Montag, 29. Februar 2016

Kotzkrämpfe

Seit ein paar Tagen gärt noch ein anderes Thema in mir, aber ich weiß nicht recht, wie ich es "anfassen" soll. Heute Morgen, bei einem Beitrag auf Phoenix, geriet ich ins Brodeln. Und nun, nach dem Lesen eines Posts bei Frau Haessy, da sprudeln Gedanken und Emotionen über - und ich muss aufpassen, was ich sage, wie ich was sage...

Vor ein paar Tagen fragte mich mein Kollege: "Hast du von dem Brand im Flüchtlingsheim in Bautzen gehört?" Nein, hatte ich nicht. Noch nicht. Weil ich eben seit einigen Monaten Medien meide bzw. genau selektiere, was ich lesen möchte und was nicht.
"Da sprachen die vom Mob in Bautzen, der das Flüchtlingsheim belagerte und dann johlend abfackelte."
Er beugte sich vor und sagte: "Soll ich dir mal sagen, was der Mob war? Drei Halbstarke, drei, die noch betrunken waren. Ob die das angezündet hatten, weiß man nicht mal. Die haben aber da gestanden und gejohlt. DREI! Und das ist jetzt der Mob von Bautzen?"
"Woher weißt du das?" fragte ich und er sagte: "Weil ich nur ein paar Meter weiter weg wohne!"
Und dann fügte er hinzu: "Es ist eine totale Sauerei, wenn sowas passiert! Aber weißt du, was mich am meisten ankotzt? Dass es sofort in den Medien hieß: Das war der Mob, alle Sachsen sind fremdenfeindlich, alle Sachsen sind braun!"
Ähnliches stieg mir heute Morgen auf, als ich eher zufällig bei Phoenix bzw. "Augstein & Blome" hängenblieb. Ein verbaler, inszenierter Schlagabtausch über aktuell politische Themen. Und wenn er auch ironisch gemeint, sich als Satire verstanden wissen will (erkenne ich Satire, wenn sie mir ins Gesicht springt?) - so bleiben doch Ansätze, Gedanken und allem voran Vorbehalte hängen: Vorbehalte gegen den Osten und zeitmomentan ganz konkret gegen Sachsen.


Ich habe länger darüber nachgedacht, ob ich dieses Video hier einfügen möchte oder nicht, ob ich die subtil oder direkt übermittelten Vorbehalte weiter verstreuen möchte. Ob ich eine subtile Wahlveranstaltung á la Linke vs. CDU oder wer auch immer gegen wen in meinem Blog zulassen möchte.
Ungeachtet dessen kommt mir das Mittagessen von vorgestern hoch, wenn ich diese Argumente höre. Als ob der Osten und hier speziell die Sachsen "hohl in der Birne" seien, die man ja mit und nach der Wende vernachlässigt habe, weil man sich einfach nicht interessierte. Dass man sich ja jetzt um sie kümmern müsse, weil man sie als ein Bundesland Deutschlands ja nicht einfach so rauskicken könne. Als ob das kackbraune Sachsen all das Geschehen damit rechtfertigen wolle, was mit und nach der Wende mit den Menschen und ihren Jobs passiert sei. Mit ihrer Kindheit.
Ist Sachsen tatsächlich hier das Thema?
Ist Sachsen hier tatsächlich das Problem?
Nein verdammt noch mal!
Dass die AfD mit all ihren Anhängern einen so unfassbaren Zulauf bekommen hat, einen solchen Auftrieb, das ist doch nicht mit den Menschen in Sachsen begründet! Es hat so unendlich viele Stimmen in GANZ Deutschland gegeben, die angesichts der Tausenden Flüchtlinge, die Woche für Woche kamen, sagten: "Mein Gott, helfen ja, aber ihr müsst doch einen Plan haben, wie!?" - und den gab es verdammt noch mal nicht! Den gibt es ja jetzt immer noch nicht - will man Angela Merkel in ihrem Gespräch mit Anne Will glauben. Verantwortung für Menschen auf der Flucht zu übernehmen heißt doch aber nicht, sie auf engsten Raum ohne Privat- und Intimsphäre  in Turnhallen oder Zeltstädte zu pferchen und sie dann monatelang sich selber zu überlassen? Sie tagelang anstehen lassen nach Kleidung, Nahrung und vor allem Dokumenten? Sie hierherkommen lassen und ganz überrascht tun, dass es ja doch so viele geworden sind? Sie erst mal alle "aufsammeln" und schauen, wohin die Reise gehen könnte? Und dann, ein paar Monate später überlegen, wie man einen Teil derer wieder los wird und die Neuen gar nicht erst ankommen lässt? Dass man überlegt, wie man jetzt Europas Grenzen "sichert"?
Für die "Neuen" habe ich dann also nicht die Verantwortung, sie vor Krieg und Elend zu bewahren? Die stecke ich dann weiter fleißig in irgendwelche Notlager in der Türkei oder in Griechenland, während ich mich weiterhin genauso fleißig bereichere, indem ich alles, was geht, an Kampfmitteln allein in den Nahen Osten und Nordafrika für rund 1,4 Milliarden Euro verkaufe?? Ich meine, es ist doch sehr schwer vorstellbar, dass Deutschland auf über 6 Milliarden Euro verzichten wird, die sie allein 2014 für diese Exporte nach ganz Europa bekamen?
Oder was konkret meint Miss Merkel, wenn sie erklärt, dass man die Fluchtursachen bekämpfen muss? Meint sie damit, gegen die Geschäfte der Schlepper vorzugehen? Meint sie damit, die Menschen aus dem Meer und aus den Schlauchbooten zu fischen und entweder nach Hause oder nach Italien oder Griechenland zu bringen?
Mich wundert indes gar nicht, dass die Länder östlich Deutschlands sich nicht an diesem heillosen Chaos und Durcheinander beteiligen wollen. Dass der slowakische Ministerpräsident sagt: "Deutschland verhält sich wie jemand, der sich alle möglichen Gäste eingeladen hat und dann überfordert zum Nachbarn geht, dort an der Tür klingelt und sagt: Kannste mir mal paar Gäste abnehmen, mir wirds zuviel?"
Und wir Deutschen? Wir stehen da und gucken zu. Fragen uns, was da mit all den Menschen passiert, die zu uns kommen und um die wir uns ja ach so dolle kümmern müssen. Einen Scheiß machen wir! Einen Scheiß! Für mich ist das ein Pseudo-Akt, für mich steht einfach nichts Ehrliches der Politik dahinter! Und ich kann mir gut vorstellen, dass nicht nur ich das so empfinde. Und dann wundern sich der feiste Gabriel & Co., dass die Leute sich bekloppt machen lassen? Ganz egal, ob sie aus NRW, Meck-Pomm oder Sachsen kommen? Dann faltet Gabriel seine Hände vor dem Bauch und findet, dass das alles ganz und gar unmenschlich sei und absolut nicht ginge, was da und dort in Sachsen passierte? Man müsse nun und man werde nun? Auf gegen den Kampf des Braunen in Sachsen!?
Mir kommts hoch, wirklich.
Wenn man nur wirklich mal an der faulen, stinkenden Wurzel anpacken würde, anstatt gleich ein ganzes Bundesland an den Medienpranger zu stellen. Dann hätte die AfD sich auch keine 9 bis 10 Prozent Anteil geholt und man müsste nicht fassungslos den Kopf schütteln über eine junge Frau, die sich allen Ernstes hinstellt und in den Raum stellte, ob man nicht notfalls auch mit Waffengewalt eine Grenze verteidigte. Wohlgemerkt eine Grenze, die ich ja erst für jedermann geöffnet habe, ohne auch nur wirklich im Ansatz kontrollieren zu können, wer da eigentlich alles mit ins Land strömt - neben den Flüchtlingen. Und das soll niemandem Bauchschmerzen machen? Niemandem außerhalb Sachsens?
Als ich vor über 25 Jahren nach Sachsen ging, da fand ich mich nicht mit allem zurecht, auch nicht mit gewissen Eigenschaften der Sachsen. Was natürlich nur meine ganz subjektive, nicht rechtskräftige Einschätzung war. Aber als eines habe ich sie immer empfunden: als eines der offensten, gastfreundlichsten Menschen, die ich kannte. Zur Wendezeit hat man immer von den Demos in Leipzig gesprochen - obwohl sie zeitgleich auch in Berlin und Rostock auf die Straßen gingen. Gesprochen und gezeigt wurde dennoch hauptsächlich Leipzig.
Jetzt, 25 Jahre später: wieder Sachsen, diesmal Großraum Dresden. Und überall - wenn ich wollte - lese ich: Was ist denn mit den Sachsen los?
Wenn ich bei Google "Brand Flüchtlingsheim" eingebe, dann erscheinen interessanterweise Hamburg, Berlin, Nördlingen, Calais. Liegt das alles auch in Sachsen? Wusste ich ja noch gar nicht - und dabei hatte ich in Geo doch ne Zwei? Aber huch, war ja noch ne Ost-Zwei, wer weiß, wer weiß.

Und nein: Ich will die Braunen in Sachsen gar nicht verniedlichen oder ihre Parolen kleinreden. Ich glaube dennoch, dass nicht die wirklich das Problem sind - sondern dass einfach nichts geschieht. Dass man monatelang weiter überlegt, wie man des Flüchtlingsstroms Herr wird, wie man das regelt und bezahlt, dass die Menschen es warm haben im Winter, zu essen haben, medizinisch versorgt sind - und vor allem eine Perspektive! Soviel Unsicherheit und offene Fragen - und genau damit immer wieder neues Futter für kackbraune Parolen liefert. Weil man stattdessen immer wieder zu lesen bekommt, wie viele Menschen ohne Papiere einreisen, unkontrolliert und ungesehen beinah. Wie viele Kinder gezielt "verschwinden", weil eine Familie nicht ausgewiesen werden darf, wenn ein Kind fehlt. Wie viele Menschen spurlos verschwinden und keiner weiß, wohin. Weil man stattdessen seit Wochen liest, wie sich Polen, Ungarn, Tschechien etc. dagegen wehren, es uns gleichzutun und ihre Zäune errichten.
Was mich unglaublich aufbringt, ist diese Pauschalierung: Alle Sachsen sind braun, alle Sachsen sind scheiße, alle Sachsen haben Angst um Job und Geld und dabei gehts denen doch am besten von allen 5 Bundesländern; alle Sachsen haben Angst vor Fremden, dabei haben die doch kaum Fremde. Und so weiter und so weiter.
Warum sich jetzt so auf die Sachsen eingeschossen wird, kann ich nur vermuten.
Und wie ich das finde, kann ich gar nicht ausdrücken.
Das ist eine Pauschalierung wie: "Alle Wessis sind arrogant und blöd" und "alle Ossis sind faul und geldgierig" - und ich dachte doch echt, dass wir das Pauschalieren endlich hinter uns hätten.
Mich bringt so unglaublich auf, wie durch die Medien ein Bild, eine Meinung auch dann erfolgreich transportiert wird, wenn man es ganz subtil angeht. Dass z. B. eben aus drei betrunkenen Halbstarken ein "sächsischer Mob" inszeniert wird, weil sich das spektakulärer liest - und weil sich gegen die Menschen dort besser wettern lässt. Lacht man doch eh schon über die Kahlköppe mit dem schrecklichsten Dialekt Deutschlands, ha ha.
Wer nun das Heim angezündet hat, weiß man immer noch nicht. Dafür hat man erst mal fleißig über braune Hintergründe in Sachsen spekuliert. Das ist es, was hängenbleibt. Die wahren Gründe erfährt man irgendwann - vielleicht - in einer Randnotiz. Oder auch gar nicht, was solls.
Ist das vergleichbar zum Beispiel mit Peter Lustig? Der jahrelang als "Kinderhasser" bekannt war, obwohl der doch Sendungen mit Kindern produzierte? Der Kinder "klebrig und störend" fand? Der aber erst posthum die verbale Entschädigung erfuhr - und warum verdammt erst jetzt? Warum nicht vorher? Weils dem Verursacher vorher gar nicht so bewusst war, was er da - wenn auch ungewollt - losgetreten hatte? Nein, das ist nicht vergleichbar - weil Kai Biermann nämlich den Lustig gar nicht an den Pranger stellen wollte. Er hatte... einfach nur mal was in den Raum gestellt und unkommentiert so stehen lassen. Und die Masse fasste auf - nur eben anders als beabsichtigt.
Wenn Biermann aber schon zu Lebzeiten den Lustig anrief und sich bei ihm entschuldigte und damit also zumindest ne Ahnung hatte von dem, was abgeht - wieso hat er diese Entschuldigung dann nicht genauso öffentlich gemacht? Wieso hat er nicht schon da etwas korrigiert, das er - eigenen Aussagen zufolge - gar nicht beabsichtigt hatte? Wieso hat er jahrelang das Bild vom "Kinderhasser" so stehen lassen?
Fragen über Fragen....
Wenn also diesen so unterschiedlichen Themen eins gemein ist, dann lediglich die Macht der Medien.
Es ist und bleibt zum Kotzen, wirklich, so einfach ist das. Leider.

Ja ich finde wirklich schlimm, dass man Unterkünfte anzündet, und wenn sie zehnmal leerstehen. Weil ich die Aussage dahinter schlimm finde.  Aber noch viel schlimmer finde ich das, was überhaupt erst dazu geführt hat. Bloß wird das nicht thematisiert. Natürlich nicht. Dann müsste man ja bei sich selber anfangen - und genau darin liegt ja das Problem der meisten Menschen. Und vor allem der Politik.
Mag schon sein, dass ich anschließend wieder einen oder mehr Leser weniger habe, so wie nach meinem vorletzten Post. Mag schon sein, dass ich in letzter Zeit mehr kopflastige Posts geschrieben habe als die kurzweiligen. Ganz ehrlich? Ich schreibe lieber die kurzweiligen. Weil ich mich nicht selber meiner Fröhlichkeit berauben will. Und die könnte ich ja auch schreiben und trotzdem eine politische Meinung haben, die ich hier ja nicht reinstellen MUSS. Das Ding ist nur... Ich will reden. Ich will was sagen. Mehr als ausschließlich nur zum Outfit des Tages oder ob der neue Nagellack der letzte Fliegenschiss war, weil er kurz nach dem Auftragen schon wieder abblättert.
So ein bisschen auf heile Welt machen, die in Wahrheit auch nur gelogen und zurechtgebogen ist.
Natürlich liest sich ein schwungvoller, mit liebevollen Details geschmückter Blog besser - ist doch egal, ob die Details wahr sind oder nicht, who cares - Hauptsache nett, Hauptsache ansprechend?

Ich führe keinen Politblog - und maße mir das auch gar nicht an. Das ist auch nicht das, was ich will. Auch möglich, dass ich mit vielem falsch liege und mit anderem nur dazwischen. Aber dann hat man ja wenigstens darüber gesprochen. Auch sowas, das fehlt. Reden und Zuhören. Kommunikation.
Jeder hat dazu seine Chance. Solange er sie nicht ganz vertut.
Kann auch sein, ich bin zu langweilig mit den oft wiederkehrenden Aussagen. Ich finde aber, dass manches... irgendwie nicht oft genug gesagt werden kann. Gerade jetzt.

Sonntag, 28. Februar 2016

Das ist mein Leben



Ich bin als zweites von drei Kindern aufgewachsen. Erkrankte einer von uns, erkrankten in Folge der Zweite und anschließend der Dritte. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Gab es damals noch nicht. Diese sogenannten "sozialpolitischen Maßnahmen" - meinen Eltern haben sie nichts genutzt. Die kamen, wenn wir dem jeweiligen Alter bereits herausgewachsen waren. Das bedeutete manchmal vier, sechs Wochen lang kein Geld für meine Mum.
Meine Eltern besaßen nie viel Geld, oft wurde improvisiert oder die Eltern um Hilfe gebeten. Wenn mein Vater abends von der Arbeit kam, meine Mum in der Küche vorfand, den Kopf in die Hände gestützt, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet, dann fragte er nur noch: "Wer?"

Habe ich damals irgendwas vermisst?
Ich kann es nicht mal genau sagen. Ich glaube nicht.
Wir alle drei besaßen Fahrräder, Skier, Schlitten, die Brüder teilten ein Zimmer, ich bekam das kleinere für mich allein. Ich hatte meine Bücher, mein Malzeug und meine Musik. Für meine Welt war das mehr als genug. Für meine Welt war das alles, was ich brauchte. Ich kann mich lediglich erinnern, dass ich gerne mehr Süßes gehabt hätte. Dass ich mir manchmal, wenn ich zum Einkaufen geschickt wurde, etwas vom Geld abzweigte und in Bonbons und Schokolade tauschte. Bis meine Mum begann, das Rückgeld nachzuzählen.

Ein-, zweimal im Jahr besuchte meine Großmutter ihre Schwester im "Westen". Dann hat sie uns Pakete geschickt. Pakete mit Kaffee, Seifen und allem möglichen für die Eltern - und Süßem für uns Kinder. Schokolade und Kaugummis.
Ich kann mich noch erinnern an diese Kaugummis mit den Fix & Foxy-Motiven, die ich nacheinander auswickelte, kaute, bis der Süßstoff verbraucht war - dann ausspucken und den nächsten. Berauscht davon, dass alles so anders süß war als das, was wir kannten.
Berauscht von der bunten Verpackung und den niedlichen Kindermotiven.
Manchmal, wenn meine Großmutter zu Besuch kam und Süßes mitbrachte, dann legte sie es in meine kleinen Hände und sagte: "Gib nicht wieder alles ab, du hast doch selber nicht viel."
"Warum soll ich denn nichts abgeben?" habe ich mal meine Mum gefragt. "Wenn ich was habe, kann ich das doch teilen?"
"Deine Oma kommt aus einer anderen Zeit", hat meine Mum erklärt. "Sie hatte drei Kinder, die sie im Krieg und nach dem Krieg durchbringen musste. Dass sie überhaupt etwas zu essen haben. Dass sie Schuhe hatten im Winter. Wenn man so lange um das Überleben seiner Kinder kämpft, dann denkt man vielleicht auch heute noch so."
"Aber ihr wart doch auch sieben Kinder. Und du teilst doch auch?"

Ich glaube, dass meine Eltern zu denen gehören, für die die Wende eher Positives gebracht hat. Ihre Kinder waren inzwischen erwachsen, sie verdienten besser - und es ging ihnen besser. Mein Vater lebt heute noch seine Überzeugung: Hauptsache, es geht MIR gut. Meine Mum lebt hingegen ihre Überzeugung: Gott sei Dank geht es UNS gut - und wem nicht, dem tu ich was Gutes.
In mir mischen sich die beiden. Manchmal bin ich sanft und friedfertig wie meine Mum. Dann wieder bin ich aufbrausend wie mein Vater. Ich sehe aus wie mein Vater, aber ich besitze die Mimik meiner Mama. Doch ohne es je wirklich beigebracht bekommen zu haben, lebe ich die Prinzipien meiner Mama. Der Gedanke von Toleranz, Gelassenheit, vom Umsorgen und von Nachsicht. Dass man manchmal nachts nicht schläft aus Sorge um den anderen und sich überlegt, wie man helfen kann.
Mein Jüngster hat mehr mit mir zusammen gelebt als der Älteste.  Trotzdem konstatierte der Jüngere zu recht vor wenigen Jahren am Frühstückstisch: "Ist schon komisch. Du und [der Ältere], ihr denkt immer zuerst an die anderen und dann erst an euch selbst. Der Vater und ich sind da ganz anders: Wir denken zuerst an uns."

Bis heute habe ich mich verändert. Ich bin nicht mehr nur sanft, fröhlich und anschmiegsam. Heute bin ich auch mal ungerecht, selbstgerecht, laut und unbequem. Möglicherweise bin ich heute mehr mein Vater als meine Mama - dem Wesen nach. Aber die Liebe zu meinen Kindern ist heute tiefer und inniger als in den frühen Jahren. Ich bin da. Oft im Hintergrund. Wenn sie es brauchen, komme ich hervor. Wenn ich bei ihnen bin, genieße ich es, sie zu verwöhnen. Genieße das Gefühl, dass der Kühlschrank wieder gut gefüllt schnurrt, die Wäsche frisch und duftig in den Schränken liegt, zubereitetes Essen für die nächsten zwei, drei Tage im Kühlschrank oder noch auf dem Herd steht. Genieße das Gefühl, dass die kleine Wohnung Behaglichkeit ausstrahlt, wohin man gerne kommt.
Genieße das Gefühl, hier und da etwas aufgefangen zu haben. Hier und da etwas von mir abgegeben zu haben. Zeit zu haben zum Zuhören. Die Möglichkeit zu haben, zuhören zu dürfen - weil es Dinge gibt, über die sie nur mit mir sprechen.
Der eine hat seinen Weg gefunden - aber er muss erst gesund werden, von innen und außen.
Der andere hat seinen Weg noch nicht gefunden - er sucht noch, probiert aus - und was für den Moment feststeht, ist, dass er zum Bund geht. Für ein paar Monate, sofern laufende Bewerbungen zum Erfolg führen. Oder für länger.
Und alles, was ich dazu tun kann, ihnen dabei zu helfen, das tue ich. Nicht weil sie mich darum bitten. Nicht weil sie etwas einfordern. Auf diese Idee kämen sie gar nicht.
Manchmal denke ich an die Worte, die mir mal jemand sagte: "Sag mir, wovon du träumst und was du machen willst. Ich will dir nicht sagen, ob es dir gelingt. Aber wenn es irgend etwas gibt, das ich dazu tun kann, dann lass mich das tun. Weil wenn du es willst, dann schaffst du es sowieso."
Es ist dieser Gedanke, diese Einstellung, die ich mir über die Jahre zu eigen gemacht habe. Weil sie zu mir passt.
Manchmal lese ich in Blogs, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen bzw. nicht umgehen. Wie sie verbal getreten, gedemütigt, vernachlässigt werden - und auch nicht nur verbal. Manchmal denke ich an den Vater meiner Kinder und daran, wie der es sich gut gehen ließ auf Kosten des Älteren - und bis heute nicht ein einziges Mal gefragt hat, ob und wie die beiden zurechtkommen, auch finanziell. Der mit dem damals arbeitslosen Sohn Schuhe einkaufen ging, weil er der Meinung war, dass "die abgetretenen Botten ja gar nicht mehr gehen" - und der Sohn ohne Anrecht auf Arbeitslosengeld die 30 Euro für das Paar neue selber berappen durfte, weil alles andere ja das Budget sprengt. Das Budget, in das immerhin ein fetter Audi mit den breitestmöglichen Reifen passt. Oder zwei Urlaube im Jahr. Nein, ich will nicht darüber nachdenken - weil es nicht mein Leben ist. Nicht mein Lebensprinzip. So kann ich nicht sein, so will ich nicht sein - und so werde ich auch niemals sein.
Ich will auch nicht rechtfertigen, warum der Jüngere so naiv war zu glauben, es würde mit einem Job schon klappen - und der nun Absagen bekam, weil man für zwei, drei, vier Monate niemanden einstellen wollte. Ich will nicht rechtfertigen, dass ich für sie einkaufte, seine Miete bezahle und die Kosten übernehme, die er für die Vorstellungsgespräche braucht. Sein eigenes Erspartes ist ziemlich arg zusammengeschmolzen, aber er hat mich niemals um Hilfe gebeten. Wenn ich ihm zehn Euro für seinen Friseur in die Hand drücke, schüttelt er den Kopf: "Du musst das nicht, du bezahlst schon genug!"
"Ich weiß, dass ich das nicht muss."
Wenn ich dem Älteren eine Tankfüllung bezahle und der sagt: "Wie viel willst du denn noch bezahlen? Du musst das nicht."
"Ich weiß. Aber ich weiß, dass es dann etwas leichter ist für euch im Moment."

Warum ich das tue?
Ich selber habe jahrelang nichts gehabt. Bin nicht in den Urlaub gefahren, weil ich den nicht bezahlen konnte. Schlief nachts nicht und wälzte mich ruhlos hin und her, weil ich nicht wusste, wie ich das eigene Leben und das meiner Söhne finanzieren kann. Ob das letzte Geld noch bis zum Monatsende für Lebensmittel ausreichen würde.
Schlief nachts am Steuer ein und erwachte in der Leitplanke. Ließ das Auto notdürftig reparieren, weil was anderes nicht möglich war. So dankbar, dass ein Freund sich eine Woche lang die Nächte um die Ohren schlug, um es halbwegs wieder fahrbar zu machen. Bis es mich zwei Jahre später ganz verließ. Verletzte Beine, verletzter Kopf - und alles, was ich wissen wollte, worum ich mich kümmern wollte: um ein Auto, wie ich wieder in die Arbeit kommen sollte. Dieser neue Job, ich noch in der Probezeit und ohne Ahnung, ob und wie das weitergehen würde. Nur wissen wollen, wie die Lösung war, damit ich in Ruhe gesund werden, damit alles in Ruhe heilen konnte, Körper & Seele... Die Ruhe in der Seele haben.. die Ruhe im Kopf haben.. Wenn man so sehr jeden einzelnen Tag um das Überleben kämpft, dann kann man sich einfach nicht sagen: "Erst mal gesund werden und DANN schauen, was man tut.." Diese Ruhe, diese Gelassenheit hatte ich nicht. Verlassen werden dafür, für meine Gedanken, für mein Tun. Nur nachts weinen, tagsüber Zähne zusammenbeißen und weitermachen. Ausziehen, wegziehen, den Job wieder kündigen, einen neuen beginnen. Neue Wege.
Weil es immer irgendwie einen Weg gibt.
Nur ist das manchmal einfach schwer. Und dann denkt man, man kann nicht mehr - und wundert sich dann, dass immer noch ein bisschen Energie da ist, bevor es ganz runter ginge.
Manchmal denke ich, dass diese schwierigen Jahre mich erwachsen werden ließen.
Ich bin nicht sicher, ob sie mich positiv verändert haben.
Wie geht es mir heute?
Gut.
Besser.
Viel besser als noch vor einigen Jahren. Durchgebissen auch mit der Hilfe anderer.
Aber ich habe nichts vergessen, nichts von dem, wie es war. Nichts vom Gewicht auf der Brust. Nichts von den schlaflosen Nächten. Nichts von der Hilflosigkeit, wenn ich auf den Kontoauszug schaute.
Oft will man seinen Kindern Ratschläge geben, sie vor diesem und jenem bewahren, weil "wir ja alle auch schon diese Erfahrung machen mussten." Aber bewahren kann man sie nicht vor allem - und das muss man auch nicht. Dann würden sie nichts lernen und im Leben nicht allein bestehen können. Das ist mir bewusst. Deshalb gängel ich sie nicht. Deshalb schreibe ich ihnen nicht vor, welchen Weg sie gehen sollen. Deshalb nehme ich ihnen nicht alles ab.
Aber deshalb tue ich auch dann, wenn ich nicht muss.
Aber deshalb tue ich dann, wenn es sie ein Stück weit schützt.
Wenn sie dafür den Weg finden, mit dem sie glücklich sind, dann bin ich es auch.
Wenn sie glücklich sind, geht es mir gut. Ich denke hierbei nicht in Reihenfolgen und auch nicht daran, wer zuerst kommt. Aber sie sind meine Kinder, sie sind mein Leben. Natürlich sind sie das.
Ich könnte nicht anders handeln, nicht entgegen meiner Liebe und nicht entgegen meiner Überzeugung.
Meine Mum konnte das all die Jahre nicht, erst recht nicht, seit es ihnen besser ging.
Vieles hat sie ohne dem Wissen des Vaters getan, für mich oder meine Brüder.
Manchmal bin ich erstaunt darüber, wie sehr sich das im Leben immer wiederholt.
Und manchmal macht es mich richtig traurig. Oder auch unsagbar wütend.

Freitag, 19. Februar 2016

Ken's Gedankenbrei


Ich mag seine Posts, weil sie meine allermeisten Gedanken und Empfindungen widerspiegeln. Weil sie manchmal - trotz aller Realität - mehr Hoffnung als Angst machen.
Seit rund ein - zwei Wochen schlafe ich wieder besser, wälze mich nicht ruhlos und geplagt von wirren Träumen herum, schlafe nicht erst nach Mitternacht ein und erwache gegen drei oder vier Uhr und liege dann wach, bis der Wecker klingelt.
Aufgefallen ist mir, dass ich jedoch wesentlich intensiver träume, seitdem ich besser schlafe. Zumeist in Farbe, was sonst eher selten ist. Und ganz oft schlage ich die Augen auf und habe einen Musiktitel im Ohr, von dem ich keine Ahnung hab, wie er da reinkommt. Heute Morgen war es ein Titel, den ich inzwischen vergaß, aber den ich zwar kenne, aber nicht hören mag. Weils nicht meine Mucke ist.
Und ich träumte, ich wäre in der Innenstadt L's unterwegs, würde mich mit Hunderten von Menschen verschiedener Herkunft in eine Kapelle oder was auch immer drängen, weil auf einmal Männer mit Maschinenpistolen durch die Straßen liefen. Männer, von denen es hieß, sie würden "nur" zerstören, nicht töten. Und ich sehe mich noch immer da hocken auf diesen Treppen innerhalb dieser Kapelle, voller Angst vor dem, was wohl geschehen möge - und mit dem Gedanken: "Scheiße scheiße scheiße - jetzt ist es doch bis zu uns gekommen."
Heute Morgen las ich in den Nachrichten, dass in Europa "etwas" geplant sei. Paris habe das gezeigt. Es werde etwas passieren, man wisse nur nicht, wann, man wisse nicht, wo.
Meine Freundin schrieb mir, dass sie uns morgen gerne besuchen käme, sie würde aber mit dem Auto kommen, weil sie Angst habe, in die Bahn zu steigen.
Und ich? Was macht das mit mir?
Ich habe Angst. Ja, die habe ich. Betrachte manchmal Menschen und frage mich: "Wer bist du, was denkst du, wofür stehst du?"
Aber ich will doch keine Angst haben müssen. Ich will nicht, dass sie mich beherrscht und mein Denken, Fühlen verändert. Ich will nicht, dass sie mich hemmt. Angst ist auch ein gesundes Empfinden, habe ich unlängst gelesen. Weil es uns auch bewahrt, dumm und leichtsinnig zu handeln.
Und bis wohin ist dieses Maß gesund?
Wir haben unsere Indienreise verschieben müssen, nur verschieben - denn die konkrete Planung steht und die Tickets sind gebucht. Gestern Abend fragte mich Herr Blau, wie es mir damit gehen würde? Während er die Befürchtung hegt, dass unsere Erwartungen, Vorstellungen und Vorliegen aneinander vorbeigehen, sagte ich, dass ich völlig unvoreingenommen an alles heranginge, es auf mich zukommen ließe - und mich auch darauf freute, einen Teil eines Landes zu erkunden, das so ganz anders ist als unseres. Dass ich aber vor einem Angst hätte: vor dem Flug.
"Musst du nicht", sagte er, "die meisten Menschen sterben im Auto, nicht im Flugzeug."
Vielleicht.
Aber die Welt ist so verrückt geworden.
Was, wenn unser Flieger abgeschossen wird? So wie die russische Maschine mit mehr als 200 Menschen an Bord?
"Auch davor musst du keine Angst haben. Wir sind viel höher."
Aber ich habe Angst. Angst ist nicht rational. Nicht immer begründet, nicht immer abwendbar.
Dann frage ich mich: Was fühlen die Menschen, die von überallher zu uns kommen? Was haben sie gesehen, was haben sie erleben müssen?
Gestern Abend sah ich eine Reportage über Frauen und Kinder in Afrika. Über "Ärzte ohne Grenzen", über Dörfer, in denen kleine "Auffangstationen" errichtet wurden. Stationen, die Frauen und Kinder mit Medikamenten, Essen, Trinken versorgen. Ihnen einen Halt versuchen zu geben.
Ich sehe das und ich schäme mich so in Grund und Boden, weil Europa mit schuld ist an auch diesem Leid. Weil wir glauben, dass wir Gutes bewirken, wenn wir für fünf Euro im Monat die Patenschaft für ein afrikanisches Kind übernehmen. Weil wir damit unser Gewissen beruhigen, aber die Wurzel allen Übels weiter gedeihen lassen.
Gleichwohl: So sehr mich die Posts und auch der aktuelle von Ken ansprechen - es bleibt für mich immer wieder die eine Frage offen: WAS konkret kann ICH tun? ICH - von der ich weiß, dass meine Stimme so gar kein Gewicht hat, keine Kraft; dass sie nichts bewegt.

Vor vier Tagen war ich auf dem Amt. In der Tasche meine neuen Passbilder, den Brief von Schnecke-XY, die recht unhöflich am Telefon vernehmen ließ, sie könne jetzt auch nicht sagen, wie da weiter zu verfahren sei und dass es auch nicht sein könne, dass im Brief nichts weiter drin stände außer dem Fakt, dass die Passbilder eben zurückgewiesen wurden.
Und nun saß ich da.
Inmitten von Menschen aus aller Herren Länder. Alle möglichen Sprachen, Farben und Mentalitäten. Frauen mit Kleinkindern und Babies, die ein mehrstimmiges Konzert gaben. Aufgeregt diskutierende Menschen, gestikulierende Menschen; Menschen, die still und müde auf ihrem Sitzplatz geduldig das Klicken der Wartenummern abwarteten.
Und ich?
Ich saß zwischen all jenen, ganz entspannt, wundervoll entspannt; ich las in meinem Buch und versank darin. Kaufte mir zwischendurch einen Kaffee, der auf einer Art Teewagen neben Tee, Wasser, Süßigkeiten oder Brezeln angeboten wurde. Saß, las und kicherte ab und an vor mich hin.
Über Passagen wie diese hier zum Beispiel:

"Die gargelige Speiseröhre: Als Erstes fällt ins Auge: Die Speiseröhre kann nicht zielen. Statt den kürzesten Weg zu nehmen und direkt oben auf die Mitte des Magens zuzusteuern, erreicht sie ihn an seiner rechten Seite. Ein genialer Schachzug. [...] Beim Lachen oder Husten steigt der Druck [im Bauch, Anm. Ziggenheimer] gar um ein Vielfaches. Weil der Bauch von unten auf den Magen drückt, wäre es schlecht, wenn die Speiseröhre genau am oberen Ende andocken würde. Seitlich versetzt bekommt sie nur einen Bruchteil des Druckes ab. Wenn wir uns jetzt nach dem Essen bewegen, müssen wir so nicht bei jedem Schritt aufstoßen. Bei einem starken Lachanfall verdanken wir dem cleveren Winkel und seinen Verschlussmechanismen, dass höchstens hier und da mal ein Freuden-Pups mitlacht - Lach-Kotzen ist dagegen kaum bekannt."
Übrigens, nein, ich betreibe kein Medizinstudium, sondern lese ein Buch über den Charme des Darms, das ich zu Weihnachten geschenkt bekam und das auf sehr humorvolle Art & Weise alle möglichen Zusammenspiele unseres einzigartigen Körpers beschreibt.
Und so saß ich da inmitten all dieser fremden, fremdartigen, fremdländischen Menschen - und habe mir nicht die Frage gestellt, was sie hier wollen, wie lange sie bleiben und wohin sie gehen.
Sie waren da, so wie ich, und irgendwie war es das Normalste auf der Welt.
Warum sollen sie nicht hier sein, wenn sie hier lernen, arbeiten, leben wollen?
Und als ich nach Hause fuhr, fragte ich mich, warum das nicht überall so sein kann. Warum wir Menschen nicht einfach miteinander sein können, ohne uns zu berauben, zu bestehlen, zu beherrschen und zu ermorden. Warum wir nicht respektieren können, woran wir glauben, ohne uns zu verletzen und uns unterwerfen zu sollen. Warum wir Menschen den Menschen nicht respektieren.
Warum die Gier größer ist als die Menschlichkeit.

Montag, 15. Februar 2016

Drum prüfe, wer sich ewig bindet

...an einen neuen Mieter, beispielsweise. Ich habs ja erst vor kurzem erwähnt, dass wir schon seit geraumer Zeit auf der Suche nach was.. äh.. Größerem sind. (Da sage noch mal einer, auf die Größe käms nicht an!) Und dass mich hier doch ganz andere Mieten erwarten als anderswo oder auch als in L, war mir auch durchaus bewusst. (L - Eine Stadt, die, wie ich immer wieder feststelle, immer noch arg im Kommen ist - und die Mieten dennoch moderat bleiben. OK, müssen sie sicherlich auch, solange die Gehälter nicht mitwachsen.)
Ein-, zweimal musste ich auch bei meiner kratzigen Stimme in Hessen nachfragen, ob die einen oder anderen Angaben tatsächlich auf seriösen Nährboden fallen würden. Ich meine, dass es auch Fake-Anzeigen gibt, von denen mir erst jüngst zwei ich-bin-Projektleiter-und-lebe-mit-meiner-lieben-Frau-und-süßen-Tochter-inzwischen-im-Ausland-Typen schrieben (was dann darauf hinausläuft, man möge eine Kaution auf dieses und jenes Konto zahlen und bekäme dann den Wohnungsschlüssel zugeschickt *harhar*), habe auch ich inzwischen gelernt sowie auch gelernt zu erkennen, wann ein Inserat ein Fake ist und wann nicht.
Dass man sich als potentieller Mieter heutzutage nackig macht, bevor man sich überhaupt ausgezogen hat, ist vielleicht beim hiesigen Mietspiegel auch irgendwie nachvollziehbar. Aber wenn jemand von mir Bankdaten, Kopie vom Personalausweis (mit beiden Seiten bitte!), persönliche Angaben, Arbeitsvertrag, polizeiliches Führungszeugnis, Gehaltsnachweise etc. etc. verlangt  und ich im Gegenzug noch gar nicht weiß, wem ich all diese Dinge überhaupt schicke - sorry. Dann verstehe ich Herrn Blau's leichten Hang zur Paranoia.. pardon.. zum Datenschutz. Insofern fülle ich zwar brav die Selbstauskünfte aus, Angaben zum aktuellen Vermieter und meine Bankverbindung jedoch lasse ich erst mal frei und schreibe freundlich und zuvorkommend, dass sämtliche vollständigen Daten und Unterlagen selbstverständlich gern, aber doch bitte erst mit bzw. nach der Besichtigung übergeben werden, damit man A) überhaupt weiß, wem man das alles gibt und dass da auch eine seriöse Persönlichkeit dahintersteht und B) (was ich noch wichtiger finde) man dann auch erst weiß, ob die angebotene Wohnung für einen selbst denn überhaupt in Frage kommt.
Wir haben ja nun schon einige Wohnungen besichtigt, die dann aber in letzter Instanz doch keine wirkliche Verbesserung bei beinaher Verdopplung des Mietpreises für uns würde.

Die wirklich süße Dachgeschoss-Wohnung, die wir beide unbedingt wollten und die wir Freitag besichtigten, hatten mich dazu gebracht, entgegen des klaren Wunsches des Mannes, keine 24,95 für die Schufa-Auskunft auszugeben, doch einen Onlineantrag zu stellen. Zu meiner Rechtfertigung: Ich wusste nicht, dass man die auch 1 x aller 2 Jahre kostenfrei beantragen kann. Hätte ich googeln können, ja ok, habe ich aber nicht. Viel wichtiger war mir, zum Termin alle Unterlagen vollständig mitzubringen. So hatten wir es dem potentiellen Vermieter nämlich zugesagt, nachdem wir uns aus paranoiden... NEIN ... Datenschutzgründen geziert hatten, ALLE geforderten Angaben zu machen bzw. Unterlagen beizustellen. Und als wir dann Freitag da so standen, musste ich doch ein bisschen in mich hineinlachen. Vier junge Frauen (die vierte war.. äh.. ich), zwei mit besserer Hälfte, zwei ohne - und drei von ihnen 1a vorbereitet mit Lebenslauf (ja Tatsache! und mit Bild! von beiden!) und einer 1a Bewerbungsmappe. 1a frisiert und perfekt geschminkt, während hingegen ich unterwegs und völlig sorglos eine Süßigkeit genascht und mit einem Kaffee den Gaumenschmaus komplettiert hatte. Immerhin habe ich mir anschließend einen Zahnpflegekaugummi gegönnt!
Und die Wohnung selbst... Wooarr, die war wirklich einfach nur schön! Richtig schön! Leider auch... Schön klein. Kleiner als erwartet - wir hatten wohl bei Angabe der Quadratmeterzahl auf den Abzug durch die Dachschrägen gehofft. Real, live und in Farbe mussten wir blutenden Herzens erkennen, dass ich für meine drei geliebten Antikmöbelstücke partout keinen Platz finden würde. Und mich vom honigfarbenen Wäscheschrank trennen? Vom Vertiko? Von der kleinen Kommode? Ich mixe ja gern alt und neu (deutlich erkennbar übrigens an meiner Beziehungskonstellation - er alt und ich in der zarten Blüte meiner Jahre! *kreisch*) und hätte insofern so einige Kompromisse schließen können und wollen. Aber mit der Wohnung.. hätten wir nicht wirklich etwas gewonnen. Kein Platz im Schlafzimmer für das bei IKEA avisierte Wäschewunder. Kein Platz für Staffelei und Farben etc. Vermutlich würde ich nicht mal meinen Schreibtisch durch die Treppe nach oben gewunden bekommen (der ist auch antik, aber den habe ich erst vor gut eineinhalb Jahren gekauft, mehr zweckdienlich, da hänge ich jetzt noch nicht sooooo dran). Dass wir außerdem keine Speisekammer hätten und am Arsch der Welt wohnen würden - okay, das hätten wir in Kauf genommen.
Aber wenn man mehr Kompromisse eingeht als man von dem bekommt, das man eigentlich wollte?
Beziehungstechnisch würde ja auch jeder raten: "Finger weg, bevors weh tut!"
Wohnungstechnisch haben wir dann am Abend gemeinsam entschieden: "Wir nehmen sie nicht."
Natürlich wissen wir nicht, ob sich der Vermieter überhaupt für uns entschieden hätte. Obschon wir vermutlich am besten in sein Raster passten: Er wollte langfristig Mieter, die Wohnung ist seine Geldanlage, die aktuellen Mieter ziehen aus, weil sie ein Kind bekamen und es nun zu klein wird - und die drei anderen Paare sind noch jung, da ist Nachwuchs zu erwarten irgendwann. Vielleicht. Weiß man ja auch nicht genau. Wir waren auch die mit den langzeitlichen Arbeitsverträgen und die, die die wenigsten Fragen stellten - abgesehen nach der Geschwindigkeit des Internets (Herr Blau; wäre eigentlich meine Frage gewesen, aber OK) und der Versicherung, dass die Familienplanung mehr als abgeschlossen sei (ich). Außerdem können wir ausgesprochen ruhig und seriös wirken. Was wir freilich auch sind. Bis der Abend kommt *harhar*
Nur bei Übergabe der Unterlagen... Da musste ich dann eben in mich reinlachen: Die anderen hatten alles dabei, sorgsam gestaltet, ausgedruckt, zusammengestellt, während wir eben leicht ins Schwimmen gerieten: Herrn Blaus Schufaauskunft fehlt noch immer. Eigentlich das Herzstück eines jeden Mietbegehrens. Kaum etwas ist einem Vermieter wichtiger als das. Er guckte entsprechend auch leicht irritiert, der Vermieter. Deutlich war seinem Gesicht abzulesen: "NA! Da is doch wat faul! Erst wollense nich alles angeben, dann nich alles übergeben!" Man kann ja aussehen wie man will, sagen was man will - am Ende zählen Fakten Fakten Fakten. Und Fakt war: Wir hatten eben nicht alles vollständig da. Und wer war schuld? Herr Blau natürlich!
Das angedrohte Feuer gabs dann trotzdem nicht - eben weil wir uns einig waren: Diese Wohnung ist es leider nicht - so schön sie auch ist.

Am Wochenende haben wir also erneut im Netz gestöbert - und uns vor allem köstlich amüsiert. Wie gesagt, dass M klein & teuer kann, das weiß mittlerweile auch ich. Aber wenn man sowas hier für schlappe 2.000 (in Worten: ZWEITAUSEND) Euro im Monat mieten kann, dann.... gehe ich freiwillig nach L zurück und miete mir für weniger als das ein Loft. Dann muss eben Herr Blau Home Office betreiben und nach M pendeln.


Wie gesagt, 2.000 Euro Warmmiete. Was Ihr rechts seht, ist das Wohnzimmer. In echt noch schmaler - war bildkonstruktionsbedingt, dass es bisschen "breit gezogen" wirkt. Ihr seht hier das ganze Wohnzimmer, übrigens, mehr gibts hier dazu nicht. Frei nach Robinson Junior: "Was sehen wir heute? Die Wand! Ach - schon wieder die Wand!"
Rechts unten seht Ihr den Knauf für die Treppe zum Souterrain. Auf diese Bilder verzichte ich - aber ich kann Euch versichern: Besser wirds nicht. Die weiße Kommode ist übrigens das Endteil der Küche. Sagte ich Küche? Kochnische, meinte ich. Sehr lachen musste ich übrigens beim Betrachten des gut gefüllten Regals: "Ich nehme an, dass man es ohne dem hier nicht aushalten kann!"
Vermutlich werde ich demnächst aufgefordert, das Bild hier zu löschen. Bis dahin könnt Ihr mit mir lachen!

Mein Fazit? Warum einfach, wenn man es auch kompliziert haben kann? Da war es in L einfach angenehmer: Inserat raussuchen, anrufen oder E-Mail schreiben, Termin vereinbaren, angucken, ja (oder nein) sagen, Handschlag, Vertrag unterschreiben, einziehen - fertig und aus. Kaum eine Wohnung hier ist das Gedöns wert. Und die, die es wert sind, kosten leider ab 2.500,00 Euro aufwärts. Oder haben eine Küche zur Ablöse von nicht verhandelbaren 18.500,00 Euro. Nein - kein Schreibfehler. Oder sind verkitscht bis zum geht-nicht-mehr mit goldenen Wasserhähnen, Waschbecken in Muschelform und Goldtupfern (Arielle lässt grüßen!) und einem vergoldeten Kamin. (Kamin ist geil - aber vergoldet??? In fünfzig Jahren vielleicht mag ich das. Wobei... nein... vermutlich auch in fünfzig Jahren nicht.)
Die spinnen hier, aber echt.
Oder sollten wir an unserem Anspruchsverhalten arbeiten?
Oder von hier weggehen? Nein, ganz weg, meine ich. Nicht raus aufs Land. Da werde ich trübsinnig, befürchte ich. Ich war immer ein Stadtkind. Ich werd wohl immer eins bleiben. Fragt sich nur, zu welchem Preis.

Donnerstag, 11. Februar 2016

Die Jungen und die Alten

Am Montagmorgen fuhr ich ins Büro. (Irgendwie genieße ich immer noch und immer mehr, dass dieser Umstand für mich ein nicht mehr alltägliches Ding darstellt, sondern nur noch schätzungsweise aller 10 - 14 Tage stattfindet und ich mir in der übrigen Zeit auf der sonnigen Bank der kleinen Terrasse die Sonne auf dem Bauch... respektive den Laptop... scheinen lassen kann. Jedenfalls im Frühling, Sommer und Herbst.)
Für den Abend fanden die Söhne und meine Freundin uns in der Lieblingslokalität meines Sohnes ein - anlässlich seines Geburtstages.
"Vor 19 Uhr schaffe ich es nicht", schrieb ich ihr und befürchtete alsdann in Kenntnis ihres Durchhaltevermögens, dass ich mich vermutlich spätestens nach dem Essen mit Augenlidern in halb-acht-Stellung an der Tischkante würde festhalten und feuriges Interesse  improvisieren müssen.
Aber nichts da!
Es hat sie und mich köstlichst amüsiert, dass erst der eine Sohn ("Bleiben wir noch lange? Die Bank ist ziemlich ungemütlich."), dann das Geburtstagskind nach dem Essen und dem gemeinsamen Sekt verkündete, es würde langsam müde und ob wir denn nicht bald?
"Nix mehr los mit der Jugend", konnte ich mir nicht verkneifen anzumerken - aber vielleicht lags ja auch an unserer Gesellschaft? Immerhin kommen sie für gewöhnlich gegen 6 oder 7 Uhr morgens vom Feiern heim.
Na gut, hübsche Mädels hatten wir ihnen nicht anzubieten - außer jene beiden vom Nebentisch, doch bei jenen gab Sohn II mir recht, dass sie eindeutig zuviel Schminke und noch eindeutiger viel zu viel Parfüm aufgelegt hatten.
Es ist mir - soweit ich mich erinnern kann - noch niemals passiert, dass ich die Letzte sein würde, die ein Lokal verlässt. Ausgenommen das Personal freilich, wo mich im Nachhinein dann auch nicht mehr wunderte, wie penetrant sie rings um uns herum immer wieder die Tische säuberten, neues Tuch auflegten und die nicht entzündeten Kerzen ordneten.
"Die wollen uns wohl loswerden!" argwöhnte ich und als wir dann endlich auch gingen, wurde mir bewusst: Wir hatten den Ladenschluss längst erreicht, nicht nur die Jugend hing müde in den Seilen und entsprechend ordentlich ließ ich das Trinkgeld ausfallen.
Gastfreundlich? Können die Italiener!
Grandioses Essen? Können die Italiener!

Warum haben eigentlich die Deutschen so wenig von der Gelassenheit der Italiener?
Fragte ich mich gestern Abend, nachdem ich nach M zurückgekehrt war und mich doch sehr über die Briefpost wunderte. Absender: das hiesige Passamt.
Hatte ich mich doch gewundert, dass entgegen der Aussage, spätestens am Montag würde der Pass vorliegen, bis gestern online vermeldet wurde: "Nix da!"
Im Brief nun stand, dass die Bundesdruckerei in Berlin festgestellt habe, dass nach erneuter Prüfung das übergebene biometrische Passfoto leider, leider doch nicht den Ansprüchen genügen würde. Es täte ihnen leid für eventuelle Unannehmlichkeiten, mit freundlichen Grüßen, bla bla.
Da war ich doch irgendwie sehr verwundert.
Es gibt einen amtseigenen Passfotoautomaten für ausschließlich biometrische Fotos; dieses Foto wurde ebenfalls bei Annahme des Antrags im Computer geprüft und freigegeben, ich zahlte freiwillig die Express-Zusatzgebühren - und stand nun da mit nix in der Hand?
Nur mal zur Erinnerung: Der Flug war eigentlich für morgen geplant.....
Dass es so kurzfristig mit der Indienreise womöglich doch nix würde, darauf hatten wir uns beinah schon eingestellt. Aber wenn es dann aus solchen Gründen nichts wird, dann wird man sich doch.... ein bisschen wundern dürfen!
"Hol dir deine Expressgebühr zurück!" fauchte Herr Blau.  "Und dann nehmen wir eben doch die ersten Fotos, die vom Fotografen."
"Äh... Die habe ich nicht mehr."
"Wieso nicht?"
"Na weil ich da gar nicht wie ich aussah! Ich habe sie in tausend kleine Teile zerstückelt und entsorgt."
"Das heißt, du hast jetzt 10 Euro in die Tonne geschnipselt und 7 Euro verschenkt, weil die Automatenfotos doch nicht akzeptiert werden?"
"Joar."
Als ich dann noch erwähnte, dass ich mir vor zwei Tagen und entgegen seines Wunsches doch über den Immo-Scout eine Schufa-Auskunft eingeholt hatte, für die ich 24,95 € zahlte, obwohl man auch als Otto-Normalverbraucher die Möglichkeit hat, einmal innerhalb von zwei Jahren diese kostenfrei bei der Schufa selbst beantragen zu können, da konnte ich meine "sinnlosen Ausgaben" nur noch damit rechtfertigen, dass ich freiwillig auf entsprechend viele Milchkaffee's verzichten würde. Glaubt Herr Blau mir zwar nicht - und ich mir auch nicht - aber soll ja keiner sagen, ich hätte es nicht wenigstens angeboten!
Indien jedenfalls... ist vorerst nunmehr auf September verschoben. Diesen Jahres! Bis dahin sollte es dann doch auch mit den blöden Fotos und dem Reisepass geklappt haben! Dann ist dort zwar keine Hochzeit mehr (auch wenn die Inder entschieden länger feiern als die Deutschen), aber dann hat Herr Blau mir immerhin mal gezeigt, wo er schon verbrannte Erde hinterließ :)

Samstag, 6. Februar 2016

Samstagfieber



Ich habe ihn heute gefühlt, geschmeckt, geatmet.
Den Frühling...
..er schaute bereits am frühen Morgen mit den ersten zarten Sonnenstrahlen in das Schlafzimmer, entdeckte uns in verschlafener Umarmung nach einem schlechten Traum.
Holte uns beizeiten aus dem Bett, ließ uns Kaffee zubereiten und zog uns vor die Tür.
In der wunderbaren kleinen Kaffeestube, bei zerlaufendem Schokoladenkuchen und einer Tasse Kaffee, im Gespräch mit Freunden, wurde mir bewusst, wie sehr ich es vermisst habe.
Dieses Gefühl von... frei sein... unabhängig sein... dieses Gefühl von Seele baumeln lassen, die Hand des Mannes auf meinem Knie oder meine Hand auf seinem Rücken; Gespräche über Wohnungsinserate, Erlebnisse mit Maklern, Wünschen, Vorstellungen, Zielen, Wegen.
Wir wollten alle nicht wieder heim.
"Was ist das nur für ein Winter", sagte der eine und ich sagte: "Mir so scheißegal - Hauptsache, es ist so schön, dass wir nicht mehr dick vermummt durch die Straßen laufen, die Hände in die Manteltaschen gebohrt."
Stattdessen das Haar offen im Wind, der Mantel offen, ohne zu frieren, die Hände ineinander verhakt, ohne zu frieren oder die kalten Nasen aneinander zu reiben.
"Alles zu seiner Zeit", sagte der andere, "wir haben erst Februar."
"Mir trotzdem egal", antwortete ich, "ich lebe genau JETZT und genieße, dass es JETZT so schön ist."
Wir alle streiften durch die Stadt. Uns allen ging es so wunderbar. Der eine wollte eventuell nur ein Paar Schuhe kaufen - aus dem Laden kam er mit drei Paar und vier Schuhbeuteln, die wir ihm eingeredet hatten. Vermutlich geht er nie wieder mit uns, aber das war uns allen egal.
Oh Gott, ich liebe es so, dass überall die Menschen an den Straßencafes sitzen, kaum dass die Sonne scheint und es warm wird in der Stadt. Ich liebe es so sehr, dass es an beinah jeder Ecke nach Kaffee duftet und die Menschen wieder mehr lächeln. Wann haben wir zuletzt so gelacht, dass der Bauch schmerzte und die Tränen in die Augen traten? Wann haben wir uns zuletzt so jung gefühlt, als läge noch alles vor uns und wären wir vollkommen unbeschwert? Wann haben wir zuletzt durch die Straßen getanzt und sind im Wirtshaus eingekehrt, wo der Kellner sich wunderte, warum ich kein Bier wollte und stattdessen erst einen Milchkaffee und später eine Weißweinschorle orderte, die meine Wangen rosig färbte und die Augen glänzen ließ? Wo er uns zu Freibier am 29. Februar einlud, weil er nicht bedachte, dass es diesen in diesem Jahr tatsächlich gibt? Wann haben wir zuletzt in Umkleidekabinen geknutscht und die Verkäuferin an der Kasse beruhigt: "Ignorieren Sie ihn ruhig, er kann nichts dafür, er wurde so geboren"? Wann habe ich mich zuletzt so wunderbar leicht gefühlt und von Herzen laut gelacht? Wann habe ich mich zuletzt so wie ein Kind gefreut, weil ich auf dem Viktualienmarkt die mit Zitronenstückchen gefüllten Oliven entdeckte, die es schon so lange nicht mehr gab?
Liebes Universum... Ich wünschte mir ein bisschen ganz viel mehr Samstag!

Freitag, 5. Februar 2016

Kinder


Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran.

Darf man nie drauf schlagen,
die zerbrechen dann.

Sind so kleine Füße
mit so kleinen Zeh'n.
Darf man nie drauf treten,
könn' sie sonst nicht gehn.

Sind so kleine Ohren
scharf, und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen,
werden davon taub.

Sind so kleine Münder,
sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten,
kommt sonst nichts mehr raus.


Sind so klare Augen,die noch alles sehn.

Darf man nie verbinden,

könn´ sie nichts mehr sehn.

Sind so kleine Seelen,
offen ganz und frei.
Darf man niemals quälen,
geh'n kaputt dabei.

Ist so'n kleines Rückgrat,
sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen,
weil es sonst zerbricht.

Grade, klare Menschen
wär'n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat,
hab'n wir schon zuviel.


Quelle: http://www.deanita.de/kinder/kinder_gedicht02.htm
Song von Bettina Wegner
Danke, Nana, für das Entdecken!

Vor kurzem erst schrieb ich, dass ich noch vor einigen Jahren das Bitten und Annehmen von Hilfe für Schwäche hielt. Nicht bei anderen - nur bei mir selbst! Inzwischen habe ich gelernt, wie unsinnig diese Annahme war - aber ich versuche nach wie vor zu unterscheiden, ob Hilfe ernst gemeint ist oder ob ich davon ausgehen kann, dass es mir späterhin vorgehalten oder gar vorgerechnet wird: Dann will ich sie nicht.
Sohn hatte heute seinen ersten Sitzungstermin in der eigentlich 3. Therapie. Zur 1. wurde er mit 13 Jahren geschickt - vom Vater, jedoch nur unter dem Aspekt, dass es mir genügend Druck machte, um "nach Hause" zurückzukommen. Als die damalige Mentorin nach der 3. oder 4. Sitzung begann, ihn als Mensch und Vater zu hinterfragen, durfte der Junge ab sofort nicht mehr dorthin. Die zweite "Sitzung" hatte er mit 18 - auf "Drängen" von außen, aber er sah darin persönlich keinen Sinn, öffnete sich auch kein Stück und so war nach einem halben Jahr die "Therapie" ergebnislos zuende.
Nun die 3. Sitzung - zu der er gegangen ist, weil er zwar spürt, dass er was ändern muss, dass etwas richtig schiefläuft - aber im Grunde macht er es nur mir zuliebe. Mir war das von Anfang an bewusst - aber ich bestärkte ihn trotzdem immer wieder darin, bis er sich nun einen Termin holte.
Was mich sehr überraschte und umso mehr freute: Auch wenn er momentan wie früher keinen wirklichen Sinn darin sieht, eigene Gedanken mit einem Fremden zu teilen, so hat er heute diesen Termin wahrgenommen - und auf alles geantwortet, das er gefragt wurde. Und noch mehr erzählt. Noch viel mehr.
"Du musst mir nicht erzählen, was ihr besprochen habt", habe ich heute Abend zu ihm gesagt, "ich möchte nur wissen, ob es dir gut geht. Wie es dir geht."
"Mir gehts gut", antwortete er, "kannst mir glauben. Mir gehts wie immer. Ich versteh nur die Diagnose Depression nicht. Ich bin doch nicht traurig. Ich kann nur nicht schlafen und mich nicht richtig konzentrieren."
Mein Seelchen. Das trotz seines bevorstehenden 26. Geburtstages noch so wenig weiß.
Er wird weiter dorthin gehen, das steht für ihn fest. Und auch, wenn er nicht von dem überzeugt ist, was er da tut, bin ich sehr froh, dass er es tut.
Und mir tut es immer noch weh, wie zerstört man sein kann, obwohl man noch gar nicht wirklich angefangen hat zu leben. Das ist (m)eine Narbe, die nie verheilt.
"Ich habe ihr gesagt, dass man dir vorwirft, du würdest mich und uns vernachlässigen", sagte er, "aber ich finde das überhaupt nicht. Du tust so viel für mich und für [meinen Bruder], vielleicht sogar manchmal zuviel."
"Aber es geht doch gar nicht um mich, es geht doch um dich, Hase", habe ich geantwortet.
"Du redest wie die Therapeutin", konnte ich ihn förmlich durchs Telefon lächeln sehen. "Ich musste es ihr trotzdem sagen. Weils einfach ungerecht ist."
Und weil du dich damit quälst, dachte ich , weil du glaubst, du seist für alles verantwortlich. Was du einfach nicht bist.
So oft habe ich ihm das gesagt, aber er glaubt mir nicht. Er denkt, ich will ihn nur schützen.
Und ich hoffe und baue darauf, dass er jetzt einen wichtigen Schritt nach vorn kommt. Für sich ganz allein.

Mittwoch, 3. Februar 2016

"Bleib doch, wo der Pfeffer wächst!"

Herr Blau weilte schon zweimal im fernen Indien - und mich erinnerten seine Reisen immer irgendwie an Bugs Bunny, der im Holzboot saß und man ihm zurief: "Bleib doch, wo der Pfeffer wächst!" und er antwortete: "OK! Auf gehts nach Indien!" Na ja oder so ähnlich, es ist immerhin über 20 Jahre her, seit ich diesen Trickfilm, den Sohn I heiß und innig liebte, gesehen habe.
Seit er dort war, träumt er davon, mit mir gemeinsam dorthin zu reisen. Mir zu zeigen, was er bereits gesehen, entdeckt, erlebt hat.
"Du wirst es hassen und lieben", hat er immer gesagt.
Als er nun vorgestern Abend sagte, dass wir eine Einladung zu einer Hochzeit nach Indien bekommen hatten, hielt ich für einen Moment den Atem an.
Insbesondere die letzten acht Wochen haben genug Stoff geliefert, den Stresspegel nicht nur hochzuhalten, sondern auch Entscheidungen zu überdenken. Mich zu fragen, wie ich was fortführen oder lösen möchte. Eine gemeinsame Urlaubsplanung fiel wie ein erfrischender Regen in diese Überlegungen - und nach dem ersten Schreck und einer schlaflosen Nacht sagte ich mir: "Warum eigentlich nicht? Vielleicht ist es genau das, was wir jetzt brauchen? Vielleicht ist es genau das, was uns gerade guttun könnte?"
In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Reisepass besessen - und war ja fast überrumpelt davon, wie schnell und unkompliziert das alles gehen kann. Passfoto und Ausweis, eine dreiviertel Stunde Wartezeit auf dem Amt, maximal zehn Minuten Audienz mit Abgabe eines Fingerabdruckes auf einem inzwischen lätschrigen, fettigen Lesegerät - das wars.


Ach und Passfoto! Gegenüber vom Amt ist so ein kleiner Fotoladen, hatte mir der freundliche Herr beim Vorabtelefonat gesagt. "Wir haben auch im Wartebereich einen Fotoautomaten", fügte er hinzu - aber die Passfotos aus Automaten kennt man ja!
Ich wählte also den Fotografen - und war schockiert!
"Das bin doch nicht ich!" war ich völlig von den Socken. "Mein Gesicht ist ja doppelt so breit - ich sehe ja aus wie ein Eierkuchen! Und gucken Se mal - wo habe ich bitte schön ein Doppelkinn??"
Der Typ am Rechner hustete in seine Hand rein - und fast hätte ich ihm paar an den Latz gehauen: "Sehn Se, wenn Sie selber lachen müssen! Können Sie das nicht löschen? Ich würde das gerne noch mal neu machen. Sieht ja so aus, als würde ich auch total krumm sitzen!"
"Nee das sieht nur so aus, Sie haben schon ganz gerade gesessen!"
"Hallo? Schauen Sie sich mal die Fotos an! Ich seh ja aus wie ne Matroschka, die Fotos will ich nicht haben."
"Glauben Sie mir, Sie haben schon gerade gesessen, andere Fotos werden auch nicht besser."
Ich gebe zu, mir saß die Zeit im Nacken. Noch dreißig Minuten, dann würde das Amt schließen. Und hey - ist doch bloß für nen Reisepass, den ich vermutlich nie wieder brauche! Na ja, obwohl...
Egal. Murrend zahlte ich die zehn Euro, nahm die vier Kackfotos und stiefelte wehenden Haares zum Amt. Zog Nummer 427 bei aktueller 370. Zeit genug, um mit dem Automaten zu liebäugeln. Ich meine, hey, was hatte ich zu verlieren? Wenn ich für 10 Euro beschissene Fotos machen konnte, konnte ich für nunmehr 7 Euro wenigstens noch einen kläglichen Versuch starten.
Vor allem bot das Gerät mir jeweils drei Fotos an, von denen es mir auch gleich sagte, ob und welches davon den biometrischen Vorgaben entsprach - oder ich konnte mich so oft neu verblitzen lassen, bis die Eitelkeit gestillt worden war.
Ich gebe zu, ich war erst im zweiten Anlauf zufrieden.
Ja was solls! Ich bin wirklich nicht fotogen, bei den meisten meiner Fotos renne ich schreiend davon oder bestreite, dass ICH das bin. Ich muss etwa hundert Mal fotografieren, ehe wenigstens ein Foto dabei ist, das meinem ästhetischen Auge gefällt. Von 365 Tagen im Jahr gibt es ungefähr drei oder vier Tage, wo mir das mal so auf Anhieb gelingt.
Jedenfalls registrierte ich bereits im ersten Versuch, dass mein Gesicht weder ein Eierkuchen ist noch dass ich ein Doppelkinn habe. Die blöden Typen da drüben in ihrem scheiß Shop hatten bloß Glück, dass der Laden dicht war, als ich das Amt wieder verließ!
Und wenn alles gut geht, darf Herr Blau am Montag meinen funkelniegelnagelneuen Express-Reisepass abholen, das Visum beantragen und während ich mir morgen noch eine Tetanus-Impfung abholen darf, könnte es dann durchaus passieren, dass wir in gut einer Woche im Flieger sitzen und Herr Blau ungefähr 12 Stunden von einer Reisenden begleitet wird, die erst schmutzige Lieder singt (weil ausreichend Mut angetrunken) und alsdann friedlich im Sitz ihren Rausch ausschläft.
Namasté!

Montag, 1. Februar 2016

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach



Als mich am Mittwoch eine Stunde vor Beginn der Trauerfeier die Nachricht von Sohn II erreichte, es bestünde bei ihm der Verdacht auf Morbus Scheuermann und wird dieser bestätigt, dann bedeute das für ihn den Ausschluss aus allen laufenden Bewerbungen bei Polizei, Zoll und der Bundeswehr, da musste ich mich für einen Moment doch erst mal setzen.

Morbus Scheuermann, so erfuhr ich beim fixen googeln, ist eine Deformierung der Wirbelsäule. Etwas, das Sohnemann selber bereits befürchtet hatte, nachdem der Rücken im Lauf der Zeit krummer wurde.
"Mach dich jetzt nicht verrückt", antwortete ich Sohnemann, der für zwei Tage zum Eignungstest der Bundeswehr nach Erfurt gefahren war, "ich glaube nicht, dass du das hast. Bevor du mit dem Sport begonnen hast, war dein Gang schön aufrecht und dein Rücken auch sehr gerade."
Aber für einen Moment schluckt man dann schon.
Sohn I mit der bestätigten Diagnose Morbus Basedow.
Sohn II mit der noch unbestätigten Diagnose Morbus Scheuermann.
Den Gesundheitscheck bei der Wachpolizei hatte er vor 10 Tagen nicht bestanden - der Ruhepuls zu hoch und die Herzfrequenz beim Belastungs-EKG viel zu hoch. Eine Wiederholung aller Tests ist ausgeschlossen - entweder man besteht beim ersten Mal oder muss sich in einem Jahr neu bewerben. Aber er hat schon zwei Jahre "verschenkt" mit der Grundausbildung für den Erzieher, der er eben nicht mehr werden will. Hinzu das Übergangsjahr bis zur nächsten Ausbildung. Drei Jahre für lau also - aber es muss ja auch mal vorangehen?
"Siehs positiv", sagte ich dem geknickten Sohn, "so kannst du jetzt in Ruhe deinen Führerschein zuende machen und dich auch auf die Eignungstests für Polizei und Zoll vorbereiten. Perspektivisch sind diese Jobs wahrscheinlich für dich ohnehin besser, denke ich mal."
Am Mittwochabend, nach all dem übrigen Wahnsinn dieses Tages, kam die Entwarnung: Diagnose nicht bestätigt, nur ein ausgeprägter Rundrücken "dank" des - ich sag mal: falschen bzw. mit falschem Ehrgeiz betriebenen - Sportes.
"Dann weißt du ja, was du jetzt tun solltest, wenn du wieder zu Hause bist", schrieb ich, "nämlich Umstellung deines Sportprogramms, nun aber wirklich endlich mal."
Er kam dann mit mehr oder weniger fliegenden Fahnen heim: Alle Tests bestanden, Wissenstest, Gesundheitstest, Sporttest und das psychologische Gespräch. Nun kann er bedingt wählen, wohin er möchte. Bedingt deshalb, weil die Plätze dort, wo er eigentlich hin wollte, belegt sind. Eine Woche Zeit hat er, um es sich zu überlegen. Doch erst mal fährt er heute in den Norden - zum 2. und 3. und damit letzten Test (soweit ich weiß) für die Bundespolizei. Ihm (und ehrlich gesagt auch mir) wäre eine Ausbildung dort am liebsten. Auch wenn die erst am 01.09. beginnt und bis dahin noch nicht klar ist, wie die Zeit finanziell zu überbrücken ist. Zumal seine Bewerbungen bislang - sofern er denn überhaupt eine Antwort bekam - abgelehnt wurden mit der Begründung, dass man "was Längerfristiges" suche. Was ich auch verstehen kann: Wofür die Mühe, jemanden einzuarbeiten, der in wenigen Monaten eh wieder fort wäre?
Bleibt möglicherweise tatsächlich nur ein Job bei McDonalds oder so. Wollte er nie, aber danach gehts eben auch nicht immer im Leben - und am Ende wird er froh sein, wenn er überhaupt etwas hat, wo er sich ein paar "Pfennige" verdienen kann.

Sohn I rief mich heute Morgen um kurz nach sieben Uhr an. Er sollte sich heute melden für einen Termin zu einem psychologischen Gespräch. Insgeheim hoffte ich, dass es nicht soooo lange dauern würde bis dahin. Und er sagte: "Am Freitag soll ich hinkommen." Hui. Dafür, dass das Ganze sich so lange hingezogen hatte, geht es jetzt doch recht fix.
Ich kenne die Ärztin, zu der er geht. Sie hat mich eineinhalb Jahre im Rahmen der Schmerzbehandlung betreut - und ich mochte ihre zupackende Art mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Sie war mir noch sympathischer, als ich erfuhr, dass sie wie ich aus dem Norden stammt :)
Mir haben diese eineinhalb Jahre eine ganze Menge gebracht und genau dasselbe wünsche ich mir auch für meinen Jungen. Denn die körperliche Verfassung ist das eine - die mentale eine andere.

Und so mahlen die Mühlen weiter und weiter und immer weiter.
Was durchaus etwas Positives hat, finde ich.
Auch wenn in mir noch immer ein dumpfes Gefühl vorherrscht. Ein bisschen wie ausgebrannt. Ein bisschen wie leer. Natürlich tue ich mir ab und an auch selber mal ein bisschen leid - ich finde das auch nicht schlimm. Schlimmer wärs, aufzugeben. Hinfallen und liegenbleiben oder so.
Aber darüber denke ich gar nicht nach.