Sonntag, 5. Oktober 2008

Malen vs. Schokopudding

Hey, ich kann wieder richtig lesen und schreiben, sehe alles wieder klar und deutlich. So wie auch die Dinge, die nicht geschrieben und gelesen werden. Manchmal führt man Gespräche, die unerwartete Wendungen nehmen. Die Erschütterliches an den Tag bringen. Dinge, die man selbst durchlebte und mit der Vergangenheit zurückgelassen hat. Und nunmehr feststellt, in welchem Ausmaß sie sich an anderer Stelle wiederholen. Heute Abend war so ein Tag. Du hast diesen Sonntag ganz ruhig begonnen und ebenso ruhig auch ausklingen lassen. Warum auch nicht, die Wochentage sind oftmals anstrengend genug und wer braucht schon rund um die Uhr ein Actionprogamm? Die Jungs jedenfalls sind dir dankbar dafür, dass du sie auch mal das tun lässt, worauf ausschließlich sie Bock haben, während du wiederum in der Zeit tun kannst, worauf du ausschließlich Bock hast. Nach dem Abendessen schaust du mahnend auf die Uhr: "So Großer, pack deine Sachen zusammen, wir müssen gleich los." Denn morgen ist Montag, der Ernst des Arbeitsalltags, für ihn und auch für dich selbst, beginnt. An dem einen und dem anderen Ort. Die Fahrt zu seiner eigenen Wohnung dauert etwa eine dreiviertel Stunde, manchmal auch etwas länger. Und dann beginnt dein großes Kind dir zu erzählen. Dinge, die es erlebt, immer wieder. Umgangsweisen, die du selbst hinter dir gelassen hast mit jenem Tag, an dem du dich von deinem bisherigen Leben, deinem Mann trenntest und dir schworst: "Ich lasse niemals wieder zu, dass jemand so mit mir umgeht." Und in diesem Gespräch erkennst du, wie sehr dein eigenes Kind durchlebt, was selbst nach Jahren noch lebendig genug in dir ist, um jeden Schmerz erneut empfinden zu können.
Wie gehst du damit um? Jetzt genau in diesem Moment und auch in Zukunft? Du bist bestürzt, du reagierst erschüttert - und du lässt dein Kind einfach nur reden, weil du spürst, dass es nicht anklagen, sondern einfach nur reden möchte. Reden muss. Du stärkst ihm den Rücken und du hoffst, ihm Halt geben zu können. Du verabschiedest dich von ihm, drückst ihn fest an dich und fährst wieder heim. Mehr kannst du in diesem Moment auch nicht tun. Auf der Rückfahrt drehst du das Radio auf, bis zur Besinnungslosigkeit laut und mit jedem Drum, der durch deinen Körper geht, schütteln dich die Tränen, weil du eines ganz deutlich spürst: Dein schon erwachsenes Kind hatte im Grunde niemals eine Chance, sich gesund zu entwickeln. Mit einem gesunden Selbstwertgefühl, einem gesunden Selbstbewusstsein. Am liebsten möchtest du an irgendeine Haltebucht heranfahren und dich ausweinen, aber du weißt, dass daheim noch dein pubertierendes Kind wartet. Also fährst du weiter, wischt dir immer wieder die Tränen von den Wangen, du lässt einfach alles heraus. Erst als du daheim angekommen bist, wirst du ruhiger. Du drehst den Schlüssel im Schloss, öffnest die Tür. Alles ist dir vertraut, der Geruch, die Möbel. Deine kleine Festung, dein kleines Nest aus Wohlfühlen und Geborgenheit, das du dir selbst erschaffen hast in den wenigen Jahren und das dir niemand mehr nehmen kann. Die Kinderzimmertür geht auf, dein Kind kommt mit verschlafenen Augen aus dem Zimmer. "Nanu, du schläfst ja noch gar nicht", sagst du und bist aber irgendwie auch erleichtert, dass du ihn an diesem Abend doch noch mal in die Arme nehmen und an dich drücken kannst, weil du sonst nicht weißt, wohin mit den ganzen Emotionen. Das Kind will noch was trinken, dann bringst du es wieder ins Bett. Viel Möglichkeiten hast du jetzt nicht. Entweder legst du dich ins Bett und heulst dich in den Schlaf. Oder du schenkst dir ein Glas Weißweinschorle ein, auf die du zur Zeit so abfährst. Hast du aber nicht. Tja. Und was nun? Du schaust auf die Uhr. Es ist inzwischen 22.30 Uhr, zu spät, um noch ein Bild zu malen. Danach wäre dir jetzt so richtig, aber um diese Zeit... Du bist ja froh, dass deine beinah 40 Jahre alten Augen wieder richtig funktionieren. Diese... ja... Störung von heute Vormittag hat dich ja schon irgendwie bisschen nachdenklich gemacht. Doch was solls, es geht ja alles wieder. Also machst du kurzen Prozess und kochst dir einen Schokopudding. Und hoffst, dass der gute alte Kakao auch diesmal seine Wirkung tut und dich aus diesem Tief befreit. Und es funktioniert! Du löffelst ein wenig von diesem heißen Schokopudding, vergießt noch ein paar Tränen und dann... Dann endlich wird dir klar, welchen Weg du gehen kannst. Einen Weg, der gut für deine beiden Kinder und auch für dich selbst ist. Na endlich, na bitte, wer sagts denn? Warum nur brauchst du für manche Dinge nur einfach so lange, bis du verstehst und begreifst und vor allem: bis du es dir bewusst machst?
Jetzt könntest du noch einen zweiten Schokopudding vertragen, nicht der Stimmung wegen, einfach nur... weil du jetzt auf den Geschmack gekommen bist. Leider war es das letzte Beutelchen, Frustschokolade hattest du extra nicht eingekauft, weil du diese Woche schon zwei ganze Tafeln von dieser leckeren Karamell-Schoko-Variante hattest und du ja schon noch ein wenig auf dich achtest. Die Alternative wäre ein knackiger, saftiger Apfel. Oder aber.... Ja genau: Du legst dich ins Bett, vertiefst dich für eine Seite lang noch mal in einem Buch und dann, so fühlst du es jedenfalls, wirst du besser schlafen wie letzte Nacht. Na dann...

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