2023 war das hier mein wichtigster Erfolg. 
Aber ich bin froh, wirklich froh, dass das Jahr vorbei ist. Es hat an mir geklebt und mich beschwert. 
Für 2024 habe ich keine Vorstellung und keine Vorsätze. 
Ich hab nur die Hoffnung, dass es irgendwie wieder leichter wird. 

Mittwoch, 8. November 2023

Die kostbaren Augenblicke


Die Zeit, sie vergeht so irrsinnig schnell. 
Gerade haben wir noch mit Herzklopfen das neue Jahr ersehnt, uns vorgestellt, was es an hoffentlich Gutem bereithalten würde, haben Pläne geschmiedet oder auf eine Zeit gehofft, die losgelöster wäre von Zweifeln, Ängsten. Auf eine Zeit, die Gutes mit sich bringen würde.
Gerade haben wir noch das erste zarte Grün in den Gärten und an den Bäumen in der Straße bewundert, die Mäntel gegen die Sommerkleider getauscht, im Meer gebadet, barfuß Muscheln und Steine gesammelt und über den weiten Horizont des Meeres geschaut, die Augen mit der Hand abgedeckt ob der Sonnenstrahlen. In der Sonne gelegen und in der Nacht die verbrannten Stellen auf der Haut mit leichter Creme abgedeckt.
Und hat man sich nur ein einziges Mal umgewendet, ist der Herbst schon herangekommen, hat die Bäume in goldrote Farben getaucht, für kurze Zeit nur, und jetzt rieseln sie Tag für Tag zu Boden.. Das Schnarren der Raben kündigt sie an, die kalte Zeit..
Und nun ist es beinah zum Greifen nah, das Ende dieses Jahres. Ein Jahr, von dem ich für mich noch nicht entschieden habe, wie es sich anfühlen soll.
"Geht es dir gut?" hat der Mann mich gestern Morgen gefragt.
Was soll ich darauf antworten?
Ich habe ein schönes, warmes Zuhause.
Ich habe einen Job; einen fordernden - aber einen guten.
Ich habe gesunde Kinder, soweit.
Ich bin selber gesund, soweit.
Was kann man anderes darauf antworten, als dass es einem gut ginge?
Und dennoch.. kann ich nachts kaum noch schlafen, drehe und wende ich mich hin und her, decke mich auf, decke mich zu, starre mit großen Augen in die Dunkelheit und versuche, all diese Gedanken aus meinem Kopf herauszubekommen, die mich am Schlaf hindern. 
Eine Zeitlang habe ich mich gefragt, ob es am Älterwerden liegt, dass so viele Dinge mich sorgen. Doch wenn ich mich so umhöre.. Dann ist es längst keine Frage des Alters mehr. 

Es hat mal eine Zeit gegeben, in der ich mir einen Raum für mich gewünscht habe. Ein kleines Hotelzimmer irgendwo in irgendeiner Stadt, die ich nicht kenne. Fremde Straßen, fremde Hausnummern, fremde Zimmer mit einem Bett darin nur für mich ganz allein. Einer Kommode, einem breiten Fensterbrett, auf dem ich mich niederlassen und hinausschauen könnte. Mich herauslösen aus dem Alltag und hineintauchen in eine fremde Welt, die meine Sinne inspiriert und mir Zeit und Raum nur für mich selbst ermöglicht. 
Als ich den Song "Motel" für mich entdeckte, fühlte ich mich an längst vergangene Zeiten und längst verblichene Erinnerungen berührt. An Nächte in irgendwelchen Motels. An meine Sehnsucht, zu verreisen, die Tasche hinten auf dem Rücksitz mit nichts darin außer einigen Kleidern, ein paar Büchern und dem Strohhut. 

Die Realität aber hier und jetzt ist, dass ich von früh bis abends arbeite und immer dann, wenn ich denke, endlich mal wieder etwas Luft am geschnürten Hals zu bekommen, neue Forderungen auf den Tisch bekomme. Den Deadlines und Terminen hinterherjage, weil dieses "was heute nicht wird, wird morgen" nicht das meine ist. Weil die Gleichgültigkeit anderer mich wahnsinnig macht. 
Im Kopf all die Arbeit und all die privaten Sorgen, die mich bis unter die Haarwurzeln belasten, die ich hier aber nicht ausbreiten mag. Aber da ist dieses Gefühl... dass alles an mir zerrt und zehrt. Dass ich nicht mehr zur Ruhe finde, im Kopf nicht und in der Seele nicht. Und dabei zusehe, wie ich jeden Tag an meiner Mühe scheitere, versuchen zu wollen, dass es allen gut geht, dass alle gut zueinander sind.. 
Schon längere Zeit zittern meine Hände, vibriert mein ganzer Körper, die Herzfrequenz am Anschlag.
Ich weiß gar nicht, wie lange das her ist, dass es mir so ging, aber gestern Mittag hab ich mich im Büro im Badezimmer eingeschlossen und nur geweint. So richtig geweint wie früher als Kind. 
Darüber sprechen kann ich nicht, weil ich gar nicht weiß, mit wem. 
Den wenigen, denen ich im Büro vertraue, mag ich es nicht sagen. Wir haben alle unsere Sorgen, wir haben alle zu tun. 
Der Mann hat mit sich zu tun. 
Den wenigen, denen ich außerhalb des Büros vertraue, haben ganz andere, elementare Sorgen - da muss ich ihnen nicht mit meinen Luxusproblemen kommen. 
Stattdessen höre ich mir die Sorgen und Probleme anderer an und denke mir, worüber beklage ich mich eigentlich..
In den letzten Wochen habe ich oft gemalt - aber ich spüre schon, bevor ich mich an meinen Maltisch setze, ob "es fließt oder nicht". Und da fließt irgendwie nichts mehr. Der Kopf ist blockiert, die Seele nicht frei. Ich habe Angst bekommen vor der Zukunft, wenn ich höre und sehe, was in der Welt passiert, was hier bei uns passiert. Ich frage mich, wohin ich gehen kann, um mich all dem zu entziehen - und wie ich es anstelle, dass der Mann und meine Kinder mit mir kommen. 
Ich zucke zusammen, wenn ich höre und lese, wie Menschen miteinander sprechen, miteinander umgehen. 
Mir wird das Herz schwer, wenn ich höre und sehe, wie innerhalb der Familie übereinander gesprochen und miteinander umgegangen wird. 
Mir wird das Herz noch schwerer, wenn ich mich fragen muss, ob dieser eine Geburtstag der letzte Geburtstag sein wird, den wir feiern.

Ein kluger Mensch hat mal gesagt: "Wir brauchen viele Jahre, bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können."

Und warum leben wir sie dann nicht?

Dienstag, 19. September 2023

Nachtgedanken


Vor kurzem hab ich ein Mini-Interview gesehen mit einer Krankenschwester aus England, glaube ich. Sie hat schon viele Menschen beim Sterben begleitet und auf die Frage, was diese Menschen so kurz vor ihrem Abschied am meisten beschäftigte, antwortete sie: Als erstes sagen die Menschen, sie hätten weniger arbeiten und mehr das Leben genießen sollen. (Das zweite habe ich vergessen.) Und als drittes sagen die Menschen, sie hätten das Leben führen sollen, das sie wirklich wollten - und nicht das, was man von ihnen erwartete.

Mir gingen bei diesen Worten zwei Dinge durch den Kopf. Zum einen, dass ich nach all den Jahren immer noch sehr erleichtert darüber bin, dass das Leben vor nun genau zwanzig Jahren eine völlig andere Richtung eingenommen hatte. Damals sagte ich zu dem Mann, von dem ich mich gerade erst getrennt hatte, dass wir beide alle Möglichkeiten in der Hand hielten und nun jeder für sich etwas daraus machen könnte. Das Richtige für sich tun könnte. 
Würde ich diesen Weg nicht gegangen sein, damals, dann wäre ich vermutlich Jahre später nicht mehr gegangen - und würde irgendwann vor meinem Ende all das bedauern, was ich eben nicht getan habe..
Mir gingen auch die Worte des heutigen Mannes durch den Kopf, der vor sehr langer Zeit mal zu mir sagte, dass ich vielleicht nicht genug arbeiten würde, wenn ich nicht so viel Geld verdiene.
Dazu muss ich sagen: Ich hab immer gern gearbeitet, weil ich es liebe, eine Aufgabe zu haben. Etwas habe, an dem ich mich messen und an dem ich wachsen kann. Das, was ich mache, hab ich immer mit Herzblut gemacht. Arbeit habe ich nie gescheut. Vielleicht kann man eher sagen, dass ich in einer Berufsgruppe unterwegs bin, für die mir die eine oder andere Zusatzausbildung oder Qualifizierung fehlt, um dort mehr Gehalt zu bekommen. 
Bis heute habe ich weder das eine noch das andere nachgeholt - die Gründe hierfür sind verschieden - aber wo ich heute angekommen bin, das erfüllt mich mittlerweile doch mit einem guten Gefühl. Oder Stolz - darf man Stolz überhaupt noch sagen? Inzwischen sind ja so viele Worte und Empfindungen negativ besetzt, dass ich heute schon noch mehr überlege, was ich sage und wie ich es ausdrücke.
Jedenfalls, die Position, die ich heute hab, verbunden mit dem Gehalt, das ich seither bekomme, fordern eben auch ihren Tribut. Dass ich arbeite, auch wenn ich erkrankt bin; dass ich auch mal arbeite, wenn ich im Urlaub bin; dass ich vor allem im Home Office oft zehn Stunden am Tag arbeite - das hab ich alles schon vor Gehalt und Position gemacht - aber heute werde ich eben auch dafür bezahlt. 
Ich denke, ein Stück weit wird einfach von mir erwartet und auch vorausgesetzt, keinen Dienst nach Vorschrift zu machen. Das war zwar noch niemals meine Einstellung, dennoch führt meine Arbeitsweise auch heute noch immer wieder zu Diskussionen mit dem Mann. Er wünschte sich, ich würde weniger arbeiten - nur wäre ich ohne Herzblut und Engagement eben nicht da, wo ich heute bin..
Gleichwohl ist Abgrenzung nach wie vor ein großes Lernthema für mich. Sicherlich bin ich da schon vorangekommen, aber da.. ist noch Luft nach oben, würde ich sagen. 

Nach dem Urlaub im Sommer hab ich mich so herrlich entspannt und erholt gefühlt - und dieses Empfinden hielt eben einfach nicht lange an. Jetzt sind wir für einige wenige Tage nach Italien gefahren. Ich liebe dieses Land, ich liebe diese Lebensart - auch wenn ich immer wieder schmunzeln muss, weil die Italiener so furchtbar hektisch sprechen. Aber ich liebe ihr Essen, ihre Lebensart, insbesondere der Menschen in der Toskana, fernab von größeren Metropolen. Ich bin wirklich sehr gern hier - und frage mich öfter: Wo möchte ich später mal sein, wenn ich nicht mehr arbeiten muss?
An die Küste - und welche? Kann ich das auch dann bezahlen, wenn der Mann nicht mehr bei mir ist? 
Wie finanziert sich mein Leben dann überhaupt? Genügt die Vorsorge? Genügt das Einkommen nach dem Arbeitsleben? Was brauche ich selbst und wieviel brauche ich, um glücklich zu sein?
Ich glaub, diese Antwort ist.. ziemlich einfach.
Eigentlich.. brauche ich nur die Musik und das Malen. 
Einen kleinen bezahlbaren Wohnraum für mich finde ich ganz sicher, ganz gleich wo. 
Eigentlich.. mache ich mir da nicht wirklich Sorgen. 
Nur Gedanken. Hin und wieder. Mal mehr, mal weniger..

Und inmitten dieser Gedanken stolperte ich über die Gedanken einer anderen Bloggerin und deren "Prokrastinationsstöckchen".. Wann immer ich solche Fragen lese, formuliere ich selbst beim Lesen fremder Antworten meine eigenen...

1. Wo ist Dein Handy?
Neben mir. "Du und dein Handy" murrt der Mann ja oft. Irgendwie hat er recht. Das Teil und ich sind vermutlich schon sowas wie ne Symbiose eingegangen. Aber da ist einfach auch alles drauf, was ich brauch. Ganz voran - dank Spotify - eine ungeahnte Fülle an für mich toller Musik.

2. Dein Partner?
Steht grad draußen in der Nacht aufm Balkon. Er hatte schon geschlafen, war wieder aufgestanden und nun wartet er, dass ich hier fertigwerde und mich mit ins Bett begebe :)

3. Deine Haare?
Wachsen wieder. Gott sei Dank. War doch bisschen erschrocken, wieviel beim letzten Friesemeistergang abgesäbelt worden war. 

4. Deine Mama?
Die ist beim Papa.

5. Dein Papa?
Der ist bei der Mama.

6. Dein Lieblingsgegenstand?
Hm. Ich habs nicht so mit Superlativen. Vermutlich bin ich da typischer Zwilling: Kann mich so schlecht festlegen :)
Der Mann hingegen würde ja jetzt sofort sagen: "Na dein Handy!"

7. Dein Traum von letzter Nacht?
Hm, gruselig.. Ich träumte, ich stünde in einem Wohnhaus (irgendwie ähnelte es dem Haus, in dem ich mit dem Ex lebte) unten an der Tür und irgendein Mann wollte, dass ich rauskomme und mit ihm mitgehe. Mir wurde jedoch bewusst: Eh das geht schief, der ist gefährlich.
Also hab ich die Tür zugeschlagen und versucht, in eine der Wohnungen zu fliehen, bevor der Mann die Tür öffnen und mich jagen konnte. Aber da gab es keine Wohnungen und in diesem Haus und keine Tür, die sich für mich öffnete.. Da bin ich aufgewacht.
Ich hatte sehr, sehr lange Ruhe vor beklemmenden oder gar Alpträumen. 
Jetzt geht die Scheiße hoffentlich nicht wieder von vorne los.

8. Dein Lieblingsgetränk?
Na gut, das ist einfach ;)

9. Dein Traumauto?
Klein und handlich muss es sein. Und ich bin noch immer ein Fan von Audi. Kann mir nicht helfen, war schon immer so. Der Mann zeigte mir heute so nen kleinen Fiat 500 oder so - kennt Ihr sie noch, diese alten, runden Modelle? Er meinte: "Das wird später mal dein Stadtauto" und ich grinste breit. 

10. Der Raum, in dem Du Dich befindest?
Im Wohnbereich der Ferienwohnung. 

11. Dein Ex?
Ich denke an dieser Stelle nach vorn, nicht zurück.

12. Deine Angst?
Oh, hm, mehrere: vor Höhe, vor Enge. Begraben, verbrannt zu werden, ohne wirklich tot zu sein. Am schlimmsten: Angst um die Kinder. Je oller, je doller. 

13. Was möchtest Du in 10 Jahren sein?
Glücklich. 

14. Mit wem verbrachtest Du den gestrigen Abend?
Mit dem Mann. Ich malte, er las. 

15. Was bist Du nicht?
Geduldig. Knitterfrei. 

16. Das Letzte, was Du getan hast?
Grußkarten malen. Verlege mich grad vom Steine bemalen auf Grußkarten malen und übe mich hierbei in Aquarell. Da ist aber noch wirklich ganz, ganz viel Luft nach oben. 

17. Was trägst Du?
Ein Sommerkleid.

18. Dein Lieblingsbuch?
Ein ganzes halbes Jahr. Da ist sooo unfassbar viel von mir in der Protagonistin.
(Und grad stell ich fest, ich kann ja doch in Superlativen ;))

19. Das letzte, was Du gegessen hast?
Spaghetti Bolognese. Selbst gemacht. Danach war ich so satt, dass ich kein Abendessen mehr brauchte.

20. Dein Leben?
Es fühlt sich vieles neu und ungewohnt an. Mit dem Rückzug von M nach L haben der Mann und ich die Seiten getauscht. Jetzt ist er fast ausschließlich im Home Office, während ich wieder mehr ins Office gehe. Wie sehr mich das noch anstrengt, spüre ich daran, wie sehr ich mich auf diese kleinen Kurzurlaube freue. Kein "wir machen nur einen Urlaub im Jahr", sondern "wir verteilen unsere freien Zeiten auf zwei-, dreimal im Jahr" - und ich genieße das nicht nur, ich brauche das momentan wirklich. 

21. Deine Stimmung?
Ausgeglichen. Entspannt. Hier hab ich überlegt, ob ich das schreibe. Weil.. Immer, wenn ich hier im Blog schrieb, dass es mir grad gut geht oder so, dann und wirklich immer dann ist im Anschluss irgendetwas vorgefallen, was mir genau diese Stimmung wieder genommen hat..
Ich bin nicht abergläubisch, aber nach der x-ten Wiederholung schleicht sich dann doch ein etwas mulmiges Gefühl ein. 

22. Deine Freunde?
Fast alle wieder in der Nähe - nur liegts hauptsächlich an mir, dass ich nur wenige wiedergesehen habe und es auch noch keine Wiederholungen gab. Ich muss mich noch reinfinden in den neuen Rhythmus in L. Womit ich auch wieder beim Lernprozess des Abgrenzens wäre ;)

23. Woran denkst Du gerade?
Oh da bin ich typisch Frau und typisch Zwilling: In meinem Kopf gehts grad zu wie auf nem Jahrmarkt. 

24. Was machst Du grad?
Na bloggen??!!

25. Dein Sommer?
Oh, ich hab eins festgestellt: Ich bin kein Sommerkind mehr. Am Winter mag ich nicht, dass die Bäume kahl und die Landschaft oft so trist ist.
Was liebe ich also? Genau. Den wundervollen Herbst mit seinem goldgelben Kleid. Ich freu mich so auf die Zeit meiner rosafarbenen Strickhandschuhe, den Strickstrümpfen und den Boots, dem Schal und den heißen Kakao oder Milchkaffee.. DAS ist einfach meine Zeit!

26. Was läuft in Deinem TV?
Nichts. Im Urlaub brauchen wir den nicht. 

27. Wann hast du das letzte Mal gelacht?
Heute Abend über den Mann. Oder besser gesagt: Wegen dem Mann ;) Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied. 

28. Das letzte Mal geweint?
Das ist eine Weile her und es ging um meinen Jungen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. 

29. Schule?
Ich lerne jeden Tag etwas dazu.

30. Was hörst Du gerade?
Obigen Song (in Dauerschleife). Das ist so eine Kategorie, das hör ich am liebsten beim Autofahren, beim Bummeln in der Stadt, beim Sitzen in der Sonne...

31. Liebste Wochenendbeschäftigung?
Ausschlafen. Malen. Musik hören. Radeln. Spazieren gehen. Entdecken. Sehen. Freuen. Genießen. Alles - Hauptsache stressfrei.

32. Traumjob?
Öhm... Vor etlichen Jahren hätte ich noch gesagt: Was Soziales, was mit Kindern. Inzwischen bin ich mir darin nicht mehr so sicher. In Zeiten, wo selbst Grundschulkinder mit Dingen in die Schule kommen, mit denen ich nicht mal als Erwachsene in Berührung kommen wollte, weiß ich nicht mehr, ob das was für mich wär. 

33. Dein Computer?
Passt, wackelt und hat Luft. Sagt man so, oder? Grundgütiger, was soll ich denn zu nem Computer sagen? Was is das für ne Frage?

34. Außerhalb Deines Fensters?
Hier? Oder zu Hause? zu Hause hab ich endlich meinen geliebten Kastanienbaum vor dem Fenster. Nicht ganz soooo nah, wie ich mir das gerne gewünscht hatte, aber er ist da, es gibt ihn - und ich kann ihn mir jeden Tag anschauen, wenn ich frühstücke oder zu Abend esse.

35. Bier?
Äh igitt. Never ever.

36. Mexikanisches Essen?
Habe ich vor vielen Jahren mal gegessen. War sehr lecker. 

37. Winter?
Ist jetzt nicht so meine bevorzugte Jahreszeit. Ja es sieht toll aus, so eine verschneite Landschaft. Ich hab aber lieber trockene Straßen - und das ist für manche Städte noch immer eine Herausforderung. Die scheinen jedes Jahr aufs Neue überrascht, dass es sowas wie Schnee gibt.
In diesem Jahr aber freu ich mich vor allem auf die Weihnachtstage. Das erste Weihnachten, an dem wir nicht fahren müssen - und trotzdem die Familie bei uns haben. 
Für den Mann ist das hier nicht so einfach - er vermisst M und er vermisst seinen Sohn. 
Ich kann das absolut nachempfinden, das hab ich die letzten acht Jahre auch so empfunden. Es wird für immer unser Spagat bleiben, denn meine Kinder werden nicht nach M wechseln - und der Sohn des Mannes nicht (zurück) nach L.
Und M selbst.. Es ist nicht so, dass ich die Stadt nicht vermisse. Es ging so schnell und so einfach, mich dort einzuleben, das hab ich nie gedacht. 
Wohnen möchte ich dort dennoch nicht für den Rest meines Lebens.
Zu weit weg vom Meer, zu teuer für mich allein, sollte es eines Tages so kommen. Es ist auch einfach zu weit weg von meinen Söhnen, von denen einer noch mit vielem hadert und dankbar ist, nicht vergessen zu werden.

38. Religion?
Ich habs nicht damit. Im Namen der Religion ist schon so unendlich viel Unglück über die Menschen gebracht worden. Wenn überhaupt, würde ich am ehesten zum Buddhismus passen. Unterwerfen würde ich mich jedoch keiner Religion. 

40. Auf Deinem Bett?
Da liegt aktuell jetzt wieder der Mann, weil dem das hier alles zu lange gedauert hat :)

41. Liebe?
Liebe ist ein großes Wort. Auf Worte gebe ich nichts mehr. 
Aber es ist ein wunderbares Lebensgefühl. Und davon hab ich, glaub ich, ganz viel. 

So, und weil es jetzt 1:10 Uhr ist und ich auch langsam müde werde, verabschiede ich mich von Euch und meinen Nachtgedanken.

Montag, 11. September 2023

Auf leisen Sohlen


Da hab ich mich nur einmal kurz umgesehen - und schon neigt sich der Sommer dem Ende entgegen. Auch dann, wenn er noch einmal so richtig auffährt und alles aus sich herausholt, was dem Menschen um diese Zeit noch geboten werden kann.
So wie am gestrigen Tag, als wir uns die Fahrräder nahmen und zum See radelten.
"Gib auf deinen Rock acht", mahnte der Mann, während ich ihm lachend davonfuhr und es genoss, wie Sonne und Wind die Haut streichelten und der Rock im Wind flatterte. 
Ich meine.. wir sind inzwischen im September angekommen - und haben gestern im See gebadet, der noch so gar nichts von Spätsommer oder gar Herbst anmuten lassen wollte. Auch färbt sich noch nicht einmal das Laub.

Aber da ist der Ruf der Raben vor unserem Fenster, die mit ihrem Schnarren den Herbst ankündigen. Wie sie da sitzen im Kastanienbaum auf der einen Seite oder auf der Platane, wenn ich von meinem Bett aus zum Fenster hinausschaue. Es war übrigens genau dieser Blick, der den letzten Ausschlag gab, dieser Wohnung zuzusagen. Gibt es etwas Schöneres, als vom Bett aus auf sattes Grün schauen zu können? Ja freilich, gibt es - das Meer :) 
Gleichwohl.. wäre da ja immer noch mein ganz persönliches Dilemma - die Frage des Wohnens am Meer oder in einer Metropole - oder bestenfalls mit beidem zusammen. Jedoch dazu das Land verlassen zu müssen, dazu wäre ich zumindest in der aktuellen Zeit noch nicht bereit.
Erst wenn sie ihren eigenen Lebensmittelpunkt gefunden haben, die beiden Jungen.. Erst wenn ich weiß, dass es da jemanden gibt, der ihre Ängste, ihre Sorgen, ihre Glücksmomente, ihr Lachen teilt - erst dann könnte ich es mir vorstellen zu gehen. Noch einmal ganz woanders hinzugehen..
Beim Jüngeren stehen die Zeichen sehr gut hierfür, der Ältere wird mehr Zeit dafür benötigen. 
Es hat eine Zeit gegeben, in der ich mir sagte: Er hat alle Zeit der Welt und auch ich kann warten auf das, was mir, was uns wichtig ist.
Jedoch las ich unlängst diese Zeilen "Es gibt Dinge im Leben, die man nie sagt, weil man glaubt, man hätte noch ein ganzes Leben lang Zeit. Man hat kein Leben lang Zeit. Nie."
Und irgendwie.. stimmt das ja auch. So irgendwie halt. 


Vor einigen Tagen stand ich am Bahnsteig und habe gewartet. Auf die Bahn und auf einen Menschen, der mir sehr viel bedeutet.
Ich stand dort, ich hatte meine Musik in den Ohren und während der Blick langsam all die Menschen einfing, ihre Gesichter, ihre Mimiken, ihre Gestiken, da wünschte ich mir, ich könnte in die Bahn steigen. Würde irgendwo hinfahren, irgendwo aussteigen und mir anschauen, was mir dort begegnen würde. Und sei es einfach nur für diesen einen Tag. Vielleicht auch doch ein Zimmer irgendwo nehmen und anderentags wiederkommen. Reich angefüllt mit Eindrücken, mit Ideen, mit Inspirationen.
Das ist die eine Seite an mir.
Die andere ist ja - realistisch betrachtet - jene Seite, die Furcht entwickelt. Die, solange sie nicht losgelaufen ist, Furcht vor dem Weg entwickelt; davor, nicht wieder heil und gesund heimzukommen. Aus ganz verschiedenen Gründen, die - bei Tag betrachtet - ja alle irgendwie völlig substanzlos sind. 
Wenn ich daran denke, wie sorglos ich noch vor einigen Jahren war... Wenn ich daran denke, wie leichtsinnig ich genau genommen vor einigen Jahren noch war... Dann bin ich tatsächlich auch dankbar. Dankbar dafür, dass ich bei all den Dummheiten, die ich angestellt habe, immer noch Glück hatte.
Gerade muss ich ein bisschen lachen, weil mir die Tage an der Küste einfallen, zu denen ich mich spontan entschlossen hatte. Einfach ein Ziel herausgesucht, eine Unterkunft gebucht - und losgefahren. Um vor Ort festzustellen, dass sich das Zimmer, das ich meinte, gebucht zu haben, leider doch nicht im ersten Stock mit dem kleinen niedlichen Balkon und dem wunderbaren Blick auf das Meer befand, sondern im Erdgeschoss. Was zur Folge hatte, dass ich, kaum dass der Abend nahte, alle Vorhänge sorgfältig zuzog, auf dem Sofa statt im Schlafzimmer übernachtete (ich hab bis heute noch nicht verstanden, warum sich ein Sofa für mich sicherer anfühlt als ein Schlafzimmerbett) und mich blind und taub stellte, als jemand an der Wohnungstür rüttelte, während mir das Herz bis unter die Haarwurzeln schlug. Das Telefon mit eisernem Griff in der Hand, bereit, sofort den Notruf zu wählen, sollte die Eingangstür auch nur ein bisschen nachgeben wollen. 
Vielleicht war ja jener Zeitpunkt etwas ungünstig gewählt, vielleicht war die Jahreszeit weniger ansprechend. Vielleicht hätte ich mehr Menschen auf den Straßen, im Haus gebraucht, die mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelten. Der Mann träumt ja oft von einem Haus in den Bergen. Er weiß, dass er mich davon niemals wird überzeugen können. Für ihn ist es der Reiz der Natur, der Stille, der Ruf der Berge. Für mich jedoch bedeutet es Einsamkeit und gruselige Nächte. 

Am Ende werden wir sehen, wohin es uns treibt. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass uns die Zeit für all das bleibt, wovon wir träumen, was wir uns wünschen. Dass wir - wider besseren Wissens - eben doch alle Zeit der Welt haben, irgendwie. Weil man sein Leben doch nicht auf Kosten anderer führen kann. Oder besser gesagt.. Ich kann das nicht. Oder noch besser: Ich möchte das nicht. 
Unlängst sagte ich einer Freundin: "Mach mehr von dem, was sich für dich gut anfühlt". Woraufhin sie antwortete: "Würde ich ja gern, wenn nicht alle zwei Minuten jemand was von mir wollte."
Im ersten Affekt wollte ich antworten: "Dann grenz dich ab."
Ich habs dann aber nicht geschrieben. Weil Abgrenzung wichtig ist - aber nicht immer über allem und jedem steht. 

Mit dem Herbst, der nun auf leisen Sohlen naht, fühle ich jedoch, wie auch ich wieder stiller werde. Ich spüre das vor allem an der Musik, die ich momentan bevorzuge. Die Klänge werden langsam sanfter, sinnlicher, auch melancholischer. Die Gedanken werden sanfter, nachgiebiger, ruhiger. So als würde ich mich in einen Kokon aus eigen Gedanken, aus der Musik und den Bildern, die ich malen möchte, die ich ausprobiere zu malen, hüllen. Und wenig von dem, das um mich herum ist, durch diesen Kokon dringen kann. Mir tut sie gerade gut, diese Zeit. Um nicht zu sagen: Ich liebe diese Zeit. 
Dass das den Mann etwas verunsichert, kann ich spüren. Ich kann es fühlen, wenn er mich manchmal anschaut; ich kann es fühlen an dem, was er sagt und was er denkt. Für mich jedoch.. ist der Herbst irgendwie.. eine Zeit, in der ich mich befreie von all dem, was sich über das Jahr in meinem Kopf und in meinen Gedanken angesammelt hat. 

Sagte ich eigentlich schon, dass ich den Herbst unfassbar liebe? Ich bin schon sehr lange kein Sommerkind mehr. 

Dienstag, 8. August 2023

...cause when I wake up, I'm alone.


Viel zu lange wieder nicht geschrieben. Als gäbe es nichts zu erzählen oder wenigstens zu sagen. Ist ja nicht so, als wäre der Kopf nicht beschäftigt. Das ist er, ständig rollen alle möglichen Dinge hin und her. Manchmal beinah der Versuchung nachgegeben, etwas aufzuschreiben. Manchmal der Versuchung nachgegeben, Gedanken auszusprechen. Reaktionen abgewartet, diese im Kopf arbeiten lassen - und letztlich wieder geschwiegen. Dinge im Raum stehengelassen.

Jeden Morgen auf dem Weg ins Büro und jeden Abend auf dem Weg nach Hause lass ich die Fenster meines kleinen Grauen hinunter, weil ich es fühlen will: den frischen Wind, wie er mit den Haaren spielt, mit dem Rock. Ich liebe es, wie er mir um die Beine wuselt, unter dem Rock, unter der Bluse. Dann drehe ich diese Musik so sehr auf, dass der Sitz vibriert, dass die Noten buchstäblich auf der Haut tanzen. Dann fühle ich mich.. irgendwie frei. Frei im Kopf und in der Seele. Beinah so frei wie in den gerade zurückliegenden Tagen am Meer. Hineinspringen, ob der Kälte zittern, kreischen, eintauchen, auftauchen, in die Wellen werfen, mich von ihnen ans Ufer tragen lassen und doch wieder zurücktauchen, zurückschwimmen... Unendliche Weite wie ein kleiner Fisch in einem Ozean, unendliche Freiheit. Hineinwerfen in die weißen Schaumkronen, bis es überall prickelt auf jedem Zentimeter meiner Haut. 

"Du hattest so ein geiles Strahlen um dich herum, als du aus dem Urlaub kamst. Aber einen Tag drauf wars schon wieder vorbei."

Wir haben keinen einzigen Tag ferngesehen, wir waren jeden Tag im Meer baden, ganz gleich, ob es regnete oder die Sonne schien. Haben die Halbinsel mit dem Rad erkundet, wundervolle kleine reetgedeckte Gasthöfe entdeckt, unter deren Dach selbstgebackener Kuchen geboten wurde. Ich liebe es, die Augen zu schließen und dem breiten ruhigen Dialekt der Einheimischen zuzuhören, die Beine auszustrecken und an nichts denken zu müssen. Abends die Spielkarten auszupacken oder auf ein Konzert zu gehen, mitzusingen, so aus vollem Herzen, bis die Stimme bricht und die Augen funkeln. An anderen Abenden mich ins Bett zurückziehen können, in einem Buch lesen, während sich die anderen im Wohnbereich über Gott und die Welt unterhalten. Dem Regen lauschen und die Augen schließen.. Ich liebe es, ab und an allein zu sein, für mich allein zu sein. Ich muss ab und an für mich allein sein.

Der Kopf war frei, die Seele atmete frei - ich war frei. Vermutlich ist das auch der Grund, dass es sich für mich immer so anfühlt, als käme ich aus einer völlig anderen Welt, wenn ich wieder nach Hause zurückgekehrt bin. Das neue Zuhause, an das wir uns noch immer nicht so ganz gewöhnt haben. Zu groß der Raum, den wir wählten. Und inzwischen weiß ich auch, woran es liegt: Es fehlt noch meine ganz persönliche Note. 
Vermutlich sind Küche und Schlafbereich am ehesten das, was an mich erinnert. Bunt, geradlinig und zugleich verspielt, gelassen und zugleich unruhig... Lebendige Farben in einem ruhigen Rahmen..
In beiden Räumen mischen sich am ehesten mein nicht-erwachsen-werden-können-und doch-längst-den-Sandalen-entwachsen...
Das ist es vermutlich auch, warum ich mit dem Wohnbereich noch nicht "fertig" bin: Er ist für mich zu geradlinig, zu erwachsen... Über Wochen habe ich darüber nachgedacht, was ich anders gestalten, was ich anders haben möchte. Vorgestern Abend endlich die zündende Idee.. Es sind Bilder, die noch fehlen.. Bemalte Leinwände. Die Motive arbeiten im Kopf, eigentlich sind sie aber auch schon fertig... Mit der Umsetzung wird es etwas länger dauern.
Für den langen Weg vom Wohn- in den Schlafbereich habe ich den Mann von meiner Idee überzeugen können: großformatige schwarz-weiß-Fotografien in schwarzen Rahmen. Eher ruhige, sinnliche Motive.
Wenn wir doch nur die Zeit finden könnten für das, was wir uns überlegt haben.
Wenn wir doch nur überhaupt Zeit finden könnten..
Seit wir nach L zurückgekehrt sind, fühlt es sich an, als würden die Tage zwischen meinen Fingern zerrinnen. Würden die Zeiger der Uhr wesentlich schneller rotieren und die Abfolge aus Tag und Nacht wie im Zeitraffer vor meinem erstaunten Blick vorüberziehen.
Möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass ich wieder mehr im Büro als im Home Office bin.
Mir ist bewusst, dass ich anderes hätte aushandeln können. Dass ich andere Bedingungen hätte festmachen können. 
Wie oft ich darüber nachgedacht hatte, das Unternehmen zu verlassen. Die Angebote, die mir das ermöglicht hätten. Bis das Unternehmen verkauft und mir in diesem Zuge eine neue Rolle übertragen worden war, der ich mich verpflichtet fühle. Die mir Angst macht vor mir selbst, in die ich mit jedem Tag mehr hineinwachse und die mich zugleich jeden Tag neu meine Grenzen spüren lässt. 
Wenn ich am Abend die Tür aufschließe, fühle ich mich unendlich müde. Möchte nicht reden, nicht zuhören, nicht gefordert sein. Doch dann... Meist hat der Mann schon etwas zum Abendessen vorbereitet. Er erzählt von seinem Tag, während ich den Blick nach draußen auf den herrlichen Kastanienbaum richte. Ich liebe Kastanienbäume so unfassbar sehr!
Manchmal schweifen die Gedanken ab, manchmal kann ich die Konzentration halten, manchmal antworte ich, meistens lasse ich ihn einfach nur reden und höre zu. Und dann.. dann kann ich fühlen, wie die Ruhe in meinen Körper kriecht, sich in jedem Zentimeter von mir ausbreitet. Wie Gedanken langsam austrudeln ähnlich einem Brummkreisel von einst in der Ecke liegenbleiben. Manchmal lassen wir die Musik im Hintergrund spielen, während wir uns ein Glas Weißwein einschenken und ich den Mann zwischen den Korbstühlen und den Blumen auf dem Balkon zum Tanzen verführe. Dann lehne ich meinen Kopf an seine Brust, schließe die Augen, völlig selbstvergessen.. kann alles um mich herum und in meinem Kopf ausblenden, irgendwo ganz tief nach hinten in den letzten Winkel des Bewusstseins schieben.. und einfach nur genießen..
Manchmal aber schlüpfen wir abends noch in die Turnschuhe, fassen uns an die Hände und laufen hinein in den Park, atmen die Wärme des Tages.. Und dann erzählt der Mann von Gott und der Welt. Hin und wieder schmunzle ich über seinen Redebedarf. So wie ich mich fühlte in den ersten Jahren nach dem Umzug nach M. 
Manchmal aber.. machen wir einfach auch gar nichts. 
An dieser Stelle muss ich grad unwillkürlich grinsen, weil mir der Inder einfällt, der damals, 2016 auf unserer Reise durch Rajasthan, zum Mann sagte, ich sei ganz anders als er - er sei so ein Unruhegeist, wolle so viel wie möglich an Erlebnissen in einen Tag verpacken, während hingegen ich diejenige sei, die in sich ruhe und nicht so viel braucht, um glücklich zu sein. Interessant, oder? Dass ein Mensch so punktgenau das Wesen eines anderen erfassen kann, den er ja eigentlich gar nicht kennt. 

Jedenfalls.. seit ungefähr zehn Tagen sind wir wieder da, sind wir zurück vom Meer. In Momenten wie diesem hier gerade jetzt fühle ich mich wohl. Ich sitze hier im Küchenbereich an genau dem Holztisch, den ich mir immer gewünscht habe. Es ist dunkel, nur Kerzen stehen im Wohnbereich, die ihr zartes Licht hier herüberbringen. Es gibt zwar eine Trennwand zwischen Wohnbereich und Küche, aber keine Türen. Ich liebe es.. Luftige Räume, an die wir uns aber eben auch beide erst gewöhnen mussten. 
Ich höre den Song im Dauerrepeat, so wie ich es aktuell jeden Morgen und jeden Abend tu.
Und schmunzle grad bei dem Gedanken an den Blick des Mannes vor zwei Tagen, als er am Abend vor dem Haus auf mich wartete und ich da angefahren kam, die Scheiben heruntergelassen, das Haar zerwühlt, der Rock aufgebauscht, die Wangen rosa und die Musik...
"Sag du nochmal, ich soll die Musik leiser machen", hat er mich gerügt und ich hab einfach gelacht. 
Manchmal .. ist die Musik alles, was ich für den Moment brauche. Ich liebe sie genau aus diesem Grund, diese dreißig Minuten zwischen Büro und Zuhause.

Denn.. Viel zu oft liege ich nachts wach, kann nicht schlafen, kann nicht einschlafen, drehe mich von der einen Seite auf die andere, liege ausgestreckt auf dem Rücken und schaue in die Nacht. Betrachte das Lichtspiel vorbeifahrender Autos auf der Jalousie vor dem Fenster. Denke an Themen, die mich beschäftigen, an die Menschen, die in meinem Kopf wohnen, an die Kinder, an meine Familie, an politische Debatten, an denen ich mich nur noch selten beteilige, weil ich zunehmend skeptisch bin bei Menschen und Meinungen, die nur eines zulassen: den eigenen Standpunkt. 
Der Mann weiß das alles. 
Und er hat geschimpft, als ich vor etwa zehn Tagen jemanden zum Haus des Vaters begleitete, in dem jener überraschend zwar, aber wenigstens in einem hohen Alter zwei Tage zuvor verstorben war. Das ist.. ein Anblick, den zumindest ich nicht so einfach vergessen kann. 
Am Abend, als ich heimkam, da wollte ich.. irgendwie nix mehr. Nichts essen, nichts trinken, nicht reden, nichts hören: Ich war durch. Empfand nur noch dieses tiefe Bedürfnis, mich in mein Bett zurückzuziehen, die Decke über mir auszubreiten und die Augen zu schließen. 
"Haben wir denn nicht genug mit unserem Leben zu tun?" hat der Mann geschimpft und ich weiß genau, er hat nur geschimpft, weil er sich sorgte. Das sind dann immer so Momente, in denen ich in mich hineinlächeln muss: Mich beschäftigen sehr viele Dinge; mir gehen viele Dinge sehr oft und sehr tief unter die Haut und manches überwinde ich nie. Aber es.. schwächt mich nicht. Ich muss dann nur Zeit für mich haben, Zeit für die Musik. Und Zeit für einen Pinselstrich. 


Dieses Bild ist eigentlich eine Fotografie, die ich vor einer Weile auf Instagram entdeckte und die mich wirklich ganz sehr berührt. Manchmal denk ich, es gibt viel zu wenig Liebe - und dabei ist Liebe.. doch ein Grundbedürfnis.. Vielleicht, weil die Menschen ja immer denken, sie hätten noch genug Zeit für alles?