Dienstag, 9. März 2010

Wellengang - oder: Aber Nicht Hier Bei Uns!

Als es am vergangenen Wochenende hieß: Ostsee - wir kommen!!! da ließ allein der Beginn der Reise vermuten, dass nicht nur alles laufen würde, wie ich es von mir gewohnt bin, sondern dass auch meine angehende Dreißigerin mir derart ähnlich ist bzw. ich ihr, dass ich heimlich schon Vermutungen anstellte, ob wir irgendwie... entweder im früheren oder in irgendeinem späteren Leben Schwestern waren oder sein würden...
Als Frau J. aus M. pünktlich vor meiner Haustüre stand, war meine Tasche noch nicht fertig gepackt, die Kinder noch nicht final instruiert, der Wagen nicht betankt und das Navi noch nicht auf den Norden gepeilt. Typisch ich, grinste ich, während Frau J. genüßlich abwartend auf meinem Bettsofa Platz nahm und noch kurz vor dem Einschlafen meinte, ob es nicht doch besser sei, wir verbrachten unser Wochenende hier und gingen in irgendein Lokal.

Natürlich blieben wir nicht in Hometown, verließen eine Stunde später als geplant das Heim und orderten neben einer ordentlichen Tankfüllung entsprechenden Vorrat an Cola, Kaffee & Co.
Nun könnt Ihr Euch vorstellen, wenn Frauen sich die Ewigkeit von einer Woche nicht gesehen oder gehört haben, dann gibt es unvorstellbar viel zu erzählen - jedenfalls bei uns beiden war das rein zufällig so - und während wir einander das Herz ausschütteten, zwischendurch Musik hörten, sangen und die letzten Strahlen einer untergehenden Sonne genossen, kam nach schätzungsweise dreihundertundnochwas Kilometer, also etwa fünfzig Kilometer vor dem Ziel, der Gedanke auf: "Wie kommen wir eigentlich in unsere gemütlich angepriesene Meeresmuschel?"
"Weißt du das vielleicht?" fragte mich Frau J. und ich, Frau H., entgegnete erstaunt: "Nein, wieso ich, du hast doch die E-Mails." Woraufhin Frau J. antwortete: "Sie hat nur geschrieben, dass es egal ist, wann wir ankommen, sie hat aber nicht gesagt, WIE das läuft."
Offen gesagt - ich war so sonnig und wohlig aufgelegt, dass ich nicht einmal nur den Hauch eines Schockes verspürte, im Gegenteil - ich wedelte Bedenken kurzerhand zur Seite: "Egal, lass uns erst mal ankommen, dann werden wir schon weitersehen."
Gesagt, getan.
Nächstes Problem: Der Warnowtunnel - mautpflichtig. Darüber waren wir informiert, aber nicht darüber, ob wir eine (Jahres-) Vignette brauchten und ob es die eventuell auch an einer Tanke gab. Wo war eigentlich die letzte Tanke und kam hier überhaupt noch eine? Waren wir denn auch willens, das Geld für die vielleicht einzige Durchfahrt des Jahres auszugeben? Wobei ich mir überaus gern etwas an die Frontscheibe gepappt hätte, das Gott und der Welt meinen Besuch an meinem geliebten Meer preisgab. Wer macht schon nicht gerne Werbung für etwas, das er von Herzen liebt? ;-)
"Am besten, du fährst kurz vorher mal ab. Dein Navi leitet uns schon, außerdem kenne ich das hier noch, ich war vor einer Weile hier", versprach Frau J. Gesagt - getan. Nur um nach cirka zwanzig Kilometern Umweg festzustellen, dass Frau Navi uns stur auf die Autobahn zurück- und von dort ebenso stur vor den Tunneleingang führte. Vor uns prangte das Schild "KASSE" und zum ersten Mal kam uns der Verdacht, dass wir zwar voller Freuden, Enthusiasmus und was weiß ich nicht noch alles auf Reisen gegangen, eben diese aber doch - ums vorsichtig auszudrücken - recht planlos begonnen hatten.
Nicht dass uns das wirklich gestört hätte - es amüsierte uns eher.
Treu und brav führte uns Frau Navi in eine Gegend, die trotz mittlerweile Nacht, Eiseskälte und entsprechend trostloser Natur vielversprechend einladend aussah und als wir die einzige Parklücke der Straße erhaschten und erwartungsvoll vor einem Schlösschen standen, das die Aufschrift "Seniorenresidenz" trug, brachen wir in befreiendes Gelächter aus und beschlossen, uns in genau fünfzig Jahren hier niederzulassen.
Unsere Meeresmuschel jedenfalls entpuppte sich als frisch angemaltes Mehrfamilienhaus mit einigen Familiennamen und Namen von Appartements, die uns noch aus den Inseraten bekannt vorkamen. Nur - wo bitte durften wir denn klingeln? In unserer "Meeresmuschel" öffnete selbstverständlich niemand und während ich darüber noch kicherte, drückte Frau J. beherzt auf den Klingelknopf zum "Seepferdchen" und begehrte Einlass: "Entschuldigen Sie die Störung, aber wir haben hier eine Wohnung gebucht und kommen nicht rein."
"Ja", entgegnete eine leicht konsternierte Männerstimme, "aber nicht hier bei uns!"
Immerhin war er so freundlich, unverzüglich in ein paar Klamotten zu steigen und uns eine Telefonnummer herauszugeben und als wir nach einigem Hin & Her müde, aber glücklich unser Appartement betraten und begutachteten, gackerten wir noch immer über "...aber nicht hier bei uns!"



Ja... Was soll ich sagen... Ich bin noch niemals in meinem Leben allein mit einer Freundin verreist oder überhaupt mit jemandem, der nicht mein Partner oder mein Kind war ;-) - und während ich an eine Postkarte denken musste, auf der drei oder vier Frauen so um die siebzig/ fünfundsiebzig Jahre in einem Cabrio und mit flatternden Seidentüchern um Hals & Kopf die Straße entlangfuhren, genoss ich genau diese Erfahrung und sowieso ein unsagbar sonniges Wetter an meinem geliebten Meer, während wir uns in das Nachtleben der Küste stürzten und erwartungsfroh und ausgelassen in den - ich muss es noch mal wiederholen, sorry - dreißigsten Geburtstag von Frau J. feierten. Aufsehen erregten wir mit Sicherheit mit unseren eigenwilligen und zugleich lebensfrohen Tanzeinlagen ("Ich kann gar nicht tanzen!" - "Egal, komm, trink noch nen Schluck, dann gehts!") - aber gekümmert hat uns das kein bisschen. So lange nicht, bis wir müde wurden, der Alkohol uns längst nicht nur zu Kopf gestiegen, sondern auch in die Knie gesunken war und wir entsprechend den Heimweg aufsuchten. Nein, wir haben uns nicht verlaufen, nein, wir haben in keinen Winkel gekotzt und uns auch sonst in aller Manierlichkeit in der Öffentlichkeit benommen. Und während Frau J. verdächtig schnell in ihrem Bett verschwand, lag ich verwundert auf meinem Sofa und überlegte, wer nur dieses Zimmer anhalten könnte, das sich hier so drehte.

Nicht dass Ihr denkt, wir haben nur gefeiert, nein nein, natürlich sind wir echte Frauen und waren demzufolge auch shoppen. Ich bin ja eigentlich in der Hinsicht keine typische Frau, die einen Schrank voller Schuhe oder Handtaschen besitzt- also auch keine, die sich hysterisch und begeistert schreiend auf ein Paar Schuhe stürzt, die sie lange schon immer haben, aber nicht finden konnte. Zumindest aber habe ich an diesem Wochenende ein letztes Paar Peeptoes entdeckt, die ich gelassen genug war, zu einem Wahnsinnspreis von acht (!!) Euro ohne Geschrei und Aufhebens aus dem Regal zu nehmen und aber hysterisch genug war, sie nicht anzuprobieren, obwohl ich wusste, dass sie eine Nummer zu groß waren, nur um damit zur Kasse zu eilen.
Augenmaß ist alles, sagte ich mir voller Glücksgefühle, nur um jenes Paar Schuhe mit hängenden Ohren schätzungsweise drei Stunden später dem begeisterten Geburtstagskind in die Hand zu drücken und zu sagen: "Rucke di guh, kein Blut ist im Schuh - sie passen mir aber leider trotzdem nicht."

Und natürlich haben wir auch einen herrlichen (wenn auch begleitet von eisigem Wind) Spaziergang am Ufer des Meeres gemacht - und während die Möwen unser Haupt verschonten, ließ es sich die eine Freche nicht nehmen, mir auf das frisch geputzte Auto zu kacken.
"Was solls, bringt Glück", sagte ich mir, während wir am Sonntagnachmittag mit leiser Wehmut, aber angefüllt mit unglaublich viel Energie und Zuversicht die Heimreise antraten und uns schworen: "Das machen wir wieder! Sofort!" Natürlich hatten wir uns auch vorgenommen, das nächste Mal besser zu planen, vorzubereiten und zu organisieren, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke... Was will man denn eigentlich mit einem perfekt durchgeplanten Trip, wo Du Dich am Ende über all die tausend Kleinigkeiten ärgerst, die nicht so laufen wie gedacht, anstatt es entspannt anzugehen und auf sich zukommen zu lassen?
Für den E-Fall sollte man zumindest einen Plan B haben, aber hey - dazu sind wir doch jung und spontan genug, uns genau den auch einfallen zu lassen, wenn es soweit ist - oder etwa nicht?
Und wenn Ihr mich fragt - ich fand das geil genau so wie es war, eine wunderbare, tolle Erfahrung, ein schönes Wochenende und noch jetzt, einige Tage danach, vermuten meine Kollegen, dass ich nach über zwei Jahren wohl doch wieder mit den Psychopillen angefangen habe - ich sei einfach zu gut drauf.
Nein - ich schwörs - ich scheiß auf alle Pillen wie die Möwen auf mein Auto - ich muss nur einmal an mein geliebtes Meer fahren - DANN gesunde ich schneller als ich gucken kann ;-)
Und gerade überlege ich mir, ob ich Euch hier nun den Mund genug wässrig gemacht habe, um selbst einmal ans Meer zu fahren - und wenn mir das gelungen sein sollte, dann überlege ich mir weiterhin, ob ich vielleicht Reiseberichte schreiben und mir damit ein Zubrot für das Finanzamt verdienen sollte ;-)

Schlaft gut - ich zieh mich jetzt auch mal eben für die Dauer von ungefähr sechs Stunden zurück :-)
Eure Helma

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