Sonntag, 28. Dezember 2014

Zwölf Nächte

Vor vielen Jahren sagte meine damalige Schwiegermutter zu mir: "Achtet auf eure Träume ab Heiligabend. Sie sind symbolisch für die kommenden zwölf Monate."
Interessanterweise konnte ich mir nie merken, was ich in diesen Nächten träumte. Entweder tatsächlich nix oder aber ich hatte es bereits vergessen, wenn ich morgens die Augen aufschlug.
Nun, Aberglaube hin oder her: Wenn man einmal so einen Floh ins Ohr gesetzt bekommen hat, ist es relativ schwierig, sich wieder zu entlausen. Jedenfalls für jemanden wie mich, der schon daran glaubt und irgendwie auch darauf vertraut, dass es sehr viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich nicht logisch erklären lassen. (Ich finde, das hat sowas... Beruhigendes. Hoffnungsvolles. Oder so.)
Übers Jahr vergesse ich diese Worte (klar, ich brauch sie dann ja auch nicht; ich merke immer wieder, wie selektiv ich in meinen Wahrnehmungen werde... Ich merke mir nur das, was für mich wichtig ist bzw. was ich mir merken WILL.) Und pünktlich in der Weihnachtszeit erinnere ich mich wieder daran. Na ja - fast pünktlich.
Jedenfalls ist mir in diesem Jahr aufgefallen: Ich erinnere mich morgens an jeden einzelnen Traum. Ich vergesse ihn im Lauf des Tages, aber morgens, im entscheidenden Moment, weiß ich immer noch, was ich geträumt habe. Und was ich wirklich interessant finde: Ich träume überhaupt nicht von mir. Ich sehe irgendwelche Figuren, Handlungen, die mit mir so gar nichts zu tun haben.
Ja, jetzt könnt Ihr mir was erzählen von Symbolik und so. (Hab mal vom leeren Haus ohne Fenster geträumt und wusste auch ohne Aufklärung, dass das was mit mir zu tun hatte.)
Diese aktuellen Träume... fühlen sich anders an. So fremd. Als würde ich durch die Stadt gehen und Menschen betrachten, die mir völlig fremd sind, zu denen ich keinerlei Bezug habe und vermutlich auch nie haben werde. Ich sehe sie und gut. Ich sehe sie, fahre wieder nach Hause und habe sie schon vergessen, bevor ich den Schlüssel in die Haustür stecke.
Die Träume, die ich normalerweise habe.... sind manchmal flach, manchmal intensiv, manchmal beängstigend und nur selten lustig: Mein reales Leben ist nicht so. Also mal flach und mal intensiv, doch, schon, aber öfter lustig als beängstigend. Oder empfinde ich es nur so, weil ich mir und dem Leben gerne auch mit Galgenhumor begegne? Weil sich so das eine oder andere besser aushalten lässt? Aber ich habe irgendwie immer einen Bezug zu ihnen, ganz gleich, ob ich sie verstehe oder nicht. Oft kann ich im Traum bewusst fühlen und denken: "Wach auf! Mach die Augen auf!" (Und oft öffne ich dann auch meine Augen.)
Die ersten der zwölf Nächte  in diesem Jahr sind herum - und jeder Traum ist flach, leer - und fremd. Ich fühle mich darin nicht. Ich sehe mich darin nicht. Es ist, als gäbe es mich gar nicht.
Ich dachte immer, ich würde vor allem auch beeinflusst durch die Abende, die vor der jeweiligen Nacht liegen. Manchmal haben wir einen Krimi gesehen. Manchmal haben wir gestritten. Manchmal haben wir noch in den Kissen gelacht.
Mit einer Erinnerung in meinem letzten Post habe ich mich selbst angetriggert: Jene Nacht. Jener Mensch, der mich gegen Mitternacht anrief. Dieses Scheppern und Poltern, als die Wand rausflog. Sein furchtbares Schreien und Röcheln. Das Abreißen der Telefonverbindung. Die zitternden Hände, mit denen ich die 110 wählte. Den Therapeuten und den Liebsten, denen ich auf ihren AB sprach... Die Embryohaltung, in der ich bis zum Morgen lag, nachdem die Polizei fort war - und nicht schlief, nicht mehr weinte,  völlig erstarrt in mir selbst.
Noch heute verfolgt es mich. Aber ich habe gelernt, was mir beigebracht wurde: Tu all das, was hochkommt, in Pandoras Box zurück - und verschließe diese Box. Ganz fest. Und das funktioniert.
Vorletzte Nacht bin ich erwacht - wovon, weiß ich nicht mehr. Ich habe irgendwas anderes, irgendwas Belangloses geträumt. Aber jene Nacht - die war sofort da. Vor meinen Augen. In meinen Ohren. Stimmen. Bilder. Ereignisse. Eine gefühlte Ewigkeit lag ich wach, wälzte mich ruhlos hin und her und bemühte mich, diese Box wieder zu schließen. Es ist nur die Nacht, die alles so intensiv macht. Wenn du morgen früh erwachst, ist alles vorbei.
Irgendwann schlief ich wieder ein. Und träumte irgendwas... Nichtssagendes. Fremde Gestalten ohne eine Aussage, ohne eine Empfindung. Nichts ist wie sonst. Nichts von all dem ist in meinen Träumen widergespiegelt worden.
Vier Nächte von zwölf sind rum.
Acht Nächte bleiben.
Ich bin gespannt, wie diese acht Nächte werden. Ich finde es hochinteressant, und dabei verstehe ich es nicht einmal.
2015 steht kurz bevor. Ich habe keine Ahnung, was dieses Jahr bringen wird. Wird es fremd, belanglos, oberflächlich - so nichtssagend wie meine Träume?
Vielleicht bin ich ja ein bisschen abergläubisch. So ein ganz kleines bisschen vielleicht. Aber ich glaube.... 2015 wird alles andere als fremd, belanglos und oberflächlich.
Hm. Kaffee. Ich brauche jetzt einen Kaffee. Einen richtig... guten. 

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Oh weh, dann bin ich gespannt, was 2015 bringen wird, denn ich kann mich morgens an keinen meiner Träume erinnern. Vielleicht mal die Richtung vorgeben und abends einen netten Film schauen? Da steht ja nicht, dass man die Träume nicht in seinem Sinne beeinflussen darf, oder? ;)

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hey Anna, das habe ich ja versucht: Richtung vorgeben! Aber ob Krimi oder Liebes- oder Weihnachtsfilm: Es hat nichts genutzt: Alles blieb flach und fremd :)

Nicola Hinz hat gesagt…

Ja, das ist ja wirklich eine etwas beunruhigende Vorstellung - ich habe in den letzten Nächten immer vom Verschlafen geträumt. Und von dem Stress, der im Tagesablauf daraus entsteht. Ich glaube, ich werde auch mal versuchen, ein bisschen was zu drehen - und bemühe mich von nun an, nur noch von Schuhen und kleinen Kätzchen zu träumen. ; ) Allerdings habe ich irgendwo mal gelesen, dass man sich ohnehin nur an die Träume erinnert, die von Angelegenheiten handeln, die noch nicht erledigt sind, bzw. der weiteren inneren Bearbeitung bedürfen. Alle anderen kommen angeblich gar nicht mehr an die Oberfläche. Wer weiß...
Liebe Grüße
Nicola

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Hmm ja, wer weiß? Dann hätten meine aktuellen Träume also die Aussage, dass nun, nach insgesamt elf Jahren, der Rucksack entpackt und der Inhalt aufgearbeitet wurde? Dass 2015 also tatsächlich ein ruhiges Jahr wird? Na das wäre doch auch mal was :)

Goldi hat gesagt…

Und dann kommt die Frau Gold und haut in die Box.

Du Liebes, ich denke Du weißt es selber, aber vielleicht brauchst Du auch ein paar Buchstaben, die es Dir nochmal schreiben. Wie immer sind es meine Gedanken und Erfahrungen mit keinem Anspruch auf "Recht haben wollen" nur Gedanken zu dem was ich von Dir bisher gelesen habe.

Mit den Pandorras Boxen ist das so ein Ding. Sie lassen sich massig stapeln, stehen fest, öffnen sich nur selten ausversehen und mit etwas Aufwand bekommt die taffe Frau von heute, die Dinger auch wieder zu und gestapelt. (Wie gut ich das kenne ;) )

Und dann irgendwann, stellt frau fest, dass diese blöden Stapelboxen oder diese eine große Box nicht mehr so ganz dicht ist, der Kleber nicht mehr hält und die Tackerklammern im morschen Gewebe auch mehr Schaden anrichten. Dieses blöde verf... Kästchen lässt sich nicht mehr so in die Ecke stellen wie man es gerne möchte und immer wieder kommen Schnippsel aus der doch eigentlich "abgelegten" Box heraus.

Fachlich nennt man sowas übrigens Flashbacks ;)

Aber auch damit kann man sich arrangieren, frau schafft ja alles und man hat ja gelernt, kauft/schafft halt eine neue Box in die man die brüchige reinstellt, das geht schon...

Aber um welchen Preis? Du schreibst auf Nicola, das der Rucksack entpackt wurde, ja kann sein, es könnte aber auch sein, dass da gerade ein Schnippsel raushängt und Du nun die Gelegenheit hast, diesen wieder zurück zu packen oder ihn Dir anzuschauen und zu verarbeiten um dann wirklich sagen zu können er ist erledigt. Dann braucht es keine Box mehr, dann reicht nämlich die Ablage "ist erledigt, belastet nicht mehr, ist lediglich eine von vielen Erinnerungen an die Vergangenheit". Vielleicht ist da auch zuviel "eigenerleben" in der Antwort, aber vielleicht ist es auch ein kleiner, lieber Schubbser in eine Richtung, der man sich eigentlich gar nicht freiwillig stellen mag, denn es ging ja bisher immer gut mit dem wegpacken;) :-*

Anonym hat gesagt…

Ich habe geträumt. Von einem sehr plastjschen Streit zw. mir und Herrn A. Und dann schaue ich in den Spiegel und mir fehlt nicht nur ein Zahn am Unterkiefer, sondetn da klafft eine richtige Luecke, so als wäre mein Gesicht falsch zusammengrsetzt. Vielleicht träume ich lieber doch nicht....

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Goldi, nein, ich denke nicht, dass mein Rucksack entpackt und aufgearbeitet ist. Diese Aussage von mir war eher selbstironisch, mit einem schiefen Lächeln gemeint.
Flashbacks... Sollte der Posttitel anfangs lauten, eh ich ihn in "12 Nächte" umschrieb. Ich bin nicht mehr ständig damit beschäftigt, Zipfel in diese blöde Box zu stopfen, und wenn ich das tu, dann vor allem, weil Erinnerungen mich nicht beherrschen sollen. In einer Reha hieß es mal: "nur weil Sie es heute verstehen, bedeutet es nicht, dass es nicht so war. Und es ist immer noch da, was es mit Ihnen (als Kind) gemacht hat." Manchmal frage ich mich, wie ich heute wäre ohne diesem und jenem? Nicht im Sinne von hätte und wäre, sondern im Sinne von "was fehlt mir?"
Zuallererst fällt mir da ein: mein Urvertrauen. Es ist nicht mehr da seit 2006 und den Ereignissen bei und nach dem Unfall. In Verbindung mit meinem Ich und dem Erkebten vor und nach 2006... Wenn ich allein nur daran denke, spüre ich, wie weh mir das immer noch tut und wie vermutlich wenig ich das aufgearbeitet habe. Aber nicht immer kann oder will ich mich damit auseinandersetzen. Für diese Augenblicke bin ich dann froh, alles in die Kiste zurückstopfen und sie verriegeln zu können.

Helma Ziggenheimer hat gesagt…

Liebe Anna zahnlos "Muhaha", ok, da würde ich auch lieber nix träumen wollen :) interessanterweise träumte ich letzte Nacht recht deutlich von den gelben Seiten und mir und einer neuen Wohnung mit zwei (!) Schlössern: Trotzdem kamen immer mehr Leute ungefragt und ungebeten zur Tür und über die Terrasse in diese "kalte" Wohnung mit weißen Fliesen (Grusel), saßen an einem kleinen Tisch und tranken.... Kaffee! :)

Goldi hat gesagt…

Die Kiste hat ja auch ihre Berechtigung, sie ist ja genau für das eigene "funktionieren" können als Schutz zuständig. Post kommt ;)