Mittwoch, 26. Juli 2017

"Humor ist der letzte Knopf, der verhindert, dass einem der Kragen platzt."

Da wollte ich doch gestern Abend in Ergänzung der tags zuvor online verabschiedeten Änderung zur Familienversicherung noch ein Dokument hochladen - aber irgendwie ging das nicht. Gesendet ist eben gesendet, aber vielleicht gabs da ja doch noch ne Möglichkeit, den Gang zur Post zu sparen?
Wer keinen Bock hat, ewig in einer Telefon-Warteschleife zu hängen, der hängt sich halt in einen Chat. Dachte ich. Nachdem ich beim ersten Versuch brav abwartete, bevor ich überhaupt etwas schrieb, und der Chat nach geschätzten zwei Minuten ergebnislos beendet wurde, startete ich im zweiten Versuch immerhin erst mal einen Testlauf. Und schickte alsdann die Frage gleich mit hinterher.


Äh... Tja. Wieder nix.
Waren die echt so überfordert mit der Frage? :)
Mit einem erstaunten, aber doch amüsierten Blick, die Kaffeetasse in der linken Hand, die rechte auf der Maus, dachte ich: "Okay, na gut, probiern mers mit nem Rückrufservice. Immerhin werben se ja für nen 24 Stunden-Service. Kann man ja mal testen."


Tja!
Auch wieder nix! Und dabei habe ich nicht mal einen präferierten Zeitraum angemeldet, ihnen quasi eingeräumt, mich auch nachts um halb drei aus dem Bett klingeln zu dürfen.
Nun ja.
Auch Herr Blau wundert sich ja immer, wieso seine Krankenkasse extra eine App anbietet, mit der man alle Rechnungen digital einreichen kann - um Papier zu sparen! Und dann bekommt er einen vierseitigen (!) Anwortbrief - für jede Rechnung einzeln. Muss man nicht verstehen.

Herr Blau fängt an so einer Stelle ja meist etwas an zu wettern und so, das Stimmungsbarometer sinkt dann schneller als ich "Käffchen!" rufen kann, aber ich dachte mir, komm, lass dir deinen Kaffe erstmal schmecken, solange er noch heiß ist und dann ruf ich morgen einfach mal in der Geschäftsstelle in L an. Schließlich wohnt Sohnemann, um den es hier geht, dort, und DA ging bislang IMMER jemand ans Telefon. Und schickte alsdann dem Kaffee genüßlich noch ein Stück Praline hinterher, bevor ich von einem Unwetter auf meiner Heimatinsel las und die Mama auf meine Frage hin förmlich ins whatsapp  schrie (oder wie soll man geschätzte zehn Ausrufezeichen interpretieren?): "JA das haben wir!!!!!!!!!"
"OK Mama, dann bleibt heute vielleicht besser zu Hause."
"Geht nicht, ich hab nachher noch einen Termin und dann muss ich Papa aus dem Garten abholen."
(Der ist ca. 18 km entfernt.)
"OK Mama. Dann halt unterwegs die Augen offen. Nicht dass der Papa dir schon im Schlauchboot entgegenkommt."
Fand se nich so lustig, die Frau Mama.
Jedenfalls der Reihe Wutsmileys nach zu urteilen.
Und ich begreife langsam, warum sie ihr whatsapp nicht mehr missen möchte :)

Auch Herr Blau fand mich nicht so lustig in der Nacht zum Sonntag, als wir nach der feuchtfröhlichen Party gegen halb drei Uhr morgens die Treppen hochstiegen.
"Endlich zu Hause."
"Hmpfgrimmpppffff."
"Was maulste denn jetzt?"
"Na es war doch mein Geburtstag."
"Und? Haben wir den nicht ordentlich gefeiert?"
"Na ich wär *hicks* schon gerne noch mit *hicks* in das [Nobelschuppen] gegangen."
Und mit dem Brustton der ehrlichen Verwunderung schaute ich ihn an: "Was wollteste denn da? Du bist doch schon voll!"
War nicht so gemeint, hat er trotzdem so verstanden und fiel latent beleidigt ins Bett. Aus dem er am Folgetag nur einmal gegen 12 Uhr zum Frühstück und dann abends gegen 19 Uhr zum Abendessen wieder aufstand. Ja ja, von wegen, da wär noch was gegangen ;)

Aber nu ja. Ich kann auch alleine lachen. Sogar über mich selbst ;)

Dienstag, 25. Juli 2017

Lieblingsgeräusche

Gibt es sie, die totale Stille? Ich weiß es nicht, ich habs nicht ausprobiert, nicht danach gesucht. Mein ganzes Leben lang begleiten mich Geräusche, und manche davon liebe ich, weil sie mich wohlfühlen lassen mit dem, was ich gerade tue - oder weil sie mir Bilder in den Kopf zaubern, wo und wie ich gerade sein wollte...

Heute Morgen bekam ich in einer Nachricht "Lieblingsgeräusche" mitgeteilt, und ich habe mir spontan diejenigen ausgewählt, die wiederum zu denen zählen, die etwas in MIR auslösen:
  • das Knarren eines alten Parkettbodens
    (Es erinnert mich so sehr an den Dielenfußboden bei meiner Großmutter, bei der ich jedes Jahr im Sommer die Ferien verbrachte, ihre Bücher las, ihre Fotos betrachtete, ihre Perlenkette durch meine Finger gleiten ließ, Puppensachen nähen lernte und von der ich die Leidenschaft zum Malen erbte.)
  • das Auf- und Zuklappen von Buchdeckeln
    (Ich LIEBE Bücher, ihren Geruch, ihre Haptik, und darum lehne ich jede Form von digitalen Büchern rundweg ab.)
  • die sanfte Wärme in der Stimme einer geliebten Person
    (Was das Timbre in einem selbst auszulösen vermag, erlebte ich bislang bei nur einem einzigen Menschen.)
  • sommernächtliches Grillenzirpen
    (Weil es mich an die Nächte im Gras erinnert, in denen wir Wein tranken und über das Leben philosophierten, während sich über uns der klare Nachthimmel spannte und wir glaubten, die Sterne mit den Händen greifen zu können.)
  • das Knistern beim Abspielen einer alten Schallplatte
  • das Donnergrollen eines herannahenden Gewitters
    (Ich liebe Gewitter, wenn ich zu Hause bin, die nackten Beine ausstrecke, leise Musik durch das Zimmer perlt, ein Glas Tee in der Hand, während ich dem Grollen da draußen zuhören und zusehen kann.)
  • Schnee, der unter meinen Füßen knirscht
  • Herbstblätterrascheln
    (Da kann ich noch heute mit der Freude eines Kindes durchstieben.)
  • Regen, der ans Fenster prasselt
  • der fröhlich bunte Klangbrei in Straßencafés
    (Für mich zeugt das immer von pulsierendem Leben. Vermutlich liebe ich es deshalb, in der Stadt zu leben, mich untermischen zu können, wann immer mir danach ist - oder mich auch wieder zurückzuziehen, wenn ich genug davon habe.)
  • das Klicken von Schreibmaschinentasten
    (Gut, ich gebe zu, die Schreibmaschine, auf der ich einst noch lernte, ist inzwischen längst abgelöst. Längere Texte würde ich vermutlich so nicht mehr verfassen wollen. Aber ich liebe das Geräusch bis heute. Es hat so was... Kreatives irgendwie... Vielleicht, weil man tatsächlich schreiben kann, was immer man auch will. Die Technik von heute jedoch macht es möglich, dass ich mich jederzeit in eines dieser Straßencafés setzen und schreiben könnte, wann immer mir danach wäre. Und dieses Lebensgefühl mag ich... Mich an freien Tagen irgendwohin zu setzen, einen Kaffee oder einen Tee  zu trinken, etwas Süßes dazu zu essen und bei all dem am großen Fenster eines Cafés zu sitzen, zu schreiben, während der Blick sich ab und an vom Bildschirm erhebt und über die Menschen da draußen streicht.. Betrachten, beobachten, lächeln, weiterschreiben..)
  • das Prasseln eines Kaminfeuers
    (Ich erinnere mich an einen Abend auf jener Insel, nein, nicht der Heimatinsel, als wir den Kamin in diesem Häuschen entzündeten und dieser kleine Raum derart mit Hitze erfüllt wurde, dass wir selbst im Monat März für ein, zwei Stunden die Tür zum Garten öffneten und die Katze betrachteten, die sich auf der Türschwelle niederließ und so lange dort saß und die Wärme genoss, bis wir irgendwann die Tür wieder schlossen... Herrlich.)
  • das Plätschern eines Bergbaches
    (Für mich ist es eher das Raunen des Meeres, das Tosen der Wellen. Nirgendwo sonst fühle ich mich so unfassbar frei und gelöst wie am Ufer eines Meeres. Die Arme ausbreiten, die Augen schließen, der kurze Rock flattert im Wind und durch die Zehen drückt sich der feine Sand... Oh ja bitte, ich möchte eines Tages wieder dort leben, egal wo, bitte nur am Rand eines Meeres.)
  • Wind, der wispernd durch Baumkronen weht
    (Oh ja, ich liebe ihn, diesen streichelzarten Wind, der murmelnd durch die Wipfel zieht, der liebevoll durch die Haare wuselt und die nackte Haut streichelt...)
  • dein Lachen, wenn es in mein eigenes einstimmt
    (Miteinander Spaß haben, miteinander lachen, das verbindet so viel mehr. Solange es echt ist.)
Und ich las diese Punkte, ich dachte spontan an die Dinge, die mir dazu einfielen  - und in Gedanken fügte ich noch ein weiteres Geräusch hinzu:
  • das leise Grummeln der Waschmaschine
    (Ich mag dieses Geräusch wirklich sehr, weil es so nach Behaglichkeit atmet, nach dem Duft frischer, gestärkter Wäsche, nach dem Duft grüner Äpfel in Wäsche-Weidenkörben.
    Meine Großmutter spannte noch auf dem Hinterhof ihre Leinen, stützte diese mit gegabelten Holzstecken und anschließend legten wir gemeinsam die Wäsche zusammen. Bis heute liebe ich diesen Geruch aus frischer getrockneter Wäsche, zwischen die sie bisweilen ihre grünen Äpfel legte. Sie ist seit 28 Jahren tot - aber ich vermisse sie bis heute. 

Montag, 24. Juli 2017

Ich will einfach nur nach Hause - Agra, Tag 16


Als wir Agra erreichen, hab ich nichts mehr essen können, kaum trinken, denn mit jedem Versuch, mir etwas Banane oder trockenes Weißbrot beizubringen, ende ich da, wo ich kaum noch herauskommen mag: im Badezimmer.
Und mit einem Mal kann ich alles nicht mehr ertragen, den ewigen Geruch nach Dreck, nach Kloake und Fäulnis in der Stadt, in den Sachen, in den Haaren, auf der Haut, einfach überall. Dazu diese ewig währende stickige stinkige Luft, es gibt einfach nirgendwo frische Luft, keinen einzigen Atemzug, und gerade jetzt, wo die Fiebersäule der 40 entgegenklettert, geht mir das alles nur noch auf die Nerven. Die ewige Glocke aus Dunst, Hitze, Gestank, Lärm und dieses ewige Hupen der Mopeds, der Gestank aus den Färbereien oberhalb der Keller, in denen die Näher sitzen. Ja, die Näher, keine Frauen.



Die Inder sind so süß, so besorgt, aber ich will einfach nur meine Ruhe. Nicht angesprochen werden, nicht angefasst werden, ich will mich einfach nur hinlegen, ich will, dass der Anfall von Schüttelfrost wieder aufhört.
Und dabei können wir hier vom Hotel aus schon den Taj Mahal sehen.
Das kanns doch nicht sein, echt. Man fliegt doch nicht nach Indien und geht dann nicht wenigstens einmal rüber zum Taj Mahal? Aber ich schaffe es an diesem Abend nicht. Es geht einfach nichts mehr und so steigt Herr Blau auf das Dach des Hotels und versucht, von dort aus Fotos zu bekommen.
"Am schönsten ist er, wenn die Sonne aufgeht und wenn sie untergeht."
"Morgen früh gehen wir", flüstere ich, obwohl ich - ehrlich gesagt - nicht weiß, wie ich das hinkriegen soll. Aber irgendwie wirds gehen...









Es ist 6 Uhr morgens und vor dem Tor des Taj Mahal stehen schon die Besucher und warten auf den Einlass. Zweireihig. Ich muss nicht stehen und warten, ich darf mich vorn an den Eingang setzen. Vermutlich sehe ich tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes ausgekotzt genug aus.

Es ist schon so.... Mir gings tatsächlich hundeelend, dunkelgrünes Wasser aus allen möglichen Gängen des Körpers, Fieber ohne Ende - aber dann steht man da in diesem Park mit vor Schwäche zittrigen Beinen, man steht vor diesem irrsinnigen Monument einer längst vergangenen Liebe, eines längst vergangenen Lebens und es nimmt einen einfach gefangen.. Tatsächlich. Ich kann es kaum beschreiben. Heute weiß ich, ich hätte es bereut, mich nicht dort auf den Weg gemacht zu haben. Es liegt so eine unfassbare Ruhe in diesem Gebäude, vor diesem, nein, um dieses Gebäude, eine Kraft, die sich kaum in Worte fassen lässt. Ich saß davor auf einer Bank und schloss die Augen.
Und in mir fühlte ich nichts mehr - nur Ruhe und Stille. Den Klang einer Melodie, die nur ich hörte.

Jedoch ich war auch dankbar, dass es endlich, endlich wieder nach Delhi und von dort direkt nach Hause ging. Ich wollte nur noch heim, ich wollte frische Luft in meine Brust atmen, ich wollte den Hahn aufdrehen und klares Wasser in ein Glas füllen, um es zu trinken. Ohne dass es von jenem süßlichen Geschmack der Fäulnis begleitet wurde. Ich wollte ein Bad nehmen, mir das Haar waschen und einfach nur noch nach mir riechen und schmecken.. Auch wenn es noch ganze drei Wochen dauern sollte, ehe der Körper aufhörte zu fiebern und alles von sich zu geben..


Danke Indien, danke für diese doch sehr intensive Erfahrung, dich zu entdecken. Danke für die Erinnerung daran, wie vieles bei uns so selbstverständlich geworden ist - und was für euch einen mitunter irrsinnigen Kraftakt bedeutet. Nichts im Leben ist selbstverständlich, wir vergessen es nur zu oft und zu gern, je besser es uns selber geht...
Und ich war so sehr dankbar für diesen Schritt aus dem Flughafen in M heraus, raus in den hier bereits eisig kalten Morgen, kurz nach fünf Uhr, und ich blieb stehen, ich atmete tief ein, immer tiefer; ich war so dankbar für die Geste der Freundin, uns ein Willkommensbrot zu backen, selbst gemachten Likör, zu fühlen, man ist wieder da, man ist wieder daheim und es gibt Menschen, die tatsächlich auf einen warten und froh sind, dass man wieder da ist.. Danke dafür!

Heute, neun Monate nach unserer Reise, vermag ich noch immer kein indisches Essen zu riechen oder gar zu schmecken. Aber inzwischen kann ich mir vorstellen, dieses Land noch einmal zu bereisen, eine andere Ecke dieser unfassbaren Weite zu entdecken. Sehr sogar.
Denn wenn ich eines mitgenommen habe neben all den Eindrücken, dann ist es diese wunderbare innere Ruhe..

"12 Frauen, 12 Probleme" - Jaipur, Tag 14

Frühstück ist die einzige Mahlzeit, die wir "offiziell" nehmen. Alles andere kaufen wir an diversen Obst- und Gemüseständen oder von einer der unzähligen Küchen am Wegrand, über die Herr Blau sagt: "Eigentlich kann man das alles bedenkenlos essen, so heiß, wie das zubereitet wird. Wir müssen nur drauf achten, dass das, was wir wollen, auch vor unseren Augen zubereitet wird."
Und so schauen wir an jeder Station, wo wir halten, zu, wie Backwerk, Fleisch, Gemüse im siedenden Öl der Pfannen oder der aus Stein gemauerten Herde gegart wird und während wir uns niederlassen, wundert sich Herr Blau immer wieder: "Dass du alles so verträgst und essen kannst, das wundert mich wirklich." Mich - offen gestanden - auch ;)



Das letzte Frühstück in Deogarh, meine geliebten Pancakes, frisches Obst und Omelett und Herr Blaus Blick: "Du wirst gleich platzen." "Das ist egal."
Dass die Fahrt nach Jaipur mit etwa 280 km den halben Tag andauern wird, ahnen wir noch nicht, als wir in einen Zug steigen und durch einen Teil der Gebirgswelt Rajasthans fahren.




Mir ist, ehrlich gesagt, nicht so wirklich wohl dabei. Ich denke an selbst zusammengezimmerte fahrbare Dinger draußen auf dem Land. Ein Satz Reifen, ein paar Bretter und irgendwo da drinnen noch ein Motor, woher auch immer - und das Ding läuft. TÜV in dem Sinne gibt es nicht, man holt sich einmal einen Stempel ab und hat dann 10 bis 15 Jahre Ruhe. Und wenn einer sich selbst was zusammenbaute und damit fährt, interessiert es auch nur niemanden. Er fährt halt.
Nun ist die indische Bahn freilich kein selbstzusammengezimmertes Ding, aber... na ja, das Kopfkino erinnert sich zu gern an den einen oder anderen Beitrag, den man irgendwann mal gelesen hat - und insbesondere angesichts meiner Höhenangst schlug ich innerlich dennoch drei Kreuze an die imaginäre Wand, dass wir heil ein- und auch wieder ausgestiegen waren.
Dafür begeistern mich die Affen mit ihren wundervoll samtigen Händen, Fingern, die nach einem greifen und nachsehen wollen, ob man etwas in den Händen hat.
Ein Inder drückt mir Kekse in die Hand und bedeutet mir, diese weiterzugeben, aber dazu komm ich gar nicht - der Affe greift schon zu, er kennt das. Man kennt sich ;)
"Cookies are not good for their health", sagt der Inder und ich schaue verwundert: "So why you gave me cookies?" Er lacht, hebt die Schultern "Just for fun. Its funny!"
Wir blöden Touristenesel, ne.

Und dann kommen wir nach Jaipur... The pink city. Die Stadt, in der nicht nur die Häuser pink bemalt sind ;)
"Die indischen Männer und Frauen bewundern helle Haut und helle Haare. Das wollen sie auch. Sie wollen auch blonde Haare - aber sie bekommen ihre Haare maximal in Rot gefärbt. Heller bekommen sie sie nicht."
Und wir Europäer legen uns in die Sonne und färben uns die Haare dunkel, wir Frauen beneiden die Inderinnen um ihr tiefschwarzes, zumeist kräftiges Haar und ihren wunderbar milchkaffeebraunen Teint... So wollen wiederum wir Europäerinnen aussehen. Wir sind schon komisch, wir Menschen!




Es ist diese Lücke neben dem Mülleimer, wo ein Mensch lag und vermutlich schlief. Denn als ich sagte: "Lasst uns noch mal zurückkehren, da lag doch jemand?", da war er schon wieder fort.
"Ich hoffe, dass er nur geschlafen hat", sage ich zu Herrn Blau und er und der Inder wechseln einen Blick. Hier interessiert es einfach niemanden, ob da jemand zusammenbricht und stirbt. Er bleibt halt liegen, bis ihn jemand "wegräumt".
Und dabei ist, wie ich erfahre, die medizinische Versorgung geregelt: Jeder kann einen Arzt aufsuchen, niemand muss extra dafür bezahlen. Es gibt tatsächlich auch eine Schwangerenvorsorge. Was für uns selbstverständlich ist, ist es anderswo eben nicht, erst recht nicht in einem Land wie diesem.

Es ist das Amber Fort in Jaipur, das mir Herr Blau am nächsten Morgen unbedingt zeigen möchte. Wo er vor neun Jahren stand und sich wünschte, er wäre gemeinsam mit mir dort...
Man kann den Weg auf den Berg hinauf auf einem Elefanten reiten, aber ich lehne ab. Es ist 9.30 Uhr morgens und bereits 34 Grad heiß - für mich ist das Tierquälerei. Außerdem brauche ich keine typischen Touri-Fotos auf oder neben einem Elefanten, einem Kamel oder was auch immer. Wenn es nach mir ginge, brauchten wir auch keine Zoos und keine Zirkusmanegen. Wer fremde Tierarten entdecken will, soll entweder bei Google nachschlagen oder in das Land seiner Wünsche reisen. Aber das ist nur meine ganz persönliche Meinung.



Wir betreten das Amber Fort, in dem früher ein Maharadscha mit 12 Frauen lebte.
"12 Frauen - 12 Probleme. Heute haben wir 1 Frau und 12 Probleme", schmunzelt der Inder und Herr Blau grinst.











"Wir Hindis glauben daran, dass ein unvollendetes Leben, in dem sich nicht alles erfüllt hat, nicht zuende ist. Man kommt wieder, um sich dann seine Träume zu erfüllen", sagt der Inder zu mir, während wir im Innenraum des Forts stehen und auf Herrn Blau warten, der überall herumwieselt, um Fotos zu machen.
Ich schaue ihn an. "Ich weiß nicht, woran ich glauben soll und was nach dem Tod kommen könnte. Aber trotzdem... glaube ich irgendwie, dass mit dem Tod nicht alles endet."
Und nun schaut er mich an, er lächelt und dann sagt er leise, aber nachdrücklich: "Das tut es auch nicht. Wir bleiben da."
Das ist ein Satz, der sich mir unter die Haut brannte und von dem ich auch heute, neun Monate danach, immer noch Gänsehaut bekomme.
"Wir bleiben da."

Als wir am Abend zurückkehren, lege ich mich müde, aber irgendwie glücklich in dieses wundervolle Bett. Bis ich in der Nacht deutlich zu spüren bekomme: Mist, jetzt hat es auch mich erwischt. Alles Essen & Trinken will auf allen möglichen Wegen wieder heraus aus meinem Körper.
Und es sind nur noch zwei Tage bis zum Abflug.





Samstag, 22. Juli 2017

A Matter of Trust



Bis vor drei Tagen lag vor meinen Söhnen und mir eine Zeit der Unsicherheit und der Anstrengung. Für den einen noch nicht abschließend geklärt, ob er in den neuen Job übernommen würde und für den anderen noch offen, ob er in der Heimatstadt einen Ausbildungsplatz bekäme oder es doch bei der Zusage für den über 100 Kilometer entfernten Ort dort, wo Fuchs und Igel sich gute Nacht sagen, bliebe. Was dann die Frage aufwarf: Was wird mit der Wohnung in L, auflösen und jeder Junge zieht in eine andere WG oder in eine eigene Einzimmerwohnung? Zumal wir noch aus der Erfahrung von vor fünf Jahren wissen, dass eine WG in L nicht einfach zu bekommen ist - und mit dem Entdecken von L als wirklich coole Study-Stadt ist es bis heute immer noch ein ausgesprochener Glücksgriff.
Dass jeder eines Tages sein eigenes Zuhause haben wird, ist auch fraglos - jedoch für den Moment empfand ich für beide die aktuelle Konstellation als einen dicken Pluspunkt: Der eine übt sich im Sozialverhalten und der andere versinkt nicht in der Einsamkeit, in die er eben gerade jetzt nicht geraten sollte. Das gab schon... etliche schlaflose Nächte in der letzten Zeit, aber manchmal... Es ist schon merkwürdig zuweilen: Man öffnet morgens nach einer weiteren zergrübelten Nacht die Augen, man steht auf und während man beim Zähneputzen in den Spiegel schaut, sich in die Augen schaut, da.. lässt man los und denkt: "Du kannst es jetzt eh nicht ändern, aber wir werden schauen, dass wir das Beste draus machen. Haben wir doch bislang auch immer irgendwie hinbekommen."
Man denkt und grübelt, dann akzeptiert man die Situation und überlegt Wege - und dann... kommt alles doch ganz anders.

Am Mittwoch auf dem Weg nach L drehte ich die Musik auf, wie immer, wenn der Kopf übervoll ist. (Ich kann eigentlich nur alleine Auto fahren, weil vermutlich niemand meine Playlist und vor allem nicht den Lautstärkepegel ertragen würde. Wird also wieder spannend in einer guten Woche, wenn dann Herr Blau neben mir sitzt. Werde ihm seine Ohrstöpsel einpacken, sicher ist sicher ;)) Und wie immer entwickle ich auf diese Weise die meisten umsetzbaren Ideen. Kam ich in L an, sprach mit beiden Jungen, entwarfen wir eine to-do-Liste und dann am Abend kommt der eine nach Hause: "Ich hab den Job. Die Kollegen haben gesagt, sie wollen auf jeden Fall mit mir arbeiten, der Disponent will das auch, jetzt muss nur noch der Chef zustimmen, aber der wird dann wohl auch nicht Nein sagen."
"Und das erzählst du mir hier so nebenbei???" Ich bin förmlich auf ihn zugesprungen, habe ihn gedrückt und auf die Wange geküsst und er verdrehte wie immer schmunzelnd die Augen: "Diese Frau macht mich fertig!"
Als ich gestern Nachmittag die Bürotür hinter mir schloss und mich noch einmal auf einen kurzen Zwischenstopp nach L begab, um anschließend nach M weiterzufahren, da meldete sich der andere: "Ich tanze hier gerade im Dreieck!! Ich muss doch nicht nach *Kuhdorf*, ich hab die Zusage für L! Ich kanns noch gar nicht glauben!!" Der Rest ging in meinem Jubelschrei unter. Zehn Minuten später tanzten wir gemeinsam im Dreieck und dann spürte ich, wie mir mit einem Mal die Beine weich wurden und nachgaben: Die Anspannung wich mit einem Schlag.
Alle Probleme mit nur einem Zweizeiler des künftigen Arbeitgebers gelöst, keine offenen Fragen, keine Sorgen, keine zusätzlichen finanziellen Belastungen.
Als ich ins Auto stieg, blieb ich noch einen Moment sitzen, führte ein, zwei Telefonate und spürte ich selbst währenddessen noch immer eine wunderbar ungläubige Fassungslosigkeit in mir, wie sich innerhalb von nur wenigen Tagen alles verändert hatte. Ich begann mich zu fragen, ob nunmehr, nach all den Jahren des Kampfes, der Mühen, der schlaflosen Nächte und der angespannten Tage jetzt endlich, endlich die Erleichterung eintreten würde, nach der ich mich so gesehnt und die ich mir so für uns drei gewünscht hatte. Die 15 Jahre der Ehe waren schon ein absoluter Krampf, die gut 15 Jahre seit dem Ende der Ehe waren es umso mehr - und jetzt sollte es tatsächlich auch mal etwas einfacher für uns werden?
Gerade für meinen Ältesten freue ich mich so irre, weil er sich schon jetzt nach den drei Wochen einfach nur wohl dort fühlt, bereits jetzt erste Kontakte geknüpft hat und auch sagt: "Warte nicht nach der Spätschicht auf mich, wir trinken mal noch ein Bier."
Das hat es in den zwei Jahren in unserem Unternehmen nicht gegeben - und es hieß immer: "Das liegt ja nur an deinem Sohn."
Ja eben nicht. Es ist einfach auch eine Frage des Umgangs. Und vielleicht bringe ich das zu gegebener Zeit auch mal an - und befreie auf diesem Weg auch gleich meine Seele von den vergangenen 25 Monaten, in denen sich eine verdammt große Menge ansammelte.

Als ich den Schlüssel in das Zündschloss steckte und den Motor anließ, da fühlte ich mich mit einem Mal so unfassbar entspannt und zugleich so müde, dass ich am liebsten wieder ausgestiegen und noch eine Nacht in L geblieben wäre. Aber hier wartete Herr Blau, ich wollte einfach auch nach Hause, und ich wollte auch gleich noch mal diesen Moment der Musik, die ich so sehr aufdrehen kann, wie ich es brauchte und wie es die Technik zuließ.
A Matter of Trust.
Seit zwei Tagen in meiner Playlist und ich hör ihn rauf und runter, nicht nur, weil ich gerade jetzt in genau der richtigen Stimmung für genau diesen Sound bin, sondern auch weil er so richtig gut zu Herrn Blau und mir passt. Mit jeder Zeile.
Alles eine Frage des Vertrauens.
Und wenns daran mangelt, dann hilft vielleicht auch ein bisschen Glauben, Wünschen und Hoffen.

Am späten Abend schrieb der Ältere: "Habe heute den Vertrag unterschrieben. Am 1. August gehts los. Ich hab die nächste Woche noch mal frei, bin aber schon zum Sommerfest am Donnerstag mit eingeladen."

Ich hab ihnen versprochen, dass wir die Kuh übers Haus fliegen lassen, wenn ich wieder da bin.


Mittwoch, 19. Juli 2017

10,000 Miles



"Was genau liebst du eigentlich an Herrn Blau?" bin ich in den frühen Jahren so oft gefragt worden. Ich bin es so oft und manchmal so hartnäckig gefragt worden, dass ich mich irgendwann ganz verschloss und überhaupt nicht mehr darauf antwortete.
Wir haben uns kennen gelernt, wir wurden nach einigen Wochen ein Paar und wir trennten uns zum ersten Mal nach sechs wundervollen erfüllten Wochen.
Möglicherweise war es einfach nicht der richtige Moment.. Es war das Jahr meiner Trennung vom Ehemann, vom Auszug aus der gemeinsamen Wohnung und einem Neubeginn, bei dem ich zum allerersten Mal ganz allein und ganz eigenverantwortlich und mit leicht zittrigen Händen einen Mietvertrag unterschrieb. Es war das Jahr des schlimmsten Rosenkriegs, es war das Jahr meines ganz persönlichen Umbruchs und auch eines irrsinnigen Verlustes - und demgegenüber stand ein Mann, der das alles schon hinter sich hatte.
Möglicherweise war es einfach auch nicht der richtige Moment, weil ich irgendwie.. noch gar nicht bei mir selbst angekommen war. Zu sehr reagierte ich auf Einflüsse von außen, zu wenig selbstbestimmt, weil mir einfach nicht klar war, was ich mir wünschte und was ich eigentlich brauchte.

Und dennoch...
Man steht sich gegenüber und es ist... einfach da.
Ein so unwirkliches, nicht zu greifendes Gefühl und zugleich eine Sicherheit, die jeden einzelnen Zentimeter des Körpers durchatmet und die von diesem Moment an völlig Besitz von einem ergreift... Und es endet auch nicht, nur weil sich die Wege trennen, die Gedanken und die Körper sich voneinander lösen und man über Wochen, Monate, manchmal auch ein Jahr lang in völlige Wortlosigkeit versinkt.. Auch dann, wenn es über die Zeit aufhört, sich wie ein inneres Feuer in einem auszubreiten, auch wenn es aufhört wehzutun, innerlich jeden Tag neu so zu verbrennen..
Auch wenn man lacht, obschon man innerlich weint.

"Was genau liebst du denn so an ihm?" Und ich verstand die sich wiederholende, bohrende Frage nicht, die mich irgendwann einfach auch.. bockig werden ließ: Ich liebe ihn nicht für etwas. Nicht für etwas, das er tat, das er tut. Für mich ist Liebe ein Gefühl, das da ist, einfach so, ohne das Zutun, ohne Gründe, ohne Anlass und nicht aus Dankbarkeit für etwas heraus... Es ist einfach da. Ein allumfassendes Gefühl, mit dem ich abends einschlafe und morgens erwache. Mit dem ich in der Nacht erwache, ganz gleich, ob wir beieinander liegen oder auch nicht. Wir kennen uns so viele Jahre, und immer noch erfüllt es mich mit Glück, wenn ich an ihn denke. Immer noch erfüllt es mich mit Vorfreude, wenn ich mich auf den Weg zu ihm begebe. Immer noch liebe ich es, wenn meine Hand in seiner liegt. Wenn seine Hand auf meinem Bein ruht, wenn wir uns irgendwo niedergelassen haben. Ich liebe sein Lächeln, das bis in den kleinsten Winkel seiner Augen kriecht und ich liebe es, wenn wir herumalbern wie die Kinder und uns genauso auch ernsthaft über so viele Dinge unterhalten können. Wir sind weiß Gott nicht immer einer Meinung, und manchmal können wir uns so nachdrücklich darüber auseinandersetzen, dass man wutentbrannt die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt.
Ich liebe ihn, weil mit ihm... einfach alles Spaß macht. Weil sich mit ihm alles so erfüllt anfühlt und mir kaum mehr etwas fehlt, wenn wir zusammen sind. Weil ich mir mit ihm niemals die Frage gestellt habe, ob es so jetzt die nächsten fünfzig Jahre so weitergehen soll und ob es das jetzt war.
Wir sind so viele Wege gegangen, getrennt und gemeinsam, allein und miteinander, und heute frage ich mich nicht mehr, ob das so hatte sein müssen, um bis hierher zu gelangen.
Heute bin ich dankbar, dass wir uns nicht verloren haben in all der Zeit dazwischen.

Vor einigen Tagen hatte er Geburtstag und ich überlegte mir, was ich ihm in ein Kärtchen schreiben wollte. Auch eingedenk der Frage, die er mir unlängst stellte: "Warum liebst du mich eigentlich?" und ich antwortete: "Das weiß ich nicht so genau. Aber ich tue es. Sehr." Und er lächelte dieses wunderbare Lächeln mit diesen Schmunzelecken, an denen ich mich nicht sattsehen kann.
Und weil ich diesen Spruch einige Zeit zuvor gelesen hatte, jedoch eine solche Karte nicht zu kaufen bekam, da malte ich einfach selber eine und schrieb dazu "Die Welt ist schön, weil du mit drauf bist." Und so ist es einfach für mich. Ohne dass ich Gründe dazu brauchte.

Fare the well
My own true love
Farewell for a while 

I'm going away
But I'll be back
Though I go 10,000 Miles...

Donnerstag, 13. Juli 2017

Szenen einer Partnerschaft: Prioritäten!

"Warum legst du das Shirt jetzt auf mein Bett?"
"Ist doch dein Schlafshirt?"
"Das hatte ich vielleicht mal im Büro an? SO schaust du mich an, wenn ich aus dem Haus geh!"
Gähnend strecke ich mich und erkläre gemütlich: "Du hattest heute morgen ein blau-weiß gestreiftes Hemd, dunkle Jeans und braune Schuhe an."
"Hmpffff."
"Und was hatte ich heute morgen an?"
"Du hattest nichts drunter!" 
Besser lassen sich, glaube ich, die Unterschiede zwischen Mann & Frau nicht erklären ;)

Dienstag, 11. Juli 2017

Eine Frage der Authentizität

Ich unterliege, wie vermutlich die meisten Menschen (oder Frauen), der selektiven Wahrnehmung: Das, was mir unter die Haut geht oder was mich auch schlichtweg "nur" interessiert, das speichert sich in meinem Kopf für eine lange, mitunter sehr, sehr lange Zeit.
Es gibt Themen, die liegen mir durchaus im Blut, andere wiederum gar nicht (Mathematik zum Beispiel).
An dem bunten Strauß meiner derzeit favorisierten Blogs fasziniert mich eine gewisse Vielfältigkeit, mit der Menschen von sich oder über sich erzählen. Der eine mehr, der andere weniger.
Und dabei stelle ich immer wieder fest: Menschen interessieren mich. Ihr Auftreten, ihre Handlungsweise, ihre Ansichten - und nicht zuletzt ihre Argumente. Umso mehr, je authentischer sie mir erscheinen.
Und ob nun analytisch denkend oder nicht: Ich will verstehen. Das, was mir begegnet und was mich interessiert, das möchte ich verstehen können. Einfach deshalb, um eigene Blickwinkel zu hinterfragen, zu testen vielleicht auch, manchmal aber auch einfach aus dem Grund heraus, um für mich einen Abschluss für das eine oder andere zu finden. Denn gerade das Verständnis um bestimmte Situationen oder Handlungsweisen ermöglicht mir, mit etwas abschließen, meinen Frieden finden zu können.

Vermutlich setzt das voraus, sich selbst ganz gut zu kennen, sich reflektieren und aber auch sich positionieren zu können. Letzteres vermisse ich aktuell gerade ein wenig in meinem realen Leben. Diese Einstellung "mir doch egal" kann mich ziemlich auf die Palme bringen, ist aber wiederum auch themenabhängig. Denn "ach was, is wurscht" kommt auch mir nicht unbedingt selten über die Lippen.
Ich persönlich glaube ja irgendwie, dass man sich selber nie wirklich hundertprozentig kennt, weil man sich zum einen ja doch immer weiter entwickelt, in welche Richtung auch immer. Und weil einen das Leben andererseits immer wieder mal vor Situationen stellt, die man bis dato nicht kannte und erst mit der eigenen Reaktion erkennt: Das hättsch jetzt vielleicht mal nicht von mir oder ihm/ihr gedacht.
Insofern empfinde ich es als interessant, wenn Menschen sich reflektieren und einen in ihrem Blog daran teilhaben lassen. Solche Beiträge lese ich nicht selten mehrfach, auch dann, wenn ich selber gar nicht oder nur einmal kommentiere. Ich persönlich finde es ziemlich erstaunlich, was die Gedanken bzw. Worte eines anderen, mitunter völlig Fremden in mir selbst auslösen (können).
Der Post von Rain & dem Captn also brachte mich selbst zur Frage, was in dem Falle MIR denn eigentlich mit am wichtigsten sei für das Funktionieren einer Beziehung oder überhaupt in einem Miteinander. Und in einem doch sehr regen Gedankenaustausch via whatsapp mit anderen Bloggern kam ich zu der Erkenntnis: Authentizität. (Neben einigen anderen für mich elementaren Dingen, freilich.)
Aber ich hätte vermutlich nie wirklich beantworten können, WARUM mir das so wichtig ist.
Und diese Erkenntnis überkam mich heute.

In meinem realen Leben gibt es nur sehr, sehr wenige Menschen, denen bzw. deren Urteil oder Einschätzung ich vertraue. Warum das so ist, ist eine verdammt lange, etwas verzweigte Geschichte.
Aber heute empfinde ich so vieles, das ich da oder dort als "Glück" bezeichnet hätte, nicht als etwas, das mir zuteil wurde, weil ich ja ach so toll bin. Sondern weil dies immer mit einer Erwartung an mich verknüpft war: Wer etwas für mich tat, wollte auch etwas dafür. Diese Geschichte vom Gleichgewicht des Nehmens & Gebens lasse ich hier mal beiseite, weil das für mich was ganz Selbstverständliches ist. Aber ich will auf was anderes hinaus: Seit früher Kindheit hat mein Vater mir beigebracht, dass nicht gejammert und nicht gebettelt wird. Das schloss auch ein, nicht um Hilfe zu bitten, sondern zu versuchen, es aus eigener Kraft zu schaffen - oder es eben zu lassen.
Mir ist früher oft vorgeworfen worden, warum ich denn "nicht einfach mal was gesagt" hätte - aber ich konnte es eben nicht. Jedoch spätestens mit meinem Auszug im Jahr 2003 aus der ehelichen Wohnung und dem Versuch, ganz allein neu anzufangen, da realisierte ich mit der Zeit: Ich kann nicht immer alles allein schaffen bzw. ist es mit Hilfe deutlich einfacher - und warum sich alles unnötig schwerer machen als es sein musste? Also begann ich um Hilfe zu bitten... Je freier ich mich fühlte, desto mehr Menschen lernte ich auch kennen - nicht, um sie eines Tages um etwas bitten zu dürfen. Aber ich fand das irgendwie ein klasse Gefühl, viele Menschen zu kennen und so im Bedarfsfall den einen oder anderen zu haben, den man um Rat oder Hilfe bitten konnte.

Und das hab ich fast immer schwer bereut. Aus den verschiedensten Gründen heraus. Weil entweder Erzähltes später gegen mich gerichtet wurde. Weil Hilfeleistungen mir vorgehalten bzw. vorgerechnet wurden. Oder weil ich mich emotional erpressen ließ: Ich war für dich da und jetzt musst du für mich da sein, egal, was das für dich bedeutet und auch wenn dann mal nachts die Polizei in deinem Zimmer hockt und dich fragt, ob du eventuell einen Arzt brauchst. Missbrauch von Freundschaft und Loyalität, Unaufrichtigkeit zu Selbstzwecken, Illoyalität und einfach auch... Verrat.
Das ist alles nichts Neues, das ist auch nichts, das es nicht schon immer gab - aber was es mit jedem Einzelnen macht, ist eben individuell. Der eine schluckts und schüttelts ab, der andere ist geprägt für eine lange Zeit - oder für immer.

Ich will glauben können. Ich will das, was man zu mir ganz persönlich sagt, glauben können - aber ich kann es nicht. Selbst Herr Blau ist manchmal genervt: "Warum hinterfragst du immer alles? Warum kannst du das, was ich sage, nicht einfach auch mal so stehen lassen?"
"Weil ich dir zuhöre. Und weil ich das, was du sagst, verstehen will. So wie du es auch meinst und nicht so, wie ich es vielleicht interpretiere. Ist doch nichts Schlimmes?"
"Nein, aber anstrengend."

Komplimente machen mich verlegen, dann albere ich herum und lenke vom Augenblick ab. Weil ich mich damit einfach nicht wohl fühle. Weil ich sie auch nicht glaube.
Auch das ist begründet in vielen persönlichen Erfahrungen - aber ich denke, es hängt schon auch mit meiner eigenen nordischen Mentalität zusammen: Übertreibungen machen mich sofort argwöhnisch, und man kann mich persönlich mit so großartigen Worten und Dingen auch nicht beeindrucken. Im Gegenteil, sie erschrecken mich. Wenn beispielsweise manche so sagen: "Für ein Wochenende entführ ich dich nach New York, Rio, Tokio", dann erschreckt es mich. Ich fands viel cooler, in einem klapprigen Auto nach Berlin auf eine Pizza und einen Milchkaffee zu fahren. Was damals immerhin zweimal zweihundert Kilometer an einem Nachmittag bedeutete. Ökonomisch schwachsinnig - aber geiles Lebensgefühl.

Mir ist durchaus bewusst, dass man gerade im Netz keine Authentizität erhoffen kann. Weder in Blogs noch auf Onlineportalen. Jedoch hat mir insbesondere das Netz gezeigt, wie wichtig genau das mir ist.