Donnerstag, 1. September 2011

Die Nacht der Erkenntnis

So. Der Schmerz im Fuß ist gewichen, mit ihm leider auch wieder meine Stimme. Ich weiß zwar, dass dies nichts miteinander zu tun hat, aber irgendwie frage ich mich schon, ob irgendwelche Organe heimliche Joint Ventures miteinander abgeschlossen haben oder ob es sich jetzt um einen kleinen Racheakt handelt, nachdem ich meinem Immunsystem ja, wie der treue Leser von Euch vielleicht noch weiß, die schriftliche Kündigung erteilt hatte. Oder aber - und diese (eigentlich naheliegende) Erkenntnis traf mich heute mit voller Wucht: keine spirituellen, keine esoterischen, keine witzigen Auslegungen oder Begründungen - sondern eine ganz handfeste Erklärung in Gestalt mikrofeiner Größen an Wänden, unter Tapeten, in der Luft: der ganz gemeine Schimmelpilz.
Ich weiß ja, dass unser Bürohaus einst ein Opfer der Flut gewesen war, dass es anschließend zu einem Spottpreis erworben wurde und zu einer beachtlichen Summe saniert und ausgebaut, es aber augenscheinlich dennoch nicht gelungen war, eine gewisse Nässe zumindest aus dem Kellergewölbe zu verbannen. Und wie es der Zufall will... Im Gespräch heute mit Kollegen wird mir bewusst, dass dieses Haus offenbar nicht nur von innen heraus modert, sondern bereits derart offen zutage tritt, als dass der muffige Geruch, sobald man von draußen durch die Tür hereintrat, einfach nicht zu über"riechen" ist. Natürlich habe ich das immer zur Kenntnis genommen, doch wie bei vielen Dingen, die ich registriere und wahrnehme, setze ich deren Bedeutung nicht (gleich) um (na ja, wie will ich auch gegen meine nordische Mentalität anstinken, es braucht eben alles seine Zeit ;)). Grad muss ich lachen, weil mir der Kommentar meiner Mathematiklehrerin einfällt, die einst sagte: "Helma lernt schnell und gut, aber sie weiß nichts damit anzufangen. Sie kann es in der Realität nicht anwenden." Ich sage nur... Logik. Das hatte sich mir in der Tat nie erschlossen. Na ja - bis heute, wo mich quasi die Logik des Lebens zugleich auch ein Stück weit die Mathematik lehrte und mir nunmehr nicht in den Kopf will, dass ich das eine oder andere damals einfach nicht begriff.
Jedenfalls habe ich heute Abend die Internet-Gazetten aufgeschlagen und Beiträge über Schimmelpilze, deren Wirkungsweisen, den Symptomen gelesen, dass mir doch irgendwie... Angst und Bange wurde, mir aber gleichzeitig auch die (vermutliche) Wahrheit wie Schuppen vor Augen fiel. Warum hatte ich das nie gesehen? Warum habe ich das nie begriffen? Warum habe ich den Zusammenhang nicht gesehen? Seit fast fünf Jahren arbeite ich in dieser Firma und kann seitdem einen ganz persönlichen Krankenstand verzeichnen wie zusammengerechnet in all den Jahren zuvor nicht.

Eigentlich hatte ich mir ja geschworen: Ich begebe mich in keine Hand eines Weißkittels mehr, wenn es nicht wirklich auch ausdrücklich sein muss. Nicht nur, weil ich zu oft das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden. Ich meine, wenn du als mehr oder weniger junge Frau zum Arzt kommst und der aufgrund der Anamnese weiß, dass du
A) eine scheiß Ehe und eine schwere Scheidung hattest, dass du
B) zwei Kinder großziehst,
C) einen Vollzeitjob oft auch über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus betreibst und
D) eine Beziehung zwischen Posemuggel und Ziggenheimer-Town betreibst,
dann hast du spätestens hier deinen Stempel als "Burn-Out-Opfer von morgen" oder "(manischen) Depressionskandidaten" oder "klassisches Fallbeispiel der Auswirkungen des Ungleichgewichtes von Körper und Seele" weg und es ist ganz egal, ob der dir mehrfach untergeschobene und deinerseits arglos ausgefüllte Fragebogen eine 4 (quasi Bestnote, aber das erfährst du ja im Grunde nie!) auf einer Skala von "bis 12 ist alles normal, ab 13 beginnen depressive Verstimmungen" ausweist, du deinen Haushalt spielend allein bewältigst und eher der lange Mädelsabend inklusive Weißwein zum Beispiel schuld war, dass du zuweilen morgens eher nicht aus dem Bett finden magst (oder du eben auch schlichtweg von TV & Internet nicht wegkamst), dass du zwar bei Ärger frustriert im Kreis springst oder verzweifelt heulend auf der Toilette hockst (manchmal auch drei Tage lang) und dich aber immer noch über den ersten Tulpenstrauß des Jahres freust und bei Sonnenschein die Arme ausbreitest, die Augen schließt und ein wunderbares Lebensgefühl genießt. 
Menschlich, oder?
Im Grunde kannst du sowieso sagen oder tun, was du willst - du wirst immer Anhaltspunkte liefern, um in die Schublade zu passen, die dir aus Unvermögen, Unwissen, Unwillen oder Überheblichkeit zugeteilt worden ist. Wenn du gegenargumentierst, wird man nachsichtig den Kopf wiegen, mit dem Finger auf deine Biografie zeigen und sagen: "Ja ist schon in Ordnung. Übrigens ein Alkoholiker ist auch der Meinung, dass es nicht schlimm ist, sich ab und zu ein Gläschen zu genehmigen und übersieht, dass das 'ab und zu' längst zur Regel geworden ist."
Ich bin ja nun nicht ganz so verpeilt, dass ich mich allem verschließe, das mir nicht in den Kram passt, nein, ich lass mir schon so einiges sagen. Ich lass mir aber nicht Pille XY in den Rachen schieben, bloß damit Ruhe ist und Behandlungsgebühren kassiert werden können. Und ich war immer der Meinung: "Ja die Seele hat einen irrsinnigen Einfluss auf meinen Körper. Aber das ist nur eine Wahrheit. Da gibt es noch eine andere."


Bleibt am Ende nur die Frage: Meine bunte Kuh, und was machst du nun? Wenn du herausgefunden hast, dass du recht hast?


Ich weiß zumindest schon mal, was ich jetzt mache: Ich geh schlafen. Die Fülle an heutigen Erkenntnissen hat mich doch glatt müde gemacht. 

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