Dienstag, 1. November 2016

Der Zauber des Augenblicks - Churu, Tag 3

Churu wird für mich persönlich als die "gelbe" Stadt in Erinnerung bleiben. Offiziell gibt es eine blaue (Jodhpur) und eine pinkfarbene Stadt (Jaipur), was mit den überwiegend entsprechend bemalten Häusern zu tun hat.
Aus meiner Kindheit auf dem Land weiß ich, dass hierzulande Häuser gern auch in lila bemalt werden - das würde die Fliegen abhalten.
Tatsächlich ist das in Indien nicht viel anders - nur dass es dort um die Moskitos geht.

Ich habe übrigens darauf verzichtet, unsere Fotos mit meinem Namen zu markieren, weil ich denke, dass dieser Namenszug die (für mich) wunderbaren Fotos zerstören würde. Das "Urheberrecht" bleibt aber bitte dennoch bei mir ;)


Churu erlebe ich als eine Stadt aus viel Sandstein, gleich, ob Häuser oder Wege. So würde ich mir eigentlich das späte Mittelalter vorgestellt haben  - doch es ist tatsächlich 2016. Keine Kanalisation, keine richtigen Straßen, verrottete Häuser, überall scheinbar herrenlose Kühe und vor allem Hunde. Kleine enge Wege, verschlungen, allein würde ich mich hier gnadenlos verlaufen..





Vor einem eher unscheinbaren Tor halten wir: Wir sind angekommen. Ich kann nicht sagen, was hier über mich kommt. Ich kann nicht beschreiben, was dieser Ort hier in mir auslöst. Ich bin weiß Gott keine Esoterikerin - und dennoch überkommt mich eine Art... eigenartiger Frieden. Eine unendlich tiefe Ruhe, die bereits mit der Begrüßung ausgelöst wird, indem mir jemand einen roten Punkt auf die Stirn zeichnet und mir eine Blumenkette um den Hals hängt. Ich sehe seine Hände mit der roten Farbe, ich sehe, dass er mir diese auf die Stirn zeichnen will - und ich schließe für einen Moment die Augen. Für diesen kurzen Moment bin ich völlig in mir, genau hier, nur dieser Mann und ich und das, was er da tut, und als ich die Augen öffne, lächeln wir uns an.
Es ist ein eigenartiger, nicht greifbarer und dennoch überdeutlich spürbarer Zauber, der hier über dieser Stadt zu liegen scheint - und als die Sonne diese "Stadt aus Sand" in ein goldenes Licht taucht, wir uns an die Hand nehmen und diese Stadt erkunden, da ist mir, als würde er auch nicht mehr weichen. Mit diesem Ort realisiere ich zum ersten Mal wirklich, dass ich tatsächlich in Indien angekommen bin. Eine mir bislang so fremde Welt, in der es so unendlich viel zu sehen gibt und mich aus diesem Grund hin und wieder der beherzte Griff von Herrn Blau vor dem sicheren Zusammenstoß mit einem dieser unfassbar vielen Mopeds oder TukTuks bewahrt. Auch wenn sie sich mit ihrem unermüdlichen und schier nie enden wollenden Hupen ankündigen.


"Gewöhn dich daran, dass sie dich alle anschauen", sagt Herr Blau, "die Inder sind fasziniert von weißen Menschen."
Aber sie schauen nicht nur. Oftmals winken sie, oftmals lachen sie - und wenn du zurücklächelst und zurückwinkst, dann strahlen sie. Vor allem die Kinder! Die Kinder! Es sind die kleinen und kleineren, deren Lachen noch so herrlich fröhlich und unbedarft ist, während in den Augen der größeren schon ein müder Glanz erscheint ob der Ahnung dessen, was in ihrem Leben auf sie zukommen wird - beziehungsweise, was nicht..
Es sind diese kleinen und kleineren Kinder, von denen ich mit einem Mal umringt bin. Schüchtern, so schüchtern strecken sie mir ihre Hand hin - sie lächeln genauso vorsichtig wie ich, die ihre kleinen schmutzigen Hände nimmt und für einen Moment festhält. Und dann lachen sie, sie lachen mit ihren blitzweißen Zähnchen, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, und dann kommen die Frauen, die Mütter vermutlich, die zu ihnen gehören, und alle schnattern, plappern aufgeregt Hindi und nur wenige Brocken Englisch durcheinander - und da ist es mit einem Mal wieder: dieses unabwendbare Gefühl des Zaubers eines Momentes. Nichts anderes um mich herum nehme ich noch wahr. Da sind nur die Kinder, ihre Mütter und ich, die dankbar nach ihren Händen fasst, frei von jeglicher Berührungsangst - und mir ist, als sei ich von einer derartigen Herzlichkeit umgeben, wie ich sie so lange nicht mehr zu spüren bekommen habe. Mir wird so warm davon!!

Noch spät in der Nacht kann ich nicht einschlafen, weil mir mein Herz noch immer bis zum Hals schlägt - und ich nicht in den Schlaf finden möchte, damit dieser wunderbare Moment einfach noch nicht aufhört...



4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Es klingt durch deine Zeilen Ruhe aus dir, das fühlt sich gut an beim Lesen. Es scheint, als wärst du in zweifacher Hinsicht zurückgekommen, von dieser Reise und durch diese Reise. :)

gretel hat gesagt…

Ich mag deine Erzählungen....
Lieben Gruß

ganga hat gesagt…

Das gibt es also wirklich, diese mystische Stimmung in Indien.
Sehr interessant die Gebräuche in Indien.
Verfall der Häuser, ..... spannend.

Herzliche Grüße
und einen guten Novemberstart
Ganga

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Amorsolalex, zumindest fühl ich mich in einigen Dingen entschleunigter und irgendwie auch geerdeter. Und ich hoffe, dass dieses Ruhe-Gefühl noch eine ganze Weile anhält!! Jedenfalls habe ich nicht vor, mich wieder so schnell und einfach durch die Mühle drehen zu lassen. Denn kaum waren wir Donnerstagmorgen gelandet, kam Donnerstagnachmittag die Frage, ob ich nicht meinen letzten Urlaubstag (heute) hergebe, um schon heute nach L zu kommen, es gäbe zuviel zu tun. Da dachte ich, ich bin im falschen Film... Und nein, ich bin nicht heute gefahren. Frühestens morgen früh, habe ich gesagt - und so mache ich das auch.

Danke Gretel :) Ich spüre beim Schreiben, dass es mir irgendwie schwer fällt, dass es mir nicht so einfach aus den Fingern gleiten will wie früher. Aber vielleicht hat es auch damit was zu tun, dass ich das Erlebte irgendwie immer noch setzen lassen muss.. Dass vieles erst mit dem Nachstöbern im echten Tagebuch wieder wahr und lebendig wird - und ich es Stück für Stück realisiere.

Liebe Ganga, ich hatte zuvor noch nichts davon gehört. Von Indien kannte ich nur die Fotos von Herrn Blaus früheren Reisen - und das, was man eben so weitläufig von Indien weiß.
Ganz bewusst hatte ich entschieden, im Vorfeld gar nicht so viel wissen zu wollen, um mich völlig unvoreingenommen auf diese 16 Tage einlassen zu können.
Diese mystische Stimmung - so ist es mir nur in Churu gegangen. Auf die Frage von Herrn Blaus Mama, was bzw. wo es mir am besten gefallen hat, habe ich spontan und aus dem Bauch heraus "Churu" geantwortet. Selbst die spätere Begegnung mit Gurus hat mir (aus Gründen wohl) nicht wieder so etwas geben können wie hier an diesem Ort.